Luftfahrt

Lufthansa muss die Kröte ITA schlucken

Lufthansa-Chef Carsten Spohr will das Unternehmen internationaler aufstellen und unter anderem die Präsenz im italienischen Markt erhöhen. Dafür muss die Fluglinie die Kröte ITA schlucken.

Lufthansa muss die Kröte ITA schlucken

­Man erinnere sich: Als die italienische Regierung im vergangenen Herbst mit dem Finanzinvestor Certares exklusive Verhandlungen über den Kauf der ITA vereinbarte, interpretierte Lufthansa-Chef Carsten Spohr das als den Abschied von einer tatsächlichen Privatisierung der italienischen Staatsairline. Denn Certares soll der Politik des südeuropäischen Landes damals anders als die deutsche Airline weitreichende Mitspracherechte eingeräumt haben. Der Deal kam nicht zustande, nun bietet die Lufthansa erneut für ITA. Anders als ursprünglich geplant sollen nicht 80 % der Fluglinie, sondern zunächst nur eine Minderheitenbeteiligung an die Deutschen gehen. Damit behielte der italienische Staat weiterhin die Hand auf der Mehrheit an dem Unternehmen und hätte größere Spielräume, sich einzumischen. Ist das denn nun eine Privatisierung nach damaliger Spohr’scher Lesart? Eher nicht.

Der Blick hinter die Kulissen offenbart, dass die Lufthansa wohl bewusst bei ITA nicht gleich voll ins Risiko geht. Denn man ist sich in Frankfurt durchaus bewusst, dass die italienische Politik ein unzuverlässiger Partner sein könnte. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hatte vor ihrer Wahl betont, kein nationales Unternehmen an Ausländer verkaufen zu wollen, schon gar nicht an die Deutschen. Nun ist bei Meloni und ihren Mitstreitern zwar anscheinend die Erkenntnis gereift, dass Lufthansa die letzte Chance für ITA sein dürfte – doch wer weiß, wie lange diese Einsicht Bestand hat. Gerade ist die Airlinebranche auf Erholungskurs, davon könnte irgendwann sogar eine ITA profitieren, und dann wird der potenzielle Retter womöglich vom Hof gejagt oder zumindest stärker an die Kandare genommen. Auszuschließen ist in Italien nichts. Nach dem Abgang des früheren Lufthansa-Partners MSC, vertraut im Umgang mit den Wirrungen der italienischen Politik, muss es Lufthansa nun allein richten – daher erst einmal das vorsichtige Herantasten und Austesten, was geht und was nicht geht.

Weil nun zunächst eine Minderheitsbeteiligung im Raum steht, mit der Option, in wenigen Jahren die komplette Kontrolle zu übernehmen, sind konkrete Absprachen zu den Details der Vereinbarung umso wichtiger. Auch in Belgien hatte Lufthansa bei Brussels Airlines einst nur eine Minderheit übernommen, saß aber operativ sofort im Cockpit – so soll es auch in Italien sein. Allerdings waren damals bei den Belgiern nicht der Staat, sondern private Anteilseigner wie Richard Bransons Virgin Group an Bord. Insofern bestand die Gefahr politischer Einflussnahme sehr viel weniger als im aktuellen Fall.

Strategisch und wirtschaftlich macht der Deal in Italien Sinn. Das südeuropäische Land ist für die Lufthansa einer der wichtigsten Märkte weltweit, und mit eigenen Ablegern hat man dort nie richtig Fuß fassen können, schon gar nicht im gewinnbringenden Langstreckengeschäft. Muss die deutsche Fluglinie für die Minderheitsbeteiligung tatsächlich nur die zuletzt kolportierten 200 bis 300 Mill. Euro zahlen, ist das ein Schnäppchen, bekommt sie doch für den Preis von zwei Großraumfliegern Zugriff auf eine ganze Flotte von rund 70 Maschinen – in Zeiten eines heraufziehenden Flugzeugmangels ist das ein gewichtiges Argument für den Deal. Das neue Drehkreuz Rom würde es der Lufthansa-Gruppe zudem erlauben, ihre größer gewordene Flotte wirtschaftlich noch sinnvoller zu verteilen, so dass am Ende die Langstreckenflieger, die über Gedeih und Verderb entscheiden, optimal gefüllt werden können. Rom ist so weit von den anderen Drehkreuzen der Airline-Gruppe – Frankfurt, München, Brüssel, Zürich und Wien – entfernt, dass dort tatsächlich ein ganz neuer Markt erschlossen werden kann. Die italienische Hauptstadt würde sich zudem für Verkehre nach Afrika und Südamerika anbieten – Letzteres eine Schwachstelle im Lufthansa-Netz, die allerdings durch eine Übernahme der portugiesischen TAP leichter zu beheben wäre.

Hinter dem Zugriff in Italien steckt auch der Plan von Spohr, die Airline internationaler aufzustellen und sie von Deutschland unabhängiger zu machen. Auf der Kundenseite ist das bereits gelungen, nur noch ein Drittel der Passagiere stammt aus dem Heimatmarkt. Große Hoffnung setzt der Lufthansa-Chef derzeit auf das US-Geschäft, und auch hier würde die ITA-Übernahme ins Bild passen – im vergangenen Sommer hat Lufthansa mehr Amerikaner nach Italien geflogen als nach Deutschland. Unterm Strich kauft sich die deutsche Fluggesellschaft weniger die ITA als vielmehr einen besseren Zugang zu deren Heimatmarkt. Dafür muss man die Kröte ITA schlucken – ob man sich daran verschluckt, ist vor allem vom Verhalten der italienischen Politik abhängig.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.