Infektionszahlen

Delta-Variante erhöht den Druck

Die Delta-Variante des Corona­virus verbreitet sich schnell in Europa – auch in Deutschland. Die Neuinfektionen steigen.

Delta-Variante erhöht den Druck

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BZ

Die Delta-Variante des Coronavirus ist auf dem Vormarsch und lässt in fast allen europäischen Ländern die Infektionszahlen wieder steigen – auch in Deutschland. Das befeuert die Debatte über Gegenmaßnahmen. Erste Länder haben bereits wieder begonnen, die Corona-Beschränkungen zu verschärfen – während Großbritannien trotz rasant steigender Infektionszahlen und düsterer Prognosen die Auflagen lockert. Ein Überblick zum Stand der Dinge und der Diskussion in den größten EU-Staaten:

Deutschland: Lange Zeit sank die Zahl der Corona-Infektionen in Deutschland kontinuierlich. Damit ist nun erst einmal Schluss. Am Sonntag lag die Sieben-Tage-Inzidenz erstmals seit Anfang Juni wieder über dem Vortageswert. Am Mittwoch lag der Wert bei 5,1 – nach 4,9 am Vortag. Daran dürfte auch die Delta-Variante schuld sein. Das Niveau ist zwar immer noch gering, aber Experten warnen vor neuen Problemen – und vor neuem Druck auf die Politik, die Corona-Beschränkungen wieder zu verschärfen. Aktuell dreht sich die Debatte primär noch darum, wann bestehende Auflagen gelockert werden könnten. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wies am Mittwoch Forderungen nach einer Rücknahme aller Maßnahmen im August zurück. Alles hänge von der Impfquote ab. Außenminister Heiko Maas (SPD) will die Maßnahmen im August aufheben, wenn allen Erwachsenen ein Impfangebot gemacht worden sei. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sagte dagegen, dass Masken und konsequentes Testen weiter wichtig seien. Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) lehnte eine Aufhebung der Maskenpflicht in Innenräumen vorerst ab. Auch eine Impfung biete keinen hundertprozentigen Schutz, wie sich an der Delta-Ausbreitung zeige. Die Hoffnung aber ist, dass dank fortschreitender Impfungen die Krankenhäuser weniger belastet werden als in früheren Wellen. Die Zahl der Corona-Intensivpatienten sank am Mittwoch auf 482.

Frankreich: Frankreichs Regierung bereitet sich wegen der Ausbreitung der Delta-Variante auf alle Szenarien vor. Sie warnte am Mittwoch vor einer schon bald drohenden vierten Welle und appellierte an alle, sich impfen zu lassen. Auf einer Sitzung des Verteidigungsrats am Montag könnte eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen wie Kranken- und Altenpfleger beschlossen werden. Während die Impfquote bei Ärzten 80 bis 90% beträgt, liegt sie bei Pflegern in Krankenhäusern nur bei 64%. Eine Impfpflicht anzuordnen gilt aber als politisch heikel. Über die Hälfte der Bevölkerung hat inzwischen zumindest die erste Impfung bekommen. Die Regierung von Präsident Emmanuel Macron könnte zusätzlich zu der teilweisen Impfpflicht bald neue Reisebeschränkungen beschließen und Länder mit hohem Delta-Anteil wie Portugal auf eine rote Liste setzen. In Frankreich ist der Anteil der Delta-Variante an den Neuinfektionen auf 41,9% gestiegen. Am stärksten betroffen sind die Regionen Provence-Alpes-Côte d’Azur (Paca) mit über 60%, gefolgt von Korsika (55,6%), dem Großraum Paris (54,1%), der Normandie (52,6%) und der Nouvelle-Aquitaine im Südwesten (52,6%). Der Inzidenzwert hat sich in den letzten Tagen fast im gesamten Land wieder erhöht. In Paris beträgt er bereits wieder über 50.

Italien: In Italien ist die Sorge groß, dass eine neue Corona-Ansteckungswelle im Herbst den Wirtschaftsaufschwung gefährden könnte. Die Ansteckungszahlen steigen derzeit leicht, liegen aber noch unter 1000 Neuansteckungen pro Tag, wobei ein Viertel bis ein Drittel der Fälle auf die Delta-Variante zurückzuführen ist. Die Regierung versucht nun, mit einer beschleunigten Impfkampagne vor allem die vielen Ungeimpften im Gesundheits- und Unterrichtssektor sowie Jugendliche ab 12 zu immunisieren. Ziel ist es, im September einen sicheren Start ins Schuljahr mit Präsenzunterricht sicherstellen zu können. Die Regierung rechnet für dieses Jahr mit einer Wachstumsrate von 5%, die vor allem auf einen deutlichen Anstieg des Konsums, der Exporte und die Belebung des Tourismus zurückzuführen ist. Die Schutzmaßnahmen sind in den letzten Wochen unter dem Druck der Wirtschaft und der politischen Parteien massiv gelockert worden. Maskenpflicht besteht noch in Innenräumen sowie in Verkehrsmitteln. Immer wieder kommt es jedoch zu großen Ansammlungen vor allem junger Menschen in den Nachtstunden, die durch Live-Übertragungen der Fußball-Europameisterschaft noch verstärkt werden. Virologen wie Andrea Crisanti von der Universität Padova kritisieren, dass die Regierung die gleichen Fehler begeht wie 2020, und rechnen mit einem starken Anstieg der Corona-Neuansteckungen im Herbst. Rom unterschätze die Risiken der Lockerungen, meint Crisanti.

Spanien: In Spanien wurde vielerorts angesichts der wieder schnell steigenden Infektionszahlen der Rückwärtsgang eingelegt, und Lockerungen wurden zurückgenommen. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt erneut über 150. In Katalonien, das die schlechtesten Werte aufweist, wurden Nachtklubs und Diskotheken wieder geschlossen, wie auch in mehreren Gemeinden an der Atlantikküste. Die neue Welle in Spanien wurde durch die Reisetätigkeit mit Beginn der Schul- und Semesterferien ausgelöst und betrifft zur großen Mehrheit junge Menschen, die sich in Feriendomizilen wie Mallorca vergnügen wollten. Die Inzidenz in der Altersgruppe von 20 bis 29 Jahren ist daher dreimal so hoch wie der Durchschnitt. Die Belegung der Krankenhäuser durch Corona-Patienten stieg in den letzten sieben Tagen um fast 20%, doch auf den Intensivstationen ist die Lage noch stabil. Während einige autonome Regionen die Auflagen wieder verschärfen, haben andere zumindest die geplanten weiteren Lockerungsschritte vorerst ausgesetzt. Manche Regionalchefs fordern erneut eine nächtliche Ausgangssperre und landesweit geltende Beschränkungen. Ministerpräsident Pedro Sánchez erteilte diesen Forderungen am Dienstag jedoch eine Absage. Die Entscheidung und Verantwortung für die Bekämpfung der Pandemie solle auf regionaler Ebene verbleiben, so der Regierungschef. In vielen Landesteilen werden nun wieder verstärkt vor allem junge Menschen auf das Virus getestet.