Unterm Strich

Chief Geo­political Officer gesucht

Der Ukraine-Krieg bedeutet auch für Unternehmen eine Zeitenwende: Geopolitik wird zum zentralen Thema der Unternehmensstrategie.

Chief Geo­political Officer gesucht

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat nicht nur die deutsche Politik auf dem falschen Fuß erwischt, sondern ebenso sehr die Wirtschaft und die Unternehmen. Man kann zwar schwerlich erwarten, dass Unternehmer, Aufsichtsräte und Vorstände geopolitische Risiken besser einschätzen können sollten als Regierungen und deren auf Außen- und Sicherheitspolitik spezialisierte Spitzenbeamten. Schließlich sind Letztere die Akteure in der Gestaltung der politischen Bedingungen und auch der Risiken. Doch die Naivität vieler Unternehmen, auch von Weltkonzernen, im Umgang mit politischen Risiken und Abhängigkeiten ist erschreckend. Sie offenbart sich nun, wo Russland mit dem Stopp von Energie- und Rohstofflieferungen droht.

Politik wird Chefsache

Haben nicht spätestens die seinerzeitige Annexion der Krim durch Russland mit den nachfolgenden Sanktionen des Westens wie auch die Spannungen zwischen den USA und China schon länger angezeigt, dass das bisherige friedliche Modell der Globalisierung und des Welthandels zu Ende geht? Eine Frage, die in vielen Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen offenkundig nicht oder zumindest nicht ernsthaft genug gestellt und diskutiert wurde, obwohl Beratungsfirmen seit Jahren auf diese Veränderung hinweisen. Nun stellt die vielfach zitierte politische Zeitenwende auch die Unternehmen ad hoc vor große Veränderungen, nicht allein mit Blick auf Beschaffungs- und Absatzmärkte, sondern vor allem hinsichtlich ihrer strategischen Aufstellung. Unternehmen, gleich welcher Größe, müssen „politischer“ werden, das heißt geopolitische Risiken systematisch in ihren Unternehmensstrategien berücksichtigen und auf Veränderungen dieser Risiken geschäftspolitisch reagieren. Diese Risiken im Blick zu haben, ist keine Aufgabe, die sich an eine Stabsstelle delegieren lässt, beispielsweise an jene, die sich um „Political Affairs“ oder „Government Relations“ kümmert. Für die geopolitischen Risiken, die gerade in der Industrie existenzielle Bedeutung annehmen können, muss der oberste Unternehmensstratege zuständig sein, mithin der Vorstandsvorsitzende oder CEO. Er ist in Personalunion der Chief Geopolitical Officer, auch wenn er dafür zur Unterstützung intern und extern Experten einbindet.

Dies kann und wird nicht ohne Folgen für das Anforderungsprofil an der Spitze von Unternehmen bleiben. Viel zu sehr dominiert bisher bei den meisten Unternehmen noch der betriebswirtschaftliche Fokus die CEO-Auswahl, in manchen Branchen auch der technische Fokus. Die (geo)politische Kompetenz spielte bisher keine Rolle und wurde, wenn überhaupt, nur bei manchen CEOs durch mehr oder weniger kluge Beiträge in Social-Media-Kanälen sichtbar. Die politische Dimension eines Unternehmens erschöpfte sich im besten Fall auf das Thema Purpose und die Positionierung zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen oder zu sozialen Fragen.

Die Unternehmen und ihre Führungen in Vorstand und auch im Aufsichtsrat werden lernen müssen, dass sie Akteur und Gegenstand einer neuen Machtpolitik sind. Die Welt wird als Folge des Ukraine-Krieges eine Renaissance der Blockbildung erleben. Jedenfalls ist dies das Szenario mit der größten Wahrscheinlichkeit. Die Unternehmen, zumal in Deutschland, werden sich dabei mit einer neuen Art von Industriepolitik konfrontiert sehen, die sie in den vergangenen Jahrzehnten der weitgehend liberalen Wirtschaftspolitik nicht erlebt haben. Industriepolitik wird ein Teil der Sicherheitspolitik und der Geopolitik werden. Standortentscheidungen werden nicht mehr nur von technologischen, logistischen oder arbeitsmarktpolitischen Aspekten dominiert sein, sondern auch von geopolitischen. Ein solcher Perspektivwechsel wird vielfältige Konsequenzen haben, bis hin zur Neuausrichtung der Subventionspolitik. Unternehmen sind klug beraten, sich jetzt bereits darauf einzustellen.

Blockbildung USA-China

In einer Welt, in der es keine internationalen Schiedsrichter mehr gibt für die Konfliktlösung beziehungsweise die bestehenden Institutionen von potenziellen Konfliktparteien nicht mehr ernst genommen werden, müssen sich auch die Unternehmen entscheiden, auf welcher Seite sie stehen: jener der Autokraten oder jener der Demokraten. Weltweit tätige Institutionen und Organisationen wie IWF, Weltbank oder WTO werden mit der Deglobalisierung an Einfluss verlieren und nur noch in einem Teil der Welt eine Rolle spielen. An Swift ist exemplarisch zu sehen, wie sich die Blöcke entkoppeln. Ähnliches werden wir bei den Klimaabkommen, den Energieverbünden, in der Satellitenkommunikation oder in der Raumfahrt erleben. Viele Kommentatoren beschreiben die künftige Weltordnung als einen Kampf um Rohstoffe. Das ist zu kurz gesprungen. Denn über die „Welt-Macht“, um die in erster Linie die USA und China im Wettbewerb stehen, entscheiden nicht die Rohstoffe, sondern Technologien und die Fähigkeit zu nachhaltigem Wirtschaften.

Technologien sind die Rohstoffe des Digitalisierungszeitalters. Daten, Software und Halbleiter sind die Schlüsselfaktoren im Wettkampf der Systeme, zu dem China die USA herausgefordert hat. China hat bekanntlich eine klare Agenda, in welchen Branchen es bis wann die Weltmarktführung erobern will. Russland wird in diesem Wettstreit keine Rolle spielen und sich höchstens als Vasall und Rohstofflieferant Chinas auf der Weltbühne halten.

Deswegen wird für die Unternehmen eine klare strategische Positionierung zu China unausweichlich. Der von vielen westlichen, zumal deutschen Unternehmen gepflegte Schmusekurs gegenüber Chinas Machthabern und die alleinige Betrachtung der wirtschaftlichen Chancen – und neuerdings auch Risiken – wird der absehbaren Weltordnung nicht mehr gerecht. Vorstände und Aufsichtsräte werden ein wesentlich tieferes Verständnis für Politik entwickeln müssen, um an den Märkten weiterhin erfolgreich wirtschaften zu können.

c.doering@boersen-zeitung.de

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