Katharina Utermöhl

„Die EZB ist keine Ein-Mann- oder Eine-Frau-Show“

Katharina Utermöhl ist leitende Volkswirtin für Europa bei der Allianz. Im Interview mit der Börsen-Zeitung spricht sie über den Rückzug von Bundesbankchef Jens Weidmann, die EZB-Geldpolitik und die Inflation.

„Die EZB ist keine Ein-Mann- oder Eine-Frau-Show“

Frau Utermöhl, v

or der EZB-Sitzung war der angekündigte Rücktritt von Bundesbankpräsident Jens Weidmann zum Jahresende ein Paukenschlag. Ist damit der Weg frei für die „Tauben“ im EZB-Rat, um für eine dauerhaft sehr expansive Geldpolitik zu sorgen?

Die EZB ist keine Ein-Mann- oder Eine-Frau-Show. Geldpolitische Entscheidungen werden möglichst im Konsens getroffen, so dass ein Personalwechsel nicht gleich einen Richtungswechsel mit sich zieht, selbst wenn es den mächtigsten Falken be­trifft. Viele der unkonventionellen geldpolitischen Entscheidungen der vergangenen Jahre wurden auch von Jens Weidmann mitgetragen. Auch sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die EZB nicht in einem Vakuum operiert. Strukturelle Trends haben die Rahmenbedingungen für die Geldpolitik in den vergangenen zwei Dekaden stark verändert, was das Erreichen des Inflationsziels erschwert hat. Wie alle großen Zentralbanken hat die EZB ihre geldpolitische Ausrichtung sowie ihre Instrumente entsprechend angepasst. Für Negativzinsen und Anleihekäufe (QE) sind also nicht allein die EZB-Tauben verantwortlich.

Der EZB-Rat scheint das Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP im März 2022 auslaufen lassen zu wollen. Ist es dann nötig, das parallele Kaufprogramm APP aufzustocken oder ein neues Programm aufzulegen – oder rechtfertigen die wirtschaftliche Erholung und die anziehende Inflation einen konsequenteren Ausstieg?

Der makroökonomische Ausblick ist derzeit geprägt von deutlich erhöhter Unsicherheit. Auf der einen Seite rangiert die Inflation auf einem 13-Jahres-Hoch und die Wirtschaft steht besser da als noch vor wenigen Mo­na­ten erwartet. Auf der anderen Seite wurde die Dauer der Pandemie bis­her immer wieder unterschätzt. Man sollte das Risiko weiterer Rückschläge nicht komplett vom Tisch wischen. Daher ist es entscheidend, dass sich die EZB in den kommenden Monaten genügend Flexibilität be­wahrt, um angemessen auf die tatsächliche Wirtschaftsentwicklung zu reagieren. Ich halte es für angebracht, dass ein neues, flexibel gestricktes Anleihekaufprogramm als Sicherheitsnetz bereitgestellt wird, um den Ausstieg aus PEPP bei Bedarf abzufedern.

Die Frage, ob die große Flexibilität von PEPP über dessen Ende hinaus er­halten werden soll, etwa beim Kapitalschlüssel oder bei den Kaufobergrenzen, ist um­strit­ten. Braucht es auf Dauer diese Flexibilität oder ist so etwas nur in Krisensituationen angemessen?

Ich halte es für sinnvoll, wenn die EZB ihr traditionelles QE-Programm in Zukunft etwas flexibler gestaltet, zumindest was den Zeitpunkt und das Volumen der Anleihekäufe angeht. Kapitalschlüssel und Kaufobergrenzen sollten jedoch weiterhin eingehalten werden. Letztere wurden im Rahmen von PEPP zwar aufgeweicht, jedoch wird es notwendig sein, diese roten Linien in Zukunft nicht zu überschreiten, um nicht der verbotenen Staatsfinanzierung beschuldigt zu werden.

EZB-Granden haben Spekulationen auf Zinserhöhungen im Jahr 2022 eine Absage erteilt. Lässt sich das angesichts der Unsicherheit über die Inflationsentwicklung überhaupt ausschließen?

Ausgehend vom aktuellen makroökonomischen EZB-Szenario und insbesondere der darin enthaltenen Inflationsprognose ist es angemessen, Spekulationen rund um Zinserhöhungen im kommenden Jahr den Wind aus den Segeln zu nehmen. Mit Hilfe ihrer Forward Guidance kommuniziert die EZB ihre künftigen geldpolitischen Erwartungen. Dabei handelt es sich jedoch um ein Zinsversprechen ohne Gewähr: Sollte sich die makroökonomische Lage anders als erwartet entwickeln, wird die EZB ihre Politik entsprechend anpassen und nicht davor zurückscheuen, früher als geplant die geldpolitischen Zügel zu straffen.

Die meisten Euro-Notenbanker halten die unerwartet stark gestiegene Inflation immer noch für ein vorübergehendes Phänomen. Zugleich wachsen die Zweifel daran – wie auch die Sorgen vor einer Lohn-Preis-Spirale. Unterschätzt die EZB die Gefahr?

Wir sehen den aktuellen Preisanstieg neben einem Nachfrageaufschwung vor allem durch Lieferkettenengpässe, stark angezogene Energiepreise und pandemiebedingte Einmal- und Basiseffekte getrieben. Damit eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt, benötigt es eine Kombination aus steigenden Inflationserwartungen und kräftigen Lohnzuwächsen. Bislang gibt es keine einschlägigen Hinweise auf solch eine selbstverstärkende Dynamik. Doch auch wenn ein nachhaltig hoher Inflationsschub unwahrscheinlich ist, müssen Zentralbanken extrem wachsam bleiben. Das Inflationsrisiko ist – angesichts aufgestauter Nachfrage, stockender Globalisierung und alternder Gesellschaft – so hoch wie seit Jahren nicht.

Die Inflationserwartungen haben bereits deutlich angezogen und das Thema Inflation hat die breite Öffentlichkeit erreicht. Droht so ei­ne neue Wahrnehmung von Inflation, eine neue „Inflationsdenke“?

Die Inflationserwartungen haben zuletzt deutlich angezogen, allerdings vor allem auf kurze Sicht. Die mittel- bis längerfristigen Erwartungen haben sich hingegen als recht „klebrig“ bestätigt, also eher rückwärtsgewandt und damit ziemlich unbeeindruckt von der derzeitigen Inflationsentwicklung. Damit sehen wir auch unser Inflationsszenario eines temporären Überschießens bestätigt. Klar ist jedoch, dass das Risiko eines psychologischen Bruchs – sprich einer Entankerung der Inflationserwartungen – steigt, je länger die Inflation auf erhöhtem Niveau verweilt. Diese Entwicklung gilt es daher stetig zu beobachten.

Wäre die EZB im Notfall überhaupt in der Lage, die Geldpolitik entschlossen zu straffen, oder ist sie längst in einem Regime der fiskalischen oder auch der finanziellen Dominanz gefangen?

In den vergangenen 40 Jahren hat sich die Wirtschaft an ein disinflationäres Umfeld gewöhnt; ein nachhaltiger Inflationsschub würde in vielen Bereichen ein Umdenken erfordern. Denn im Vertrauen auf anhaltend niedrige Finanzierungskosten haben sich nicht nur Staaten, sondern auch der Privatsektor in vielen Ländern höher verschuldet. Nicht zu vergessen sind etwa auch die teils recht optimistischen Bewertungen vieler Vermögenswerte. Doch sollten sich die Hinweise auf einen nachhaltigen Inflationsschub mehren, dann dürfte die EZB kaum zögern zu handeln. Das oft genannte Dilemma für die EZB – sich zwischen Preisstabilität und Rückendeckung für die Fiskalpolitik entscheiden zu müssen – sehe ich nicht. Schließlich läuft sie Gefahr, durch ein zögerliches Handeln aus Sorge um die Nebeneffekte ihre Glaubwürdigkeit auf Spiel zu setzen, was den Kampf gegen die Inflation nur zusätzlich erschweren würde.

Die Fragen stellte Mark Schrörs.

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