Entlastungen

Ampel auf dem Gerechtigkeits­trip

Die Ampel will mit dem dritten Entlastungspaket Einzelfallgerechtigkeit schaffen. Sie wird damit scheitern. Dabei gibt es schon gute Systeme.

Ampel auf dem Gerechtigkeits­trip

Das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wirft seine Schatten voraus. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat es mitten in der Sommerpause angekündigt und auf die griffige Formel „You’ll never walk alone“ gegossen – eine Anleihe aus dem 1963 von Gerry & The Pacemakers herausgebrachten und zur Fußballhymne von Liverpool avancierten Ohrwurm. Konkreter wurde der Kanzler kaum, wie er Bevölkerung und Wirtschaft mit den steigenden Energiepreisen und Lebenshaltungskosten beistehen will.

Politische Beobachter rätseln seitdem, was die Ampel-Koalition zustande bringen wird – womöglich in einer Kabinettsklausur Ende August. Politische Interessenvertreter nutzen das Entscheidungsvakuum für fortlaufend neue Forderungen für ihre Klientel. Die politisch Verantwortlichen in der Ampel bringen sich mit ihren divergierenden Ansichten täglich neu öffentlich in Position.

Je länger sich die Entscheidung hinzieht, umso schwieriger wird es für die Ampel, eine gesellschaftlich akzeptierte Lösung zu liefern. Der Erwartungshorizont wird mit jedem Tag größer. Das Spektrum der Vorschläge ist enorm. Es reicht von Hilfen für bestimmte Bevölkerungsgruppen und Branchen der Wirtschaft über Steuerentlastungen bis hin zu vorsorglichen Geldbeschaffungsmaßnahmen, be­vor über die Ausgaben überhaupt Konsens besteht: Die Grünen wollen Steuern erhöhen, wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Er tritt für eine „Übergewinnsteuer“ für Unternehmen ein. In der SPD und bei den Grünen steht erneut das Aussetzen der Schuldenbremse auf der Agenda, wie es Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) verlangt. Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt will mit einer einmaligen Vermögensabgabe Gutes tun. Bundesfinanzminister Christian Lindner und seine FDP forcieren den Ausgleich der sogenannten kalten Progression in der Einkommensteuer. Der Kanzler deutet eine Mischung aus Steuerentlastung und Hilfe für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen an.

Die Ampel ist auf einem gefährlichen Gerechtigkeitstrip. So sind jetzt vor allem Rentner und Studenten als Nutznießer des dritten Entlastungspakets in der Diskussion, weil sie bei den beiden ersten Paketen, die in diesem Jahr mit immerhin 30 Mrd. Euro zu Buch schlagen, nicht so sehr bedacht worden sind. Der Versuch in Teilen der Ampel, mit gezielten Entlastungen Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen, ist jedoch zum Scheitern verurteilt. Denn es wird immer eine Gruppe geben, die bei jedem noch so gut gemeinten Vorhaben durch den Rost fällt oder die sich einfach benachteiligt fühlt. Statt vermeintlich ge­zielter Entlastung für einzelne Gruppen sollte die Ampel stärker auf bestehende Ausgleichssysteme setzen, die einem grundsätzlichen gesellschaftlichen Konsens folgen.

Die progressive Einkommensteuer ist ein solches System. Sie besteuert hohe Einkommen stark, geringe Einkommen wenig und sehr geringe gar nicht. Der Ausgleich der kalten Progression würde dieses System für inflationsbedingte Einkommenssteigerungen wieder ins Lot bringen. Sehr geringe Einkommen können nicht über dieses Instrument entlastet werden. Für gezielte Unterstützung gibt es deshalb die Sozialhilfe. Sie knüpft an Bedürftigkeit an und nicht an die Lebenssituation. Auch Rentner oder Studenten können vermögend sein.

Bei indirekten Steuern wie beim Tankrabatt muss der Ampel klar sein, dass die Überwälzung – also die Weitergabe über die Preise an die Verbraucher – nicht in ihrer Hand liegt. Indirekte Steuern sind für Entlastungen ein ungenaues Instrument. Die – indirekte – Mehrwertsteuer belastet zwar in ihrer Verteilungswirkung niedrige Einkommen stärker als hohe, da dort die Konsumquote höher ist – zur Kompensation der Gasumlage reicht die temporäre Senkung aber nicht aus. Die Ampel hatte dies auch gar nicht vor. Sie versucht nur die Panne zu beheben, nicht rechtzeitig in Brüssel die Frage der Mehrwertsteuerbelastung geklärt zu haben.

Die „Übergewinnsteuer“ besteht streng genommen schon. Denn hohe Unternehmensgewinne werden hoch besteuert und niedrige gering – wenn auch bei Kapitalgesellschaften mit prozentual demselben Satz. Wer einen progressiven Steuertarif für Kapitalgesellschaften einführen will, der sollte dies ehrlich sagen und auch begründen, wie er diese Umverteilung rechtfertigen will. Überhaupt: Umverteilung funktioniert hierzulande im internationalen Vergleich recht gut. Eine noch stärkere Umverteilung braucht eine Grundsatzdebatte – losgelöst von einer Ausnahmelage.

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