LeitartikelGeldpolitik der EZB

Erste Zinssenkung im Frühjahr wäre ein Fehler

Es besteht die Sorge, dass die EZB die Leitzinsen angesichts der Erfolge beim Inflationsrückgang zu spät wieder senkt. Auch wenn die EZB dieses Risiko im Blick haben muss, sollte sie den Markterwartungen an eine Zinssenkung bis April auf keinen Fall nachgeben.

Erste Zinssenkung im Frühjahr wäre ein Fehler

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Zinssenkung im Frühjahr wäre ein Fehler

Die Europäische Zentralbank sollte den Markterwartungen an eine Zinssenkung bis spätestens April auf keinen Fall nachgeben.

Von Martin Pirkl

Portugals Notenbankchef Mario Centeno tanzt derzeit aus der Reihe. Während seine Kollegen im EZB-Rat öffentlich die Markterwartungen an eine erste Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) im Frühjahr kritisieren, gibt er den Anlegern neue Nahrung für ihre Spekulationen. Seine größte Sorge derzeit ist, dass die EZB mehr mache, „als notwendig ist, um die Inflation zu kontrollieren“.

Oder mit anderen Worten: Nachdem die EZB den Inflationsanstieg lange unterschätzt hatte und 2022 zu spät die Zinsen erhöht hatte, droht ihr laut Centeno nun, dass sie zu spät wieder lockert. Die Folge wäre, dass die schwächelnde Konjunktur der Eurozone durch die hohen Zinsen stärker abgewürgt wird, als sie es müsste. Zudem würde die Inflation in so einem Szenario unter das 2-Prozent-Ziel der Notenbank fallen.

Zu optimistische Wachstumsprognose der EZB?

Es gibt durchaus Argumente, die Centeno für seine Sichtweise ins Feld führen kann. In den meisten Monaten des vergangenen Jahres ist die Inflationsrate etwas stärker gesunken, als Ökonomen dies erwartet hatten. Die EZB geht in ihrer aktuellen Projektion von einer Inflationsrate von 2,7% 2024 aus. Dabei erwartet sie jedoch auch ein Wirtschaftswachstum von 0,8%. Einiges spricht dafür, dass dies eine zu optimistische Prognose ist angesichts der konjunkturellen und strukturellen Probleme der Euro-Wirtschaft. Auch im EZB-Rat herrscht eine gewisse Skepsis bezüglich der eigenen Prognose. Gleich mehrere Ratsmitglieder können sich eine schlechter laufende Konjunktur vorstellen, wie aus dem Protokoll der Dezember-Sitzung hervorgeht. Eine geringere Wirtschaftsleistung würde den Inflationsdruck senken, sodass die Teuerung vielleicht doch schneller als gedacht auf 2,0% fällt.

Sollte die EZB also umschwenken und doch eine erste Zinssenkung bereits im Frühjahr ins Auge fassen? Nein, das wäre ein Fehler. Denn viel mehr spricht dafür, dass die Zeit noch nicht reif ist für eine Zinssenkung in den kommenden Monaten. Fiskalische Effekte wie die Mehrwertsteuererhöhung für die Gastronomie werden dazu führen, dass der Inflationsdruck zum Jahresstart hoch bleibt. In den kommenden Monaten dürfte die Inflation zwar wahrscheinlich wieder etwas nachlassen, doch starke Rückgänge wird es nicht geben. Die deutlichen Fortschritte 2023 hingen maßgeblich damit zusammen, dass die Energiepreise im Jahr zuvor extrem hoch waren.

Hohe Kernrate

Ein deutlicher Rückgang der Inflationsrate im vergangenen Jahr war deshalb keine Kunst. Schließlich fiel die Energie im Jahresvergleich einfach deutlich günstiger aus, was die Inflation massiv dämpfte. Mit diesem Basiseffekt ist es jedoch nun vorbei, da mit dem neuen Jahr die Preise 2023 den Vergleichswert für die Berechnung der Inflationsrate bilden. Die Kerninflation zeigt, dass der Weg bis zum Inflationsziel noch weit ist. Zwar sinkt die Teuerung inzwischen und sollte dies auch 2024 tun. Doch liegt sie aktuell bei 3,4%, was zu viel ist, um mit dem Preisstabilitätsziel der EZB in Einklang zu stehen.

Auswärtsrisiken für die Inflation

Zudem gibt es derzeit zahlreiche Auswärtsrisiken für die Inflation. Die Angriffe der Huthi auf Frachtschiffe im Roten Meer stören den Welthandel. Die Folge sind höhere Logistikkosten und Lieferkettenstörungen, da Reedereien vermehrt Umwege wählen, um den Suezkanal zu umschiffen. Sollte sich diese Lage verfestigen, verstärken höhere Produktionskosten und ein niedrigeres Warenangebot die Inflation. Bislang führt der Krieg im Nahen Osten nicht zu einem Anstieg der Energiepreise. Je nachdem, wie sich der Konflikt entwickelt, könnte sich dies jedoch ändern. Auch innerhalb Europas gibt es ein Aufwärtsrisiko für die Teuerung. Angesichts der Kaufkraftverluste von Arbeitnehmern, vor allem 2022, dringen Gewerkschaften 2024 verständlicherweise auf hohe Tarifabschlüsse. Ihre Verhandlungsposition ist gut, denn der demografische Wandel erhöht die Macht der Arbeitnehmer. Und ein weiterer Punkt spricht dafür, dass die EZB nicht zu spät dran ist mit Zinssenkungen, wenn sie im Frühjahr noch die Füße stillhält. Die Markterwartungen an eine baldige Zinssenkung lockern die Finanzierungsbedingungen – was wiederum die Notwendigkeit einer tatsächlichen Zinssenkung weiter in die Zukunft verschiebt.

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