Ukraine-Krieg

Wenig Hoffnung, viel Sorge

Die deutsche Wirtschaft ist bislang besser mit den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs zurechtgekommen als befürchtet, zumal eine Gasmangellage ausgeblieben ist. Für Entwarnung ist es aber auch ein Jahr nach Kriegsausbruch zu früh.

Wenig Hoffnung, viel Sorge

Vor einem Jahr ist der Krieg nach Europa zurückgekehrt. Am ersten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine werden Schätzungen der bisherigen Zahl von Toten und Verletzten und die Bilder von Zerstörung und Flucht die Brutalität und Grausamkeit des Kriegs in Erinnerung rufen. Diese Vergegenwärtigung ist wichtig, da mit der alltäglichen Gewöhnung an Nachrichten über das Kriegsgeschehen das Bewusstsein für das einhergehende gewaltige Leid zu schwinden droht.

Jenseits der Be­sinnung auf die menschlichen Tragödien bietet der Jahrestag zugleich Anlass zum Blick auf die Aussichten einer Beendigung des Kriegs und auf die Auswirkungen auf Volkswirtschaften und Kapitalmärkte. Und da passt einiges nicht zusammen.

Gewiss, die Märkte haben auf den russischen Überfall im Fe­­bruar 2022 reagiert. Der Dax büßte binnen zwei Wochen 12% ein, im Frühherbst lag er sogar 18% unter seinem Niveau vor Kriegsausbruch. Seither haben die Aktienkurse aber wieder kräftig zugelegt. Der Dax notiert heute gut 5% über dem Wert vor genau zwölf Monaten. Parallel dazu hat sich die Stimmung in der Wirtschaft spürbar aufgehellt, die Angst vor einer mehr als nur technischen Rezession ist verschwunden, viele Konzerne melden für 2022 Rekordgewinne.

Fast drängt sich der Eindruck auf, Deutschlands Wirtschaft sei immun gegen die Kriegsfolgen und die Unternehmen hätten alle mit dem Krieg verbundenen Risiken im Griff. Das wäre freilich ein fataler Trugschluss.

Dass – unterstützt durch milde Temperaturen – bislang ein Gasengpass ausgeblieben ist und sich Horrorszenarien für die Konjunktur nicht eingestellt haben, ist erfreulich – aber kein hinreichender Beleg der Resilienz. Noch ist überhaupt nicht absehbar, wann und wie der Krieg beendet werden kann – zumal jüngste Maßnahmen und Äußerungen aus Russland, China und den USA eher eine Eskalation der Gefechtslage andeuten. Die Wirkung der Sanktionen des Westens gegen Moskau blieb bisher weit hinter den Hoffnungen zurück. Darauf zu setzen, dass Russland schon in Kürze Halbleiter und Munition oder das Personal zur Kriegsführung ausgehen, ist zudem hochspekulativ. Kurzum: Völlig zu Recht ist der Westen vereint in dem Ziel, dass Russland den Krieg nicht gewinnen darf. Wie das allerdings gelingen soll, ist noch unklar.

Im Gegensatz zu diesen Ungewissheiten ist ziemlich sicher, dass gerade das exportorientierte deutsche Wirtschaftsmodell auf eine harte Belastungsprobe ge­stellt wird – etwa, wenn Firmen im Lichte der Erfahrung mit Russland nun entscheiden müssen, wie stark sie sich von China abhängig machen. Wenn sie viel umfangreicher als bislang aufwendige Back-up-Lösungen für den Fall kurzfristiger Lieferpro­bleme vorhalten müssen. Oder wenn sie dauerhaft mit wesentlich höheren Energiekosten konfrontiert sind als früher. Es ist nicht ausgemacht, dass alle Unternehmen diesen Stresstest unbeeinträchtigt bestehen.

Deshalb gibt es ein Jahr nach Kriegsausbruch keinen Grund dafür, mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs für Deutschland und Europa Entwarnung zu geben. Aus ökonomischer Perspektive sind die Ri­siken nach wie vor gewaltig, die Sorgen groß und die Hoffnung auf eine nachhaltige Entspannung der Situation ist ge­ring – aus politischer Sicht sowieso.