Geldpolitik

Einstieg in den Ausstieg

Die ultralockere Geldpolitik in den USA und Euroland erscheint zunehmend aus der Zeit gefal­len. Ein gradueller Exit jetzt ist besser als später eine abrupte Wende.

Einstieg in den Ausstieg

Binnen weniger als einer Woche entscheiden die beiden wichtigsten Zentralbanken der Welt über ihren Kurs: Die Europäische Zentralbank (EZB) tagt heute, die US-Notenbank Fed folgt nächsten Mittwoch. Dramatische Kurswechsel weg von der beispiellosen Krisen-Geldpolitik aus der Corona-Pandemie sind bei diesem monetären Doppelschlag nicht zu erwarten. Aber die unverändert ultralockere Geldpolitik erscheint immer mehr aus der Zeit gefallen. Die EZB und die Fed müssen deshalb zumindest den Einstieg in den Ausstieg aus dem Notfallmodus und die Rückkehr zum Normalmodus ins Visier nehmen.

Zuvorderst ist da die Fed gefragt. Die US-Wirtschaft steht mit der fortschreitenden Überwindung der Pandemie vor einem wahren Sommerboom. Die neueste Prognose von Oxford Economics taxiert das Wachstum in diesem Jahr auf 7,7% – befeuert von den Billionen Dollar schweren Ausgabenplänen der Biden-Regierung. Das wäre das stärkste Wachstum seit 1951. Zugleich zieht die Inflation an wie lange nicht. Die Teuerung liegt inzwischen bei rund 4% und damit doppelt so hoch wie das Fed-Ziel. Sicher, das Wachstum wird sich auch wieder etwas abschwächen und der Inflationsanstieg ist in der steilen Form temporär. Aber die US-Wirtschaft dürfte weiter robust wachsen und die Inflation absehbar oberhalb der 2-Prozent-Marke verharren. Eine Geldpolitik im absoluten Krisenmodus wirkt schlicht nicht mehr angemessen. Die Diskussion über eine Reduzierung der Anleihekäufe von aktuell 120 Mrd. Dollar pro Monat ist also überfällig.

Die EZB ist zweifelsohne mit einer anderen Realität konfrontiert: Die Erholung der Euro-Wirtschaft hinkt dem US-Pendant hinterher und der Preisdruck ist weniger ausgeprägt als in den USA. Aber auch für Euroland gilt: Das Infektionsgeschehen nimmt deutlich ab und die Impfungen deutlich zu – womit statt Lockdowns Lockerungen auf der Agenda stehen. Die Wirtschaft steuert auf eine kräftige Erholung zu – womöglich schon im zweiten Quartal, spätestens im zweiten Halbjahr. Und die Inflation zieht merklich und sogar unerwartet stark an – wobei sie im Mai mit 2,0% sogar erstmals seit Oktober 2018 oberhalb des EZB-Inflationsziels von unter, aber nahe 2% lag. Auch die Euro-Hüter sind also gut beraten, die Ausstiegsdebatte zu starten und den Exit nicht zum Thema non grata zu erklären.

Ganz konkret geht es bei der EZB nun um das Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP. Der verbesserte Wirtschafts- und Inflationsausblick würde es jetzt allemal rechtfertigen, das im zweiten Quartal temporär erhöhte Kauftempo bei PEPP wieder zu drosseln. Zwar haben sich die Finanzierungsbedingungen zuletzt etwas verschärft – aber auch das primär als Folge der besseren Aussichten. Leider gibt es aber eine De-facto-Umkehr der Beweislast: Statt dass die Apologeten der ultralockeren Geldpolitik im EZB-Rat argumentieren müssen, warum diese temporäre Erhöhung verlängert werden soll, sind es die Kritiker dieses Kurses, die sich rechtfertigen sollen. Die EZB hat sich mit ihrer Kommunikation in eine Ecke manövriert. Aber je länger sie die (verbale) Wende vor sich herschiebt, desto unsanfter dürfte der Übergang sein. Im Übrigen: Selbst nach einem künftigen Auslaufen von PEPP wird die EZB-Geldpolitik immer noch extrem expansiv sein.

Generell ist festzuhalten: Der Ausstieg aus einer sehr expansiven Geldpolitik ist nie simpel. Angesichts der beispiellosen Interventionen in der Pandemie dürfte er nun sogar beispiellos werden – beispiellos schwierig. Es wäre illusorisch zu glauben, dass der Exit komplett geschmeidig und ohne jede Unruhe an den Finanzmärkten ablaufen kann – zumal die gigantische Geldflut zu einigen Übertreibungen geführt hat, die einer Korrektur bedürfen. Das darf aber nicht dazu führen, dass die Notenbanker den Exit nie angehen. Es spricht vielmehr dafür, den Ausstieg frühzeitig und allmählich zu gestalten, statt ihn immer weiter hinauszuschieben und dann im Notfall zu einer abrupten Kehrtwende gezwungen zu sein.

Das gilt umso mehr angesichts des sich verändernden Inflationsumfelds. Es stimmt: Der jüngste rasante Anstieg der Teuerung in den USA, in Euroland und weltweit hat viele temporäre Gründe. Vieles deutet deshalb auf ein vorübergehendes Phänomen hin. Genauso richtig ist aber: Auch der Inflationsausblick ist derzeit mit einer großen Unsicherheit behaftet. Es gibt sehr wohl zumindest das Risiko, dass der temporäre Preisdruck lange genug anhält, um zum Teil permanent(er) zu werden. Die Zentralbanken sollten diese Gefahr jedenfalls nicht leichtfertig abtun und sich selbst sowie die Wirtschaft und die Märkte in falscher Sicherheit wiegen. Sonst droht womöglich später ein ganz böses Erwachen.