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Für ITA Airways wird langsam die Zeit knapp

Die Entscheidung über den Zuschlag für die staatliche italienische Airline ITA Airways verzögert sich erneut. Allerdings gibt es keine echte Alternative zum Bündnis der Lufthansa mit der Reederei MSC.

Für ITA Airways wird langsam die Zeit knapp

Von Gerhard Bläske, Mailand

Das Bieterduo aus der deutschen Lufthansa und der in Genf beheimateten Reederei Mediterranean Shipping Company (MSC) gilt seit Wochen als klarer Favorit für die Übernahme der staatlichen italienischen Airline ITA Airways. Doch die Regierung zieht ihre Entscheidung immer mehr in die Länge. Dabei gibt es keine ernsthafte Alternative zu dieser Offerte. Der US-Investor Certares, der eine kommerzielle Partnerschaft mit Air France-KLM anstrebt, hat ein deutlich unattraktiveres Angebot vorgelegt, heißt es aus Regierungskreisen.

Über die Gründe für das Zögern Roms kann man nur mutmaßen. Die Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi wackelt und der Premierminister verhält sich sehr vorsichtig. Dabei ist es weder im Interesse Italiens noch von ITA, dass es zu weiteren Verzögerungen kommt. Bereits im Juni hatten Lufthansa-CEO Carsten Spohr und MSC-Chef Gianluigi Aponte Draghi in einem Brief zur Eile gemahnt, und ITA-CEO Alfredo Altavilla hat wiederholt darauf hingewiesen, dass jeder weitere Verzug ITA schadet.

Lufthansa-MSC haben angeblich 800 bis 850 Mill. Euro für 80 % der Anteile geboten, während Certares nur 500 bis 550 Mill. Euro zahlen will. Entscheidend für Italien und ITA sind jedoch die strategischen Perspektiven. Für die Lufthansa ist Italien der zweitwichtigste Auslandsmarkt, mit 2 440 Flügen pro Woche und 3,8 Millionen transportierten Passagieren (2021). Es werden dort mehr Destinationen (22) angeflogen als in Deutschland. Vor allem das Geschäft mit den vielen Mittelständlern ist für die Lufthansa von großer Bedeutung. Deutschland ist für Italien der wichtigste Handelspartner.

Kosten trägt der Steuerzahler

ITA und Rom liegen besonders Interkontinentalverbindungen aus der Hauptstadt und leistungsfähige Frachtverbindungen am Herzen. Lufthansa-Partner MSC ist an guten Flugverbindungen in die Hafenstädte interessiert: Für die Fähr- und Kreuzfahrtschiffe, vor allem aber für die Containerschifffahrt.

Dem Vernehmen nach will MSC zunächst 60 % übernehmen, Lufthansa 20 %, weitere 20 % verblieben beim Staat. Doch der Teufel steckt im Detail. Die Gemengelage ist schwierig. Die Geschichte der ITA-Airways-Vorgängerin Alitalia ist eine Geschichte des Grauens. Es gab unzählige Rettungsversuche. In ihrer 74-jährigen Geschichte hat Alitalia nur dreimal schwarze Zahlen geschrieben. Den Steuerzahler kostete die Airline in den letzten 45 Jahren etwa 13 Mrd. Euro. Dazu kommen Schulden von 3 Mrd. Euro, mit denen sich Alitalia verabschiedete. Die Kosten trägt ebenfalls der Steuerzahler.

ITA Airways ist aber weder Rechts- noch wirtschaftlicher Nachfolger von Alitalia. Die Gesellschaft startete im Oktober 2021 schuldenfrei und erhielt als Dreingabe 1,35 Mrd. Euro vom Staat. Weitere 1,6 Mrd. Euro könnten dazukommen. Für viele ist das ein Fass ohne Boden. Die sonst so scharfzüngige EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager erwies sich als Papiertiger.

Der ITA-Start verlief trotz schwieriger Rahmenbedingungen relativ gut. Die Einnahmen sind durch den Tourismusboom stärker gestiegen als erwartet. Wären nicht die Kerosinpreise so explodiert, läge ITA laut Altavilla auch auf der Ertragsseite über Plan. Doch die politischen, ökonomischen und gesundheitlichen Unsicherheiten wachsen. Eine schnelle Entscheidung tut not.

Zwar wurden die Bodenabfertigung und die Wartung ausgegliedert und an Swissport bzw. Atitech vergeben. Doch ITA Airways, die derzeit 2 800 Mitarbeiter beschäftigt, hat sich nach einem im Dezember 2020 vorgelegten Strategieplan der damaligen Führung in einem „Basisszenario“ vorgenommen, bis 2025 wieder 9 100 bis 9 500 Beschäftigte zu haben, fast so viel wie die einst 10 600 Mitarbeiter, und mit dann 110 Flugzeugen einen operativen Gewinn von 238 Mill. Euro (Marge: 7 %) einzufliegen. Der Plan ist „überarbeitet“ worden. Über die aktualisierten Ziele ist nichts bekannt. Nur so viel: Die Flugzeugflotte ist mittlerweile von 52 im vergangenen Jahr auf 66 Flugzeuge gewachsen und soll bis zum Jahresende 75 Maschinen erreichen. Das wären elf Flugzeuge weniger als im Strategieplan vom Dezember 2020 vorgesehen.

In dem alten Plan, der zumindest in dieser Hinsicht dem neuen ähnlich sein dürfte, setzt ITA Airways neben einer starken Zunahme des Flugverkehrs auf drastische Kostensenkungen − durch Produktivitätszuwächse, Personaleinsparungen, aber auch niedrigere Ausgaben für Kerosin durch den Einsatz modernerer und effizienterer Flugzeuge. Ob das unter den aktuellen Rahmenbedingungen realistisch ist, sei dahingestellt. Klar ist: ITA ist allein zu klein und zu schwach. Deshalb gehörte ein starker Partner von Anfang an zum Szenario.

Kostensenkungen

Ex-Fiat-Manager Altavilla hat eine Reihe von Maßnahmen getroffen und etwa die Löhne der Mitarbeiter gegenüber den Alitalia-Zeiten deutlich reduziert. Aber es bleiben Unsicherheiten − auch wegen mehrerer Tausend Ex-Alitalia-Mitarbeiter, die derzeit großzügiges Kurzarbeitergeld erhalten, und wegen der Rolle des Staates, der als Aktionär an Bord bleibt. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass der Staat auf Druck immer reagiert hat und einknickte, wenn Beschäftigte und Gewerkschaften auf die Barrikaden gingen.

Sobald sich die Regierung in Rom endlich entschieden hat, ist es an Lufthansa und MSC, ein Konzept vorzulegen, das wenigstens halbwegs auch in Zeiten der wieder aufflammenden Corona-Pandemie, des Krieges in der Ukraine, der sich eintrübenden Konjunktur sowie explodierender Energie- und Kerosinpreise Bestand haben kann. Die Herausforderung ist groß, zumal ITA im Heimatmarkt Ryanair weit hinterherfliegt und sich starker Konkurrenz von Easyjet, Wizz Air und Volotea erwehren muss. Für die Lufthansa sprechen die positiven Erfahrungen bei der Eingliederung von Austrian, Swiss und Brussels Airlines. Ginge das Konzept auf, wäre es wohl ein Segen für ITA Airways und Italien. Dass es diesmal klappt, ist aber nicht gesichert.

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