Bonds

Absturz der Anleihe­renditen

Die Bundrenditen sind abgestürzt. Rezessionssorgen, Flucht in Sicherheit und die politische Situation in Italien stehen hinter dem enormen Rückgang der Sätze.

Absturz der Anleihe­renditen

Die Renditen der Bundesanleihen sind kräftig abgestürzt. Die zehnjährige Bundrendite handelte am Montag zeitweise mit 0,76% – deutlich jenseits der Marke von 1%. Damit hat die Bench­marklaufzeit der Eurozone mehr als die Hälfte ihres Aufwärtstrends, der in den vergangenen Wochen und Monaten zu beobachten gewesen ist, wieder wettgemacht. Viele Marktteilnehmer, EZB-Watcher und Volkswirte waren davon ausgegangen, dass der Aufbruch in eine neue Zinswelt bevorstehen würde. Ein Satz mit X. Nur wenige im Markt waren anderer Meinung. Am kurzen Ende sieht die Situation nicht anders aus. Die zweijährigen Bundrenditen rangieren bei 0,21% und haben damit die Nulllinie und infolgedessen auch die Negativzone klar im Blick. Man möchte hinzufügen: Alles nur eine Frage der Zeit. Aber was sind die Gründe dieses gewaltigen Renditeabsturzes?

Es sind im Wesentlichen drei Faktoren, die dahinterstehen. Erstens: Die Rezessionssorgen weiter Anlegerkreise haben die Inflationsbefürchtungen längst als zentraler Angst- und Bestimmungsfaktor abgelöst. Über Wochen und Monate dominierten an den Märkten die Inflationssorgen. Mit jedem Zeichen eines neuerlichen Teuerungsdrucks wurden die Notenbanken zum Handeln aufgefordert. Sie sollten die Leitzinsen erhöhen, um der Teuerung Herr zu werden. Zuletzt – nämlich vor wenigen Tagen – ist auch die Europäische Zentralbank auf diesen Zug aufgesprungen und hat den Leitzins für den gemeinsamen Währungsraum angehoben. Genau das ist das Problem, das als Argumentation von denen angebracht wird, die auf die Rezessionsgefahren aufmerksam machen. Die Leitzinsanhebungen führen ihrerseits dazu, dass Volkswirtschaften erheblich in Mitleidenschaft gezogen werden, und zwar so weit, dass es am Ende zur Rezession kommt. In den USA ist es bereits so weit: In zwei aufeinanderfolgenden Quartalen ist die Wirtschaftstätigkeit gemessen am Bruttoinlandsprodukt zurückgegangen. Es stand also ein Minus vor der Wachstumsrate. Angezeigt wurde diese Entwicklung wieder einmal durch die Inversion der Zinsstrukturkurve der US-Staatsanleihen. So schnell traf die Rezession auf die Inversion gefühlt wohl auch noch nicht. Ein Novum – hoffentlich keines mit heftigen Auswirkungen. Zur Erinnerung: Praktisch jeder Rezession in den USA ist in den vorigen Jahrzehnten eine inverse Zinsstrukturkurve vorausgegangen. Und immer wieder hieß es: Dieses Mal ist alles anders, dieses Mal ist es ein fehlerhaftes Signal des Bondmarktes. Immer wieder ein Irrtum.

Zweitens: Flucht in Qualität. Wird es in der Wirtschaft unruhig und fängt es an den Märkten an zu wackeln, dann suchen Anleger nach Sicherheit, und diese Sicherheit finden sie bei den sicheren Staatsanleihen, wozu Bundesanleihen und auch die US-Staatstitel zählen. Der Euro ist auf dem Niveau der Parität und war auch schon darunter. Die Aktienmärkte haben in den vergangenen Wochen und Monaten unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges heftig gelitten, Energie- und sonstige Rohstoffpreise sind durch die Decke gegangen. Das alles sind keine Zeichen einer Beruhigung und führt zur Nachfrage nach sicheren Assets. Hinzu kommt natürlich auch, dass derartige Renditeniveaus der Bundesanleihen schon lange nicht mehr gesehen wurden, solche Sätze ließen sich schon lange nicht mehr festzurren. Wenn nun also ausgehend von den zuvor höheren Sätzen auch noch ein Rückgang eintritt, nimmt der Renditerückgang eine gewisse Eigendynamik an – getreu der Devise: Jetzt aber schnell noch zugreifen, bevor wir auch diese Renditen nicht mehr realisiert bekommen. Zudem trifft diese Gemengelage auch noch in das Sommerloch, in dem üblicherweise weite Anlegerkreise urlaubsbedingt abwesend sind. In einer derart ausgedünnten Marktlage haben es negative Konjunkturdaten nicht gerade schwer, den Markt zu beeinflussen. Dann können Anleger mit geringen Umsätzen die Renditen schnell in eine bestimmte Richtung bugsieren.

Drittens: Italien. Der politische Faktor spielt am Markt eine wichtige Rolle. Die EZB hat zwar ihr neues Antifragmentierungsinstrument in Angriff genommen. Aber wie man hört, ist die Überzeugung am Markt nicht ganz so groß. Und damit kommt eine alte Sorge wieder hoch: Die Angst vor der Staatsverschuldung. Auf großen Konferenzen wurde sie schon vor Jahren thematisiert. Aber die Märkte sahen es nicht als zentrales Thema an. Man kann nur hoffen, dass dies auch so bleiben wird. Denn ein Staatsschuldenfall Italien ist mit dem Staatsschuldenfall Griechenland vor einem Jahrzehnt mitnichten zu vergleichen. Das ist eine ganz andere Hausnummer. Aber auch dieser Umstand lässt Anleger sichere Häfen ansteuern.(Börsen-Zeitung, 2.8.2022)

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