Ifo-Geschäftsklimaindex

Deutsche Wirtschaft im Sommerhoch

Zum Ende des zweiten Quartals ist die Laune der Firmenchefs so gut wie seit zweieinhalb Jahren nicht mehr. Allen voran bei den Dienstleistern und im Handel. Industrie und Baubranche hingegen ächzen weiter unter steigenden Kosten.

Deutsche Wirtschaft im Sommerhoch

ba Frankfurt

Die gelockerten Corona-Restriktionen sorgen vor allem im Handel und bei den Dienstleistern für Schwung – aber auch in den anderen Bereichen der deutschen Wirtschaft hat sich die Stimmung im Juni stärker als erwartet aufgehellt. Selbst in der Industrie, die unter den anhaltenden Lieferengpässen und deutlich gestiegenen Kosten leidet, nahm die Zufriedenheit mit den laufenden Geschäften zu. Damit unterstützt der vom Münchner Ifo-Institut erhobene Geschäftsklimaindex die Ergebnisse der in den Tagen zuvor veröffentlichten Stimmungsindikatoren wie etwa des Einkaufsmanagerindex oder der Umfragen von ZEW und Sentix, die allesamt ein kräftiges Wachstum erwarten lassen.

Das Ifo-Geschäftsklima ist um 2,6 auf 101,8 Punkte geklettert – dies ist nicht nur der höchste Stand seit November 2018, sondern auch das erste Mal seit April 2019, dass das wichtigste Frühbarometer für die konjunkturelle Entwicklung hierzulande über der Marke von 100 Zählern liegt (siehe Grafik). Ökonomen hatten mit einem etwas geringeren Anstieg auf 100,7 gerechnet. Die 9000 monatlich befragten Unternehmen bewerteten die aktuelle Geschäftslage dabei erheblich besser und blickten zugleich optimistischer auf die kommenden Monate. Mit dem Sprung auf 99,6 Zähler notiert die Lagekomponente erstmals wieder über dem Vorkrisenniveau.

Großes Aufholpotenzial

„Die deutsche Wirtschaft schüttelt die Coronakrise ab“, kommentierte Ifo-Chef Clemens Fuest das Umfrageergebnis. Die Münchner Wirtschaftsforscher erwarten ein Wachstum von 1,3% für das zweite Quartal, dem im Sommer ein Plus von 3,6% folgen soll. „Die deutsche Wirtschaft nimmt weiter Tempo auf“, sagte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe im Reuters-Interview. „Wichtiger Treiber sind die Öffnungen nach dem Lockdown, die viele Dienstleister und den Handel beflügelt haben.“ Im Einzelhandel verbesserte sich die Geschäftslage so stark wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Auch das von Corona schwer gebeutelte Gastgewerbe sieht Licht am Ende des Tunnels. „Die Lage ist zwar noch schlecht, aber der Optimismus bei Hotels und Gaststätten steigt“, sagte Wohlrabe. Dafür sprechen auch die rekordhohen Sparquoten, dank derer „bei einigen der Geldbeutel etwas lockerer sitzen“ dürfte, wie KfW-Chefökonomin Fritzi Köhler-Geib erwartet: „Was viele während des langen Corona-Winters vermisst haben, holen sie jetzt nach.“ Echtzeitdaten zeigen, dass Restaurants wieder so gut wie vor der Krise besucht sind, im Einzelhandel nähert sich die Kundenzahl dem Vorkrisenniveau an. Jörg Angelé, Senior Economist des Assetmanagers Bantleon, verweist auf die bereits stark steigenden Umsätze der Reisebüros. Er sieht insbesondere für den Dienstleistungssektor noch erhebliches Aufwärtspotenzial. Unter den Dienstleistern berichteten vor allem die Logistikbranche und die IT-Dienstleister laut Ifo-Institut „von sehr gut laufenden Geschäften“.

Anders sieht es hingegen in den Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes und des Bauhauptgewerbes aus, die lange Zeit die konjunkturelle Erholung angetrieben hatten. Diese werden weiterhin von Engpässen bei Rohstoffen, Vorprodukten und Transportkapazitäten sowie steigenden Kosten geplagt. Alle Bereiche der Industrie befänden sich zwar im Aufwind, betonte Ifo-Experte Wohlrabe. „Wermutstropfen bleiben aber die stark gestiegenen Einkaufskosten.“ Sehr viele Unternehmen wollten daher ihrerseits die Preise erhöhen. Für Jens-Oliver Niklasch von der LBBW ist denn auch „die wohl wichtigste Einzelheit der heutigen Zahl, dass viele Unternehmen ihre Preise anheben wollen“, da der Konjunkturaufschwung am Markt schon eingepreist sei, eine dauerhaft steigende Inflation aber noch nicht. Aktuell ist umstritten, ob die zulegende Inflation ein temporäres Phänomen ist – diese Ansicht vertreten etwa die Notenbanker der Europäischen Zentralbank – oder nicht. Auch Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz äußerte sich gestern bei RTL/ntv optimistisch, dass die Inflation kein allzu großes Problem werde. Im Mai lag die Jahresteuerungsrate gemäß dem für EU-Zwecke berechneten HVPI bei +2,4%.

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer wies darauf hin, dass der Anstieg des Geschäftsklimas für die Industrie nur begrenzte Aussagekraft habe. „Viele Unternehmen können nämlich die boomende Nachfrage, die sich im aufwärtsgerichteten Ge­schäftsklima niederschlägt, wegen des Mangels an Vorprodukten wie Halbleitern nicht in eine höhere Produktion ummünzen“, sagte Krämer. Für die kommenden Monate rechnet er daher „bestenfalls“ mit einer Stagnation der Industrieproduktion. Für die Industrie spricht Wohlrabe zufolge, dass die Exporterwartungen weiter gestiegen sind und auch die Binnennachfrage gut sei. Das Geschäftsklima im verarbeitenden Gewerbe ist im Juni auf den höchsten Wert seit April 2018 gestiegen. Materialknappheit ist auch im Baugewerbe weiter ein sehr großes Problem. Um dem drastischen Preisanstieg und Lieferengpässen beim Bauholz entgegenzuwirken, schlägt nun Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) laut dpa-afx vor, wieder mehr gesunde Fichten in Deutschland zu fällen. Er strebt eine Einigung mit den zuständigen Ressorts noch in dieser Legislaturperiode an.