Karsten Junius

„Die Entscheidung der EZB ist unglücklich“

Seit vielen Jahren beobachtet Karsten Junius, Chefvolkswirt der Schweizer Bank J. Safra Sarasin, die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und die Notenbanken weltweit. Im Interview spricht er über den Zinsentscheid der EZB, die Sitzung der Fed nächste Woche – und das Risiko einer neuen Finanzkrise.

„Die Entscheidung der EZB ist unglücklich“

Mark Schrörs.
Herr Junius, t

rotz des weltweiten Bankenbebens und der Sorge vor einer neuen Finanzkrise hat die EZB ihre Leitzinsen wie im Februar avisiert erneut um 50 Basispunkte erhöht. Wie beurteilen Sie das?

Die EZB konnte heute keine wirklich glückliche Entscheidung fällen. Ein kleinerer Zinsschritt hätte ihre Kommunikation der vergangenen drei Monate in Frage gestellt und Zweifel an der Solidität des Bankensystems genährt. Die aktuelle Entscheidung ist aber auch unglücklich, da sie ignoriert, dass sich die Finanzierungsbedingungen bereits durch die Turbulenzen im Bankensektor und die damit einhergehenden höheren Risikoprämien verschärft haben. Die EZB sollte daraus lernen und ihre Forward Guidance, also die Erwartungssteuerung, endlich beenden. Sie sollte geldpolitische Entscheidungen nicht im Vorfeld avisieren, sondern von der Datenlage abhängig machen und erst kommunizieren, wenn sie tatsächlich gefällt worden sind.

Wie groß schätzen Sie aktuell das Risiko einer Finanzkrise oder sogar einer Wiederholung der Weltfinanzkrise von 2008 ein? Oder handelt es sich bei den Problemen der US-Regionalbanken und nun der Credit Suisse um Einzelfälle?

Krisen wiederholen sich nie auf die gleiche Art und Weise. Im Vergleich zu der Weltfinanzkrise von 2008 sind die Bilanzen der Haushalte solider, die Finanzaufsicht aktiver und die Kreditvergabe der Banken risikobewusster. Was aber immer gleich ist: Dass wir die Symptome der letzten Krise bekämpfen und mögliche neue Probleme vernachlässigen. Aktuell sind das die Konsequenzen des starken Zinsanstiegs, die sich nun bei einigen US-Regionalbanken zeigen. Höhere Zinsen führen dazu, dass zukünftige Erträge von Aktien, Anleihen und Immobilien stärker abdiskontiert werden, wodurch ihre faire Bewertung fällt. Ich befürchte, dass dieser Bewertungsverlust auch bei anderen Unternehmen noch zu Problemen führen könnte, es also nicht bei den bekannten Einzelfällen bleibt.

Die Schweizer Nationalbank (SNB) stützt die Credit Suisse nun mit bis zu 50 Mrd. sfr Liquidität. Ist das angemessen oder fördern solche Eingriffe, wie auch in den USA, langfristig riskantes Verhalten, weil die Akteure darauf setzen können, dass Regierungen und Zentralbanken sie notfalls retten?

Die Maßnahmen der SNB sind vollkommen angemessen. Sie sind notwendig, um einen allgemeinen Vertrauensverlust und Bank Run zu verhindern. Die Probleme der US-Regionalbanken und der Credit Suisse sind vollkommen anderer Natur, auch wenn beide Unterstützungsmaßnahmen in Anspruch nehmen mussten. Ich glaube nicht, dass das zu risikobehaftetes Verhalten fördert, denn trotz Unterstützungsmaßnahmen sind weder die Silicon Valley Bank noch die Credit Suisse in einer besonders beneidenswerten Situation.

Haben die Zentralbanken die Risiken der beispiellosen Zinswende für die Finanzstabilität unterschätzt, oder haben sich die Institute schlicht nicht abgesichert?

Allgemein scheinen wir uns übermäßig auf die stärkere Regulierung verlassen zu haben, aber auch darauf, dass die Zinsen noch lange auf einem sehr niedrigen Niveau bleiben. Das hatten die Zentralbanken mittels ihrer Erwartungssteuerung ja auch so kommuniziert. Darauf werden sich Finanzinstitute zukünftig wohl nicht mehr so leicht verlassen.

Das Finanzbeben hat zu einer dramatischen Neubewertung der Zinserhöhungspfade von Fed und EZB geführt. Droht der Kampf gegen die Inflation nun dem Ringen um Finanzstabilität zum Opfer zu fallen?

Die Entscheidung der EZB zeigt, dass sie die Inflationsbekämpfung nicht vernachlässigt. Die gegenwärtige Unsicherheit verschlechtert die Finanzierungsbedingungen zusätzlich. Daher ist es konsistent, wenn weniger Zinserhöhungen einpreist werden. Für die Bewahrung der Finanzmarktstabilität stehen der EZB eine Menge weiterer Instrumente und Fazilitäten zur Verfügung.

Was sollte die Fed nun bei ihrer Sitzung nächste Woche tun?

Ich halte eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte für nötig. Die Kerninflationsentwicklung in den USA ist zu stark, der Arbeitsmarkt bleibt robust. Die aktuellen Turbulenzen zeigen aber auch, dass die bisherigen Zinserhöhungen von immerhin 450 Basispunkten partiell bereits wirken und die Zeit von 50-Basispunkte-Schritten vorbei ist. Anders als von Fed-Präsident Jerome Powell noch kürzlich angedeutet, dürften die Prognosen der FOMC-Mitglieder zeigen, dass der Zins-Hochpunkt nicht mehr weit entfernt ist. Die Fed sollte zudem überprüfen, wie stark und schnell sie ihre Bilanz zukünftig reduzieren kann.

Vor allem die Fed steht wegen der Bankenkrise stark in der Kritik, ihr wird Versagen bei der Regulierung und Aufsicht der Banken vorgeworfen. Kann das zur Gefahr für die Unabhängigkeit der Notenbanken werden, die wegen des Unterschätzens der Inflation ohnehin unter Druck stehen?

Ich denke, es ist eher eine politische Entscheidung der letzten US-Regierung gewesen, die nach der Finanzkrise verschärfte Bankenregulierung wieder etwas zu lockern. Dadurch wurden kleinere und vermeintlich systemisch nicht relevante Banken weniger stark reguliert. Das Ergebnis davon sehen wir jetzt. Die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Umso wichtiger ist es, dass Notenbanken unabhängig und glaubwürdig bleiben. Dafür ist es notwendig, dass sie den aktuellen, von ihnen zunächst unterschätzten Inflationsdruck nun umso entschiedener bekämpfen.

Die Fragen stellte

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