Deutschland überstimmt

EU-Staaten bringen Lieferkettengesetz durch

Die belgische Ratspräsidentschaft hat doch noch eine ausreichende Mehrheit von EU-Staaten für ein abgeschwächtes Lieferkettengesetz gefunden. Deutschland wurde überstimmt. Die Ampelkoalition ist in dieser Frage zerstritten.

EU-Staaten bringen Lieferkettengesetz durch

Nach langem Ringen unterstützt eine ausreichende Mehrheit der EU-Staaten ein abgeschwächtes europäisches Lieferkettengesetz zum Schutz der Menschenrechte. Das teilte die belgische Ratspräsidentschaft am Freitag mit. Damit wurde Deutschland überstimmt, das sich im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten enthielt. Eine Enthaltung in dem Gremium wirkt wie eine Nein-Stimme.

In der Bundesregierung drängte die FDP darauf, dass Deutschland nicht zustimmt. Die Liberalen befürchten etwa, dass sich Betriebe aus Angst vor Bürokratie und rechtlichen Risiken aus Europa zurückziehen. Politiker von SPD und Grünen befürworten das Vorhaben hingegen. Die Unstimmigkeiten hatten zu einem offenen Schlagabtausch in der Ampel-Koalition geführt.

„Sieg für die Bürokratie“

Der Präsident des Bundesverbandes Groß- und Außenhandel (BGA), Dirk Jandura, spricht von einem „Sieg für die Bürokratie“. Der jetzt in Brüssel eingebrachte Entwurf für ein Lieferkettengesetz sei zwar „deutlich besser als der ursprüngliche Entwurf". Das eigentliche Problem, die Weitergabe von Berichtspflichten an kleine und mittelständische Unternehmen bleibe aber ungelöst. Die Belastungen des Mittelstandes würden weiter steigen. Eine schlecht gemachte Richtlinie bleibe eine schlecht gemachte Richtlinie.

BDI-Präsident Siegfried Russwurm spricht von einem weiteren „Rückschlag für Europas Wettbewerbsfähigkeit“. Die Richtlinie schaffe neue Hindernisse für die Versorgungssicherheit und Diversifizierung der europäischen Wirtschaft. Sie beruhe auf wirklichkeitsfremden Vorstellungen und bürde Unternehmen uneinlösbare Pflichten auf, die einen enormen bürokratischen Aufwand verursachten. Aufgrund rechtlich unsicherer Bestimmungen und dadurch drohender Sanktions- und Haftungsrisiken könnten sich Unternehmen aus wichtigen Drittländern zurückziehen. Russwurm: „Menschenrechten und Umweltschutz wird durch den Rückzug europäischer Unternehmen kein Dienst erwiesen.“

TÜV: Planungs- und Rechtssicherheit

Anders sieht das der TÜV-Verband. Eine entscheidende Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten habe sich heute für die Einhaltung von umwelt- und menschenrechtsbezogenen Sorgfaltspflichten in Lieferketten ausgesprochen, heißt es in einer Erklärung. Das sorge für Planungs- und Rechtssicherheit für Unternehmen und „eröffnet der Europäischen Union die Chance, weltweit eine Vorreiterrolle im Bereich nachhaltiger Lieferketten einzunehmen".

BDI-Chef Russwurm kritisiert aber in diesem Zusammenhang das Vorgehen der belgischen Ratspräsidentschaft. Das Projekt sei gegen alle Widerstände und um jeden Preis im Hinterzimmer durchgedrückt worden. Und ist seiner Meinung nach „beispiellos“. „Das Vertrauen in die europäischen Institutionen und in einen ordentlichen Gesetzgebungsprozess wurde hierdurch massiv geschädigt.“

Keine Mehrheit im Dezember

Weil die Einigung aus dem Dezember zunächst keine ausreichende Mehrheit unter den EU-Staaten gefunden hatte, wurde das Vorhaben noch mal deutlich abgeschwächt. Statt wie ursprünglich geplant, soll es etwa nicht mehr für Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Mill. Euro Umsatz gelten.

Die Grenze wurde den Angaben zufolge auf 1000 Beschäftigte und 450 Mill. Euro angehoben – nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren. An diesen Geltungsbereich soll sich stufenweise herangetastet werden. Nach einer Übergangsfrist von drei Jahren sollen die Vorgaben zunächst für Firmen mit mehr als 5000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Mrd. Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinkt die Grenze auf 4000 Mitarbeitende und 900 Mill. Umsatz. Die EU-Kommission soll eine Liste der betroffenen Nicht-EU-Unternehmen veröffentlichen. Für sie könnten die Vorgaben gelten, wenn sie mit ihrem Geschäft einen bestimmten Umsatz in der EU erzielen.

Zudem wurden nun auch sogenannte Risikosektoren gestrichen, also Wirtschaftszweige, in denen das Risiko für Menschenrechtsverletzungen höher bewertet wird, wie etwa in der Landwirtschaft oder der Textilindustrie. Dort hätten auch Unternehmen mit weniger Mitarbeitenden betroffen sein können. Vorgesehen ist aber weiterhin, dass Unternehmen vor europäischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen profitieren.

Deutschland hat bereits ein Lieferkettengesetz. Die EU-Version geht aber trotz der Abschwächungen über dessen Vorgaben hinaus. So ist im deutschen Gesetz ausgeschlossen, dass Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar sind.