Handelskammern

Brexit wirft immer neue Fragen auf

Vertreter von Handelskammern ziehen sechs Monate nach dem Brexit ein kritisches Zwischenfazit. Finanzdienstleister und Unternehmen sind verunsichert. Politisch gibt es immer neue Reibereien.

Brexit wirft immer neue Fragen auf

rec Frankfurt

Ein knappes halbes Jahr nach Ende der Brexit-Übergangsphase schafft der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union immer neue Probleme. Das gilt sowohl in politischer Hinsicht als auch für Unternehmen, Banken und Finanzdienstleister. Nun sagte York-Alexander von Massenbach von der Britischen Handelskammer in Deutschland (BCCG) der Deutschen Presse-Agentur (dpa): Viele kleinere britische Finanzdienstleistungsunternehmen machten sich erst jetzt Gedanken, ob sie für die Beratung deutscher Kunden eine Lizenzierung oder Genehmigung der deutschen Finanzaufsicht BaFin benötigten. Auch höhere Kosten infolge von Zöllen und mehr Bürokratie, politische Reibereien und ein drohender Fachkräftemangel aufgrund zusätzlicher Hürden im Arbeits- und Aufenthaltsrecht lasten auf den Wirtschaftsbeziehungen.

Die künftigen Regeln für grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen sind nach wie vor offen, da sie nicht Bestandteil des vor sechs Monaten auf den letzten Drücker geschlossenen Handels- und Kooperationsabkommens sind. Auch vermeintlich geklärte Streitpunkte kommen in diesen Wochen mit Wucht zurück auf die Tagesordnung. Damit steigt das Risiko neuer Eskalationen zwischen London und Brüssel.

So läuft Ende Juni eine Übergangsfrist für den Handel mit frischem Hackfleisch und anderen Lebensmitteln aus. Laut Ausstiegsvertrag darf Frischfleisch ab dann nicht mehr ohne weiteres von Großbritannien in die EU eingeführt werden – und damit auch nicht nach Nordirland, das laut Zusatzprotokoll Teil des EU-Binnenmarktes­ bleibt. Die britische Seite kokettiert offen mit Vertragsbruch, um schärfere Kontrollen an der nordirischen Grenze zu verhindern. Hochrangige Vertreter der EU drohen mit Strafzöllen. Vom „Wurstkrieg“ ist die Rede. Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg, die sich auf Verhandlungskreise beruft, deutet sich nun eine Lösung an. Ähnlich wie bei den lange Zeit strittigen Fischereirechten handelt es sich um einen Aspekt von vergleichsweise geringer wirtschaftlicher, dafür umso größerer symbolischer Be­deutung.

Die Handelsumfänge erholen sich zwar nach einem Einbruch zu Beginn des Jahres allmählich. Trotzdem lasse das erste halbe Jahr keinen positiven Trend erkennen, sagte von Massenbach: „Ich hätte hier mit mehr Pragmatismus gerechnet, jedoch erscheinen beide Seiten wenig kompromissbereit.“ Seinen Kollegen Ulrich Hoppe, Chef der Deutsch-Britischen Handelskammer in London, treiben vor allem die Zollsätze und -formalitäten um, die Aufwand und Kosten steigen ließen. „Wann Lieferketten wieder genauso reibungslos wie vor dem 31. Dezember 2020 operieren werden, ist unklar. Deswegen haben viele Unternehmen unter anderem in längerfristige Lagerkapazitäten investiert“, sagte Hoppe der dpa. Ein Problem, das sich in seiner ganzen Dimension noch gar nicht ausgewirkt hat, sind neue Vorschriften für Arbeits- und Aufenthaltsrecht sowie für Dienstleistungen. „Manchen Unternehmen wird es schwerer fallen, geeignete Arbeitskräfte zu finden – erste Stimmen äußern sich hier schon deutlich“, warnte Hoppe.