Mindestlohn-Erhöhung

Sind 12 Euro Mindestlohn angemessen?

12 Euro Mindestlohn pro Stunde sind zu viel, sagen Arbeitgeber und Ökonomen. Ihre Kritik an der von Arbeitsminister Heil für Oktober geplanten Erhöhung entzündet sich an mehreren Punkten. Ein Überblick.  

Sind 12 Euro Mindestlohn angemessen?

Von Anna Steiner, Frankfurt

Der Mindestlohn soll am 1. Oktober auf 12 Euro steigen – von 10,45 Euro, die ab 1. Juli gelten werden. Einen entsprechenden Entwurf hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) jüngst vorgelegt. Damit soll eines der zentralen Wahlkampfversprechen der SPD in Gesetzesform gegossen werden. Die Kritik an der Erhöhung des Mindestlohns reißt seitdem nicht ab.

Arbeitgeber monieren, der Vorstoß untergrabe die Autorität der Mindestlohnkommission. Zudem fürchten sie starke steigende Kosten ausgerechnet nach der Coronavirus-Pandemie und besonders in Branchen, die von der Krise stark betroffen waren ­– etwa im Gastgewerbe. Von einem Paradigmenwechsel ist die Rede und von einem Angriff auf die Tarifautonomie. Unterstützung finden sie in ihrer Kritik bei mehreren Wirtschaftsforschungsinstituten.

Der von Heil vorgelegte Entwurf greife „tief in die tarifautonome Lohnfindung in Deutschland ein“, kritisiert der Arbeitgebergeberverband BDA in seiner Stellungnahme. Die Erhöhung des Mindestlohns verletze die „bestehende Systematik des Gesetzes“, nämlich dass der Mindestlohn von der Expertenkommission empfohlen wird. Die Arbeitgeber kritisieren zudem, dass mit der veränderten Zielsetzung „gesellschaftspolitische Verantwortlichkeiten an die Betriebe“ abgeschoben würden.

Soziale Teilhabe sichern

Im Referentenentwurf heißt es dazu, der Mindestlohn solle „zur angemessenen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben befähigen“ und ermöglichen, „über das bloße Existenzminimum hinaus am sozialen und kulturellen Leben teilzuhaben“. Bei der Einführung des Mindestlohns ging es der damaligen Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) darum, „elementaren Gerechtigkeitsanforderungen“ zu genügen, also ebendieses Existenzminimum zu sichern.

Nach einer derartigen Krise, wie viele Branchen sie durch die Pandemie erlebt haben, scheint die sprunghafte Erhöhung des Mindestlohns zudem nicht zum richtigen Zeitpunkt zu kommen. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) fordert daher eine Übergangsregelung für bestehende Tarifverträge und als frühesten Termin den 1. Januar 2023.

Unterstützung erhalten die Un­ternehmer aus der Wissenschaft. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kritisiert, dass sich die Mindestlohn- von der allgemeinen Tariflohndynamik entkoppele (siehe Grafik). Zudem versichere Berlin zwar, der Vorgang sei einmalig und weitere Erhöhungen lägen wieder in der Hand der Mindestlohnkommission, allerdings ließe sich das Vorgehen per einfache Gesetzgebung wiederholen. „Die Mindestlohnkommission wird durch derartige politische Eingriffe einem permanenten Druck ausgesetzt“, sagt Studienautor Hagen Lesch vom IW Köln.

Mit Verweis auf Berechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) merken die Autoren zudem an, dass die finanziellen Auswirkungen zu niedrig angesetzt sind. So geht das Bundesarbeitsministerium von 1,63 Mrd. Euro zusätzlichen Lohnkosten für die Arbeitgeber aus. IMK-Simulationsrechnungen lassen aber auf etwa 9 Mrd. Euro zusätzlich für die Betriebe schließen. Hinzu kommt, dass der vom Bundesarbeitsministerium gewünschte Verteilungseffekt deutlich schwächer ausfallen würde als prognostiziert, wenn die Arbeitskosten tatsächlich nur so gering steigen.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat Beschäftigungseffekte untersucht. So führe ein Mindestlohn von 12 Euro zwar in Betrieben mit Tarifbindung und Betriebsrat nicht oder kaum zu einer Personalreduzierung. In Betrieben ohne Tarifbindung und Betriebsrat sei aber mit deutlichen Beschäftigungsverlusten zu rechnen, heißt es in einer Studie. Allerdings räumen die Ökonomen ein, dass die Beschäftigungsverluste bei der Einführung des Mindestlohns deutlich geringer ausfielen als erwartet: Statt prognostizierten 900000 Stellenverlusten seien am Ende nur etwa 50000 – vor allem Minijobs – weggefallen.

Die Erhöhung des Mindestlohns mag im Koalitionsvertrag stehen, beschlossen ist sie noch nicht. Die Regierung darf sich auf eine lebhafte Debatte einstellen.

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