Tui

In schweren Wassern

Fritz Joussen verlässt Tui, nachdem die „harte Krise“ gebannt scheint. Davon, dass er ein wohlbestelltes Haus hinterlässt, kann indes nicht die Rede sein. Massen- und Pauschaltourismus ist in der Kritik, und der Wettbewerb schläft nicht.

In schweren Wassern

Tui-Chef Fritz Joussen gehört zu den Managern, für die das Glas immer eher halb voll als halb leer ist. Auch in der schlimmsten Zeit der Pandemie, als der Geschäftsbetrieb zeitweise völlig zum Erliegen gekommen war und die Kasse sich in Rekordzeit leerte, warb er unermüdlich für Überbrückungshilfen in der festen Überzeugung, dass das Wachstum im Reiseverkehr zurückkehren werde. Die Rechnung ist insoweit aufgegangen, als sich der Nachholbedarf der Kunden nach zwei Jahren Corona­krise in einem geballten Ansturm auf die Urlaubsziele entlädt, der die Reise- und Luftverkehrsbranche schon wieder zu überlasten droht. Nicht nur an Flughäfen und bei Airlines fehlt es an Personal, auch bei den Touristikunternehmen selbst ist der Mangel eklatant, vor allem in den Urlaubsgebieten vor Ort, wo auch die Tui ihre Beschäftigtenzahl in der Krise deutlich reduzieren musste.

Aber natürlich ist das Glas halb voll, denn Knappheiten und Kapazitätsengpässe sind ein Luxusproblem verglichen mit der Grabesstille der jüngsten Vergangenheit. Dennoch können sie eine durchgreifende Erholung des Geschäfts bremsen, und die Tui kann eigentlich auf keinen Euro verzichten. Denn finanziell ist der Konzern trotz allem noch in schweren Wassern. Er benötigt den üppigen Cashflow der laufenden Sommersaison dringend, sowohl um sich für den Winter zu rüsten als auch um die Glaubwürdigkeit am Kapitalmarkt wiederherzustellen. Nach drei Kapitalerhöhungen, die alle für die Ablösung von Altschulden oder die teilweise Rückgabe von Staatskrediten verpufft sind, dürfte es für Tui schwierig werden, die Aktionäre in absehbarer Zeit erneut zur Kasse zu bitten. Für die notwendige Stärkung der Bilanz wird der weitere Abbau der Schulden, die netto zuletzt noch bei knapp 4 Mrd. Euro lagen, unterdessen immer dringlicher. Denn die von den Notenbanken eingeleitete Zinswende hat das Zinsniveau am Kapitalmarkt stark steigen lassen, und eine Trendumkehr ist nicht absehbar. Tui kommt zupass, dass die noch verbliebenen staatlichen Kreditlinien bis Mitte 2024 verlängert wurden, aber dann muss der Konzern so weit sein, sich gegebenenfalls ohne entsprechende Rückendeckung zu refinanzieren.

Tui hat die Krise genutzt, um die von Joussen entwickelte „Asset-right-Strategie“ voranzutreiben, indem weiterer Ballast abgeworfen wurde. So wurde die Flotte der Airline zurechtgestutzt und Hotelimmobilien wurden versilbert. Beides trägt dazu bei, die enormen Leasingkosten, die insgesamt für Hotels, Flugzeuge und Schiffe anfallen, etwas zu senken. Allerdings hat sein Nachfolger nun für weitere Bilanzverkürzungen keine allzu großen Spielräume mehr. Ob allein das nachhaltig angelegte Sparprogramm, mit dem der Konzern auch operativ schlanker geworden ist, ausreicht, um für die künftigen betrieblichen Herausforderungen gerüstet zu sein, muss sich zeigen.

Schon auf kurze Sicht dürften steigende Kosten durch höhere Energiepreise und Lohndruck zum Testfall für die Branche werden. Die angestaute Reiselust hat die Kunden in der laufenden Saison für Preissteigerungen desensibilisiert. Das wird kaum so bleiben, wenn die Inflation den Konsum dämpft. Auf den aus der Asche auferstandenen Tourismus kommt darüber hinaus perspektivisch eine Gretchenfrage zu, für die besonders die Tui mit ihrer Verankerung bei Pauschalreisen in Hotel- oder Kreuzfahrturlauben Antworten finden muss. Denn beides sind Massenveranstaltungen, die sich mit ESG-Kriterien, die Anleger verstärkt an ihre Investments knüpfen, nicht leicht in Einklang bringen lassen. Egal, ob es um massenhaftes Fliegen, Bettenburgen oder Horden von Kreuzfahrern geht, die die Bevölkerung mancher Zielorte regelrecht überrennen: Dieser Tourismus lädt sowohl unter umweltpolitischen als auch sozialen Gesichtspunkten zu Kritik ein. Und die spielt Wettbewerbern in die Hände, die in hohem Maße auf Individualtourismus setzen.

Airbnb, Booking.com, Getyourguide sind Unternehmen unterschiedlichen Kalibers, die alle an unterschiedlichen Punkten der Tui-Wertschöpfungskette ansetzen – und dies mit großem Erfolg. Um dem wirkungsvoll zu begegnen, wird das Unternehmen deutlich stärker in eigene digitale Plattformangebote investieren müssen – und vielleicht wird ein Vorgehen mit Bordmitteln nicht ausreichen. Dies gilt vor allem für den lukrativen und fragmentierten Markt mit Urlaubserlebnissen. Sebastian Ebel wird als neuer Tui-Chef Finanzakrobatik brauchen­, aber auch neue Ideen, wo die Reise hingehen soll.

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