Schuldenregeln

Die notwendige Reform

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist an vielen Stellen reformbedürftig. Kluge Änderungen weichen die Budgetregeln aber nicht auf, sondern können sie effektiver machen. Die Maastricht-Kriterien stehen dabei nicht zur Debatte.

Die notwendige Reform

Die Debatte um die europäischen Haushalts- und Verschuldungsregeln ist zurück auf der politischen Bühne – und wird dort wohl auch eine ganze Weile bleiben. Die Auseinandersetzungen der vergangenen Tage auf Ebene der EU-Finanzminister waren nur der Auftakt. Sie haben aber noch einmal für alle sichtbar gemacht, wie schwierig eine mögliche Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes werden wird. Um falsche Erwartungen (oder auch Befürchtungen) gleich einmal richtigzustellen: Am Ende dieses Prozesses wird nicht die Abschaffung der Maastricht-Kriterien stehen. Die Obergrenzen für das jährliche Haushaltsdefizit von 3% und für die Staatsverschuldung von 60% werden weiterhin Bestand ha­ben – egal wie viele inhaltliche Argumente es eventuell gegen sie geben mag. Denn diese Grenzen stehen in den europäischen Verträgen. Und niemand – weder die EU-Mitgliedstaaten noch die Europäische Kommission – hat derzeit Appetit, Vertragsänderungen bei einem emotional so aufgeladenen Thema anzustoßen.

Worüber jetzt aber zu Recht endlich diskutiert werden muss, ist der Gesetzesrahmen, der 2011 bis 2013 als Antwort auf die damalige Staatsschuldenkrise im Euroraum eingeführt wurde und seither äußerst detailreich den Stabilitäts- und Wachstumspakt ergänzt. Diese im Brüssel-Jargon „Sixpack“ beziehungsweise „Twopack“ genannten Regeln haben die Haushaltsüberwachung der Euro-Staaten in ihrer heutigen Form, die Defizitverfahren und Sanktionen sowie zahlreiche neue Kennzahlen eingeführt. Sie haben entscheidend dazu beigetragen, dass die europäischen Budgetregeln heute so komplex sind, dass sie im Detail wohl nur noch ein paar Experten wirklich verstehen und dass das Handbuch zur Interpretation des Stabilitäts- und Wachstumspakts mittlerweile über hundert Seiten lang ist.

Kritiker fordern schon lange eine radikale Vereinfachung der Regeln, und dies müsste eigentlich auch auf der Agenda aller stehen, die einen stabilitätsorientierten Kurs fahren: Denn die heute so komplexen Regeln machen irgendwie auch alle glücklich, weil man mit ihnen alle politischen Entscheidungen rechtfertigen kann. Sollte es keine Flexibilität bei der Auslegung mehr geben, wären die Regeln auch viel leichter politisch durchsetzbar.

Dies ist aber nur die eine Seite. Hinzu kommt auch – und dies haben schon verschiedene Studien gezeigt –, dass Teile des Regelpakets ökonomisch unsinnig wirken. Kurz gesagt: in guten Zeiten zu lax, in schlechten Zeiten zu restriktiv. An der Prozyklizität der Finanzpolitik haben sie nichts verändert. Und vor allem in hoch verschuldeten Ländern haben sie zu einem Absenken der öffentlichen Investitionen geführt, wie etwa der Europäische Fiskalrat gezeigt hat.

Dies waren schon vor Corona wichtige Argumente für eine Reform. Nach der Pandemie kommt nun hinzu, dass Regeln und Realität noch weniger zusammenpassen. In der Eurozone hat es in den Jahren bis 2019 lange einen Schuldenabbau gegeben – in Trippelschritten, aber immerhin. 2021 klettert die durchschnittliche Verschuldung wohl auf über 100% der Wirtschaftsleistung. Dieser An­stieg aufgrund der Krise – dies dürfte Konsens in Europa sein – kann den einzelnen Ländern kaum zum Vorwurf gemacht werden. Worum es jetzt aber gehen muss, ist, die Abbaupfade hin zu einem nachhaltigen Mittelfristschuldenziel anzupassen. Derzeit geben die Regeln vor, dass 1/20 der zu hohen Schuldenlast jährlich abgebaut werden muss. Dies dürfte viele der heute hoch verschuldeten Euro-Länder überfordern, wenn die derzeit ausgesetzten Haushaltsregeln 2023 wieder in Kraft treten. Im Zweifelsfall wird dann die gerade erst wieder hochlaufende Konjunktur nur abgewürgt.

Mit solchen Adjustierungen wird der Stabilitätsrahmen des Euro nicht aufgeweicht, sondern effektiver ausgestaltet. Was die Reformer sich allerdings verkneifen sollten, ist, eine Art „goldene Regel“ einzuführen, mit der beispielsweise Klimainvestitionen von der Verschuldung ausgenommen werden könnten. Der Finanzministerrat Ecofin hat hierüber jetzt erstmals diskutiert, und auch die EU-Kommission hat schon angekündigt, diese Idee in ihre Überlegungen einzubeziehen. So viele Sicherheitsmaßnahmen können gar nicht geschaffen werden, um hier einen massiven Missbrauch durch Greenwashing verhindern zu können. Zudem haben die EU-Staaten über den Wiederaufbaufonds ja schon eine Art „goldene Regel“: Milliardenschwere Investments – auch in den Klimaschutz – können in den nächsten Jahren getätigt werden. Und die hierfür aufgenommenen Schulden gehen auf den Deckel der EU. (Börsen-Zeitung,

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