Markus Brunnermeier

„Zentralbanken müssen zügig gegensteuern“

Die G7-Finanzminister und -Notenbankchefs haben sich bei ihrem Treffen auch mit ausgewählten Ökonomen aus aller Welt ausgetauscht. Einer davon ist Markus Brunnermeier, der an der Princeton University lehrt.

„Zentralbanken müssen zügig gegensteuern“

Mark Schrörs.

Herr Brunnermeier, was sorgt Sie mit Blick auf die Weltwirtschaft aktuell mehr – die hartnäckig viel zu hohe Inflation nahezu weltweit oder die Konjunkturabkühlung infolge des Ukraine-Kriegs und der neuen Lockdowns in China?

Die Kombination von allen drei Effekten macht mir die größten Sorgen, da sich Schocks gegenseitig aufschaukeln können. Der Ukraine-Krieg und der neue Lockdown in China könnten aus dem Inflationsproblem ein Stagflationsproblem ma­chen. Dann haben wir nicht nur Inflation, sondern auch eine Reduzierung des Bruttoinlandsprodukts. Wir werden alle ärmer.

Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass die globale Wirtschaft absehbar in eine Rezession schlittert?

Diese Gefahr ist in der Tat nicht zu vernachlässigen. Mehrere Krisen gleichzeitig zu meistern, erfordert besondere Anstrengungen, eine bestimmte Bereitschaft, sich anzupassen, agil zu sein und an einem Strang zu ziehen. Nur so können wir als Volkswirtschaften resilient sein. Die zukünftige ökonomische Entwicklung hängt sehr davon ab, wie klug wir mit den Sanktionen und deren Implikationen umgehen.

Droht bei einem westlichen Embargo für russisches Öl und Gas eine Energiekrise und spätestens dann ein globaler Wirtschaftseinbruch?

Das hängt sehr von der Ausgestaltung des Embargos ab. Das oberste Prinzip sollte sein, etwaige Sanktionen so zu gestalten, dass sie Russlands Präsident Wladimir Putin mehr schaden als uns im Westen. Wenn Zölle oder Steuern auferlegt werden anstelle eines Totalembargos, sollte dies möglich sein. Insbesondere wenn das Angebot sehr unelastisch ist und die Nachfrage elastischer, dann kommen wir mit weniger Schaden davon. Zudem kann man das zusätzliche Steueraufkommen nutzen, um soziale Härten abzufedern. Eine weitere interessante Möglichkeit wäre, ein Käuferkartell zu errichten, wie es kürzlich Italiens Premierminister Mario Draghi vorgeschlagen hat. Der Teufel liegt aber im Detail.

Wie beurteilen Sie den 300-Mrd.-Euro-Plan der EU, mit dem sie sich von russischer Energie unabhängig machen will?

Der Krieg macht es notwendig, die grüne Transformation weiter zu beschleunigen. Deshalb müssen jetzt Investitionen vorgezogen werden, aber auch neue innovative Wege gefunden werden. Es gilt sicher genau hinzuschauen, inwieweit das neue Programm der EU-Kommission mit der Initiative Next Generation EU überlappt.

Die Zentralbanken fokussieren sich derzeit auf die Inflationsbekämpfung und straffen ihre Geldpolitik – allen voran die US-Notenbank; aber auch die EZB steuert auf eine schnellere Zinswende zu. Ist das angemessen oder wegen der beginnenden Konjunkturabkühlung überzogen?

Die Zentralbanken haben erkannt, dass die Gefahr besteht, den 2-Prozent-Inflationsanker zu verlieren. Es gilt, diese Situation zu vermeiden. Denn wenn sich die Inflationserwartungen mittelfristig von der 2-Prozent-Marke wegbewegen, ist es ex­trem schwierig, sie wieder zu ankern. Häufig ist das dann nur zu erreichen, indem die Zentralbank eine Rezession auslöst. Um dem zu entgehen, sollte man jetzt zügig gegensteuern. Angesichts der sehr hohen Inflation sollten die Zentralbanken auch vor größeren Zinsschritten nicht zurückschrecken. Dies ist mittelfristig weniger kostspielig.

Steht die Weltwirtschaft an der Schwelle zu einem neuen Inflationsregime, zumal die Globalisierung zurückgedreht wird und auch der Kampf gegen den Klimawandel inflationär wirken könnte?

Wir stehen hier vor einer entscheidenden Weichenstellung. Wir müssen die Globalisierung resilienter machen, und es gibt verschiedene Ansätze, die unterschiedliche Auswirkungen auf die Inflationsentwicklung haben. Sollten wir die Produktionskapazitäten nach Deutschland zurückbringen, das sogenannte „Re­shoring“, dann wird die Inflation steigen. Sollten wir jedoch die globalen Lieferketten resilienter machen, indem wir die Produktion weiter streuen, so dass es zum Beispiel eine Zulieferfirma in Asien, eine zweite in Afrika und eine dritte in Südamerika gibt, sind die Inflationsauswirkungen geringer. Die letztere Methode läuft unter dem Namen „Multisourcing“. Die dritte Alternative, das „Friendshoring“, unterteilt die Welt in Freunde und Feinde und wird auch zu höheren Preisen führen.

Die G7-Staaten diskutieren, zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine auch eingefrorenes russisches Geld zu nutzen, etwa das Auslandsvermögen der russischen Zentralbank. Wie beurteilen Sie das? Bestünde dann die Gefahr, dass Russland oder auch China ein alternatives Finanzsystem aufbauen?

Ich denke, dass Russland und China ohnehin versuchen werden, ein alternatives Finanzsystem aufzubauen. Inwieweit russisches Auslandsvermögen für den Aufbau der Ukraine eingesetzt werden sollte, wird sicherlich von den Friedensverhandlungen abhängen.

Derzeit erschüttert der Crash bei Kryptoassets wie Bitcoin das Finanzsystem. Hat dies das Potenzial für eine ausgewachsene globale Finanzkrise?

Ein Crash bei Kryptoassets macht klar, wie riskant diese Anlageform ist. Eins ist klar: Kryptoassets sind sicher kein sicherer Hafen. Im Unterschied zum Dollar oder zum Gold, deren Wert in Krisenzeiten steigt, verlieren Kryptoassets an Wert. Je größer diese Anlageform wird, desto größer werden auch die Spillover-Effekte. Ich gehe davon aus, dass die Preisbereinigung zum jetzigen Zeitpunkt noch handhabbar ist.

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