Gastronomie

Britische Pubs warten auf Kunden, Erholung stockt

Britische Betreiber von Bars, Pubs und Restaurants hatten auf eine rasche Erholung nach der Pandemie gehofft. Doch das Arbeiten von zu Hause und der rasante Preisauftrieb lassen sie ins Stocken geraten.

Britische Pubs warten auf Kunden, Erholung stockt

Von Andreas Hippin, London

London hat sich in den vergangenen Jahren zur Hauptstadt der Stubenhocker entwickelt. Mehr als ein Drittel der Berufstätigen arbeiten dem Statistikamt ONS zufolge weiterhin von zu Hause. Vor der Pandemie waren es gerade einmal 14 %. Für viele Betreiber von Bars, Pubs und Restaurants in der britischen Metropole bedeutet das, dass die für die Zeit nach Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen­ erhoffte rasche Erholung des Geschäfts ausgeblieben ist. Der Coffer CGA Business Tracker hat zwar für Juni ein vergleichbares Umsatzwachstum von 5 % registriert – und das im Vergleich zum Juni 2019. Doch dürften die beiden zusätzlichen Feiertage wegen des Thronjubiläums von Queen Elizabeth II wesentlich dazu beigetragen haben. In London schrumpfte das Geschäft. Ein Eisenbahnerstreik trug dazu bei, dass noch weniger Laufkundschaft an die Theken strömte. Während der jüngsten „Hitzewelle“ forderte der Nahverkehrsbetreiber TfL die Londoner dazu auf, wenn irgend möglich da­heim zu bleiben. Pendler, die noch schnell ein Feierabendbier mit Kollegen trinken, tragen normalerweise ordentlich zum Umsatz bei. Nun leidet das Geschäft vor allem montags und freitags darunter, dass viele im Homeoffice bleiben.

„Viele Leute arbeiten jetzt von zu Hause statt aus einem Büro, was wesentliche Auswirkungen auf Verkehrsbetreiber und das Gastgewerbe gehabt hat“, sagt Tim Martin, der Chairman der Pubkette Wetherspoons (JD Wetherspoon). Er verwies zudem auf die „unbeabsichtigten Nebenwirkungen“ der Kontaktbeschränkungen während der Pandemie. „Der ‚Faktor Angst‘, den Regierungen einsetzten, um die Befolgung von Lockdowns und Res­triktionen zu erreichen, hatte anhaltende Nachwirkungen“, sagt Martin. Viele Menschen seien immer noch zurückhaltend, wenn es darum geht, ihr Haus zu verlassen.

„Es sieht so aus, als ob vor allem ältere Menschen weiterhin vorsichtig sind, und das spiegelt sich in den Zahlen wider“, sagt der Analyst Matt Britzman von  Hargreaves Lansdown. Im gerade abgelaufenen Quartal ging der vergleichbare Umsatz der Wetherspoon-Gruppe um 0,4 % zurück. Bemerkenswert ist, dass sich das Geschäft in Stadtzentren – bis auf London – besser entwickelt hat als in den Vorstädten und kleineren Ge­meinden. Auch bei Fuller Smith & Turner erholt sich das Geschäft im Londoner Zentrum nach Schätzung von Analyst Douglas Jack von Peel Hunt nur schrittweise.

Aus für viele Unabhängige

Vor der Pandemie gab man in England dem Centre for Economic & Business Research (CEBR) zufolge 663 Mill. Pfund pro Woche für Restaurant- und Kneipenbesuche aus. Seit ihrem Ausbruch hat ein Strukturwandel stattgefunden, der die überlebenden Ketten begünstigt. Viele unabhängige Anbieter haben sich vom Markt verabschiedet. Für die anderen kommt es darauf an, über ausreichend finanziellen Spielraum zu verfügen, um zur Not auch einen Winter mit erneuten Ausgangssperren zu überstehen.

Bei Wetherspoon beläuft sich die Nettoverschuldung nach Schätzung des Analysten Mark Irvine-Fortescue von Stifel auf das 4,5-fache Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Amortisation (Ebitda). Aber für den Großteil der Schulden seien bis 2031 niedrige Zinsen fest vereinbart. Er rechnet mit Blick auf das umfangreiche Immobilienportfolio im Besitz der Kette nicht damit, dass es Probleme mit den Kreditklauseln (Covenants) geben wird. Auch der Rivale Young’s verfügt über ein stattliches Portfolio. Mehr als vier Fünftel der Pubs gehören dem Unternehmen. Die Zeit des billigen Geldes ist allerdings vorbei. Sollte der Leitzins so stark steigen wie am Markt erwartet, dürften sich der Referenzzins Sonia (Sterling Overnight Index Average) im kommenden Jahr 3 % nähern. Für Pubbetreiber wie Punch Pubs oder Stonegate, deren Geschäft als risikoreicher wahrgenommen wird, haben sich die Spreads der Anleihen stärker ausgeweitet als für Greene King, Marston’s oder Mitchells & Butlers.

Die jüngste Erhöhung des Mindestlohns macht vielen Pubbetrei­bern ebenso zu schaffen wie steigende Kosten für Nahrungsmittel und Getränke, Gas, Strom und Wasser. Noch größere Sorgen als die Kosteninflation macht ihnen allerdings die Frage nach den Auswirkungen des rasanten Preisauftriebs auf das Trinkverhalten ihrer Kundschaft. Zumal viele die temporäre Mehrwertsteuersenkung während der Pandemie an die Kunden weitergegeben hatten, was dazu führte, dass ihre Angebote nach Auslaufen der Steuervergünstigung als teurer wahrgenommen wurden. Doch haben zumindest die älteren Anbieter bereits die Finanzkrise 2008 und das Rauchverbot in Innenräumen überstanden. Das Geschäft ist robuster, als man meinen könnte.

Zu den Gewinnern der Branche gehört Loungers. Die kleine Kette schaffte es ohne Kapitalerhöhung, ihre Nettoverschuldung von 35 Mill. auf 1 Mill. Pfund zu drücken. Der Analyst Ivor Jones von Peel Hunt geht davon aus, dass sie sich ungefähr auf das 3-fache Ebitda belaufen wird – einen der niedrigsten Werte in der Branche. Sie will jährlich 25 bis 30 neue Lokale eröffnen, was sie der Liberum-Analystin Anna Barn­father zufolge problemlos aus dem Cashflow finanzieren kann. Skalierbarkeit, Flexibilität und Innovation – so sieht das Pubbetreibergeschäft der Zukunft aus, eine starke Bilanz und rigorose Ausgabendisziplin einmal vorausgesetzt.

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