Britische Klimapolitik

Null Instinkt

Boris Johnson ist sein politischer Instinkt abhandengekommen. Die Klimaziele seiner Regierung sind nicht mehr zu erreichen, doch er hält eisern daran fest. Wer dafür bezahlen soll, bleibt unklar.

Null Instinkt

Wie sich die Welt geändert hat! Vor dem UN-Klimagipfel in Glasgow im Herbst vergangenen Jahres gefiel sich die britische Verwaltung noch darin, die Erschließung neuer Erdgasvorhaben in der Nordsee zu torpedieren. Seit 2020 gab es keine neue Lizenzvergabe­runde der Oil & Gas Authority für Explorationsvorhaben. Nun hat man sich offenbar klargemacht, wie verrückt es ist, Flüssiggas aus Autokratien wie Katar zu importieren, wenn man über eigene Vorkommen verfügt. Doch man wollte Klimagipfel-Gastgeber Boris Johnson den Auftritt als Weltenretter nicht vermasseln.

Kurz darauf schossen die Gaspreise durch die Decke, die Lebenshaltungskosten ebenso. Schuld daran war nicht die russische Invasion der Ukraine, die hatte noch gar nicht begonnen. Es war vielmehr der Umstand, dass alle Welt gleichzeitig die Energiewende in Angriff nahm und Gas als Ersatzbrennstoff für die Übergangszeit verwenden wollte. Dieser Ansatz dürfte durch den Krieg obsolet geworden sein, denn auch wenn man, wie Großbritannien, in erster Linie Nordseegas verfeuert, hat es sich durch den Krieg in der Ukraine noch weiter verteuert.

Manch einem kommt die aktuelle Energiekrise wie gerufen. Die stärkere Nutzung regenerativer Energien sei der beste Ausweg aus der Abhängigkeit von unappetitlichen Öl- und Gaslieferanten, lautet das Argument der britischen Solar- und Windkraftverbände. Doch stammt bislang lediglich ein Viertel der produzierten Elektrizität aus erneuerbaren Quellen. Der Umstieg ist einfach nicht schnell genug möglich, um die nun wegbrechenden Ressourcen zu ersetzen. Deshalb werden Kohlekraftwerke wohl länger am Netz bleiben als gedacht. Das noch von Theresa May rechtsverbindlich gemachte britische Klimaziel – die grüne Null bis 2050 – rückt in weite Ferne. Wäre der Winter nicht ungewöhnlich mild gewesen, hätte die Versorgungssicherheit auf dem Spiel gestanden. Doch es fehlt immer noch der Mut, die Fehler in den Schönwetterszenarien der Vergangenheit zuzugeben und die Gasförderung in der Nordsee und die von Rolls-Royce entwickelten Mini-Atommeiler in Modularbauweise schnell genug voranzutreiben.

Die britische Regierung hat es nicht einmal vor dem Krieg geschafft, ein stimmiges Konzept dafür vorzulegen, auf welchem Wege sie das Land auf „Net Zero“-Kurs bringen will. Über die Kosten für die Bürger schwieg sie sich aus. Das Office for Budget Responsibility bezifferte die Kosten für den Übergang zur Nullemissionswirtschaft vor dem Gaspreisschock auf 1,4 Bill. Pfund, vorausgesetzt, man beginnt sogleich da–mit. Drei Viertel davon müssten Unternehmen und private Haushalte schultern, etwa durch den Einbau von Wärmepumpen oder elektrischen Boilern, bessere Isolation ihrer Häuser und den Kauf von Elektrofahrzeugen. Zu den von Abgeordneten vorge­tragenen Finanzierungsvorschlägen gehörte etwa die Idee, die Kosten durch Neuverschuldung­ künftigen Ge­nerationen aufzuladen. Schließlich seien sie es, die von der Energiewende profitieren werden. Das hört sich zwar erfrischend anders an als die ewigen Schuldzuweisungen der „Fridays for Fu­ture“-Aktivisten, ist aber ebenso kurzsichtig.

Es ist kein Zufall, dass sich der Rechtspopulist Nigel Farage nach seinem Erfolg in Sachen Brexit eine Volksabstimmung über die Klimapolitik auf die Fahnen geschrieben hat. Farage setzt darauf, dass viele Briten, die angesichts explodierender Energiekosten für einen sozialen Ausgleich plädieren, den Eindruck gewonnen haben, die Regierung entgegne ihnen, ein Ausgleich sei nur dann guten Gewissens zu befürworten, wenn er mit geringerem Verbrauch oder sinkenden Emissionen verbunden sei. Auch Johnson sieht das wohl so. Das mag daran liegen, dass ein Großteil der Ausgaben, die für die Energiewende anfallen, bei seinen Wählern und Parteispendern landet: Landbesitzern, Investoren und multinationalen Konzernen, die das Geschäft mit erneuerbaren Energien dominieren.

Angesichts der tiefgreifenden Veränderungen, die der Wandel zur Nullemissionswirtschaft mit sich bringt, wäre bessere Kommunikation wünschenswert – nicht nur in Großbritannien. Schließlich gibt es gute Argumente für die Energiewende, etwa die vermeidbaren Atemwegserkrankungen und Todesfälle, die auf die Luftverschmutzung in den Städten zurückgehen. Johnson erweist sich dabei zunehmend als blonde Null. Sein jüngster Vergleich von Brexit und ukrainischem Widerstand gegen Russland zeigt, dass ihm sein politischer Instinkt vollends abhanden gekommen ist.

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