Inflation

Britische Notenbank unter Druck

In Großbritannien springt die Inflation auf 9,0 Prozent. Der unverminderte Preisdruck und irritierende Äußerungen des Notenbankchefs schüren Spannungen mit der Regierung. Zinsspekulationen nehmen zu.

Britische Notenbank unter Druck

rec Frankfurt

Die Inflation in Großbritannien kennt nur eine Richtung: steil nach oben. Im April legte die Inflationsrate auf 9,0% zu, wie das Statistikamt ONS meldete. Der Sprung auf den höchsten Stand seit circa 40 Jahren war aufgrund stark gestiegener Energiepreise erwartet worden, sorgte aber nichtsdestotrotz für besorgte Reaktionen in London. Bankökonomen rechnen nun teilweise mit noch entschiedeneren Zinserhöhungen der Bank of England.

Weltweit sind die Verbraucherpreise seit dem vorigen Jahr stark gestiegen. In Großbritannien ist die Lage besonders brisant: Während es in den USA und im Euroraum Anzeichen gibt, dass die Inflation ihren Höhepunkt inzwischen erreicht oder überschritten hat, steigen die Preise auf der Insel unaufhörlich. Zugleich brummt der Arbeitsmarkt. Löhne und Gehälter ziehen stark an. Deshalb nehmen Sorgen vor einer Lohn-Preis-Spirale in Großbritannien zu.

Außenministerin Liz Truss sagte im Sender Sky News zu den neuen Inflationszahlen: „Wir sind in einer sehr, sehr schwierigen wirtschaftlichen Lage.“ Der Anstieg der Jahresrate von 7,0% im März auf nun 9,0%, den Ökonomen in dieser Größenordnung auf der Rechnung hatten, wurde getrieben durch Energie- und Lebensmittelpreise. Aber auch Dienstleister haben ihre Preise kräftig erhöht. Die Notenbank hat zweistellige Inflationsraten für den Jahresverlauf in Aussicht gestellt. Ihr Ziel sind 2% Inflation.

Der Preisschub sorgt für Spannungen mit der Regierung. Notenbankchef Andrew Bailey hatte in einer Parlamentsanhörung mit drastischen Worten über stark steigende Lebensmittelpreise und Kaufkraftverluste Aufsehen erregt. Angesichts der hohen Inflation räumte Bailey „Hilflosigkeit“ ein. Vor allem Gutverdienende forderte Bailey auf, sie sollten „überlegen und reflektieren“, bevor sie Lohnerhöhungen fordern und die Inflation weiter anheizen.

Premierminister Boris Johnson wies Baileys Pessimismus zurück. Laut Bloomberg sagte Johnson, seine Minister hätten „die Mittel“, um die hohen Preise zu bekämpfen. Abgeordnete der regierenden Tories kritisieren die Notenbank seit längerem, sie habe die Inflation systematisch unterschätzt. Selbst frühere Notenbanker wie der im August als Chefvolkswirt ausgeschiedene Andy Haldane prangern eine zu späte Reaktion der Bank of England an. Umfragen zufolge steht die Regierung wegen der hohen Inflation stark unter Druck. Rufe nach höherer Sozialhilfe werden immer lauter, weil die Preissteigerungen in ärmeren Bevölkerungsschichten für Nöte sorgen.

Zu einem zusätzlichen Problem für die Notenbank wird der Arbeitsmarkt. Dort läuft es angesichts der niedrigsten Arbeitslosenquote seit bald einem halben Jahrhundert noch besser als erwartet – so rund, dass Arbeitnehmer hohe Lohnzuwächse durchsetzen können. Von Januar bis März zahlten die Unternehmen 7% höhere Gehälter samt Boni als im ersten Quartal 2021 (siehe Grafik). Allerdings steht nach Abzug der Inflation ein Reallohnverlust zu Buche. Das zeigen jüngst vom Office for National Statistics (ONS) veröffentlichte Daten.

Die Bank of England steuert längst auf weitere Zinserhöhungen zu. Die Analysten der Bank of America rechnen nun sogar mit vier weiteren Schritten im laufenden Jahr. Bisher hatten sie drei Erhöhungen erwartet. Das würde bedeuten, dass der Leitzins auf 2,0% steigt. Die Notenbank hat den Leitzins binnen eines halben Jahres bereits in vier Schritten auf den höchsten Stand seit 2009 angehoben. Sie stehe vor „dem vielleicht schwersten Test seit ihrer Unabhängigkeit“, notieren die Ökonomen der Bank of America. Zurückhaltender ist James Smith von der niederländischen Bank ING: Er erwartet weiterhin lediglich zwei weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr. An den Märkten haben Sorgen um die Konjunktur bei anhaltend hoher Inflation das Pfund unter Druck gesetzt.

Leitartikel Seite 6