Inflation

Unternehmen stellen sich auf dauerhaft höhere Preise ein

Dauerhafte Inflation – kommt sie oder kommt sie nicht? Während die europäischen Geldpolitiker noch nachdenken, schaffen die Manager Fakten. Die Unternehmen erhöhen reihenweise ihre Absatzpreise.

Unternehmen stellen sich auf dauerhaft höhere Preise ein

Von Michael Flämig, München

Wird die Inflation dauerhaft hoch bleiben? Während die Europäische Zentralbank noch grübelt, haben die Vorstände längst entschieden. Ihre Antwort lautet: ja. Dies zeigt die vergangene Quartalssaison. Die Berichte der deutschen Unternehmen sind gespickt mit Ankündigungen von Preiserhöhungen, und zwar quer durch alle Branchen. Die steigenden Rohstoffpreise schlagen durch. Doch nicht nur das. Die historische Sondersituation nach der Pandemie mit hoher Nachfrage bei knappem Angebot auf zahlreichen Märkten macht es möglich, die geplanten Erhöhungen wirklich durchzusetzen. Auffallend ist: Die viel diskutierte Lohn-Preis-Spirale spielt keine Rolle. Noch nicht. Bisher sind die Ausgaben für Materialien, Fracht und Energie die entscheidenden Faktoren.

So wie beim Großküchenausstatter Rational. Er hat einen Ruf zu verlieren. Eigentlich. Denn das bayerische Unternehmen hat seine Preise in vielen Märkten mehr als zehn Jahre lang fast nicht verändert, trotz zahlreicher Neuerungen an den Gargeräten für Profiköche. Doch Vorstandsvorsitzender Peter Stadelmann muss seit Jahresbeginn für Vorprodukte und Rohstoffe viel tiefer in die Tasche greifen. Teilweise werde ein Vielfaches fällig, so seine Beobachtung. Rational stimmt die Kundschaft daher auf neue Zeiten ein. Die Preise werden im Schnitt um 6% heraufgesetzt. Andere Maschinenbauer gehen den gleichen Weg. Krones als Hersteller von Verpackungs- und Getränkeabfüllanlagen hat seine Preise bereits im August um ebenfalls 6% erhöht.

Aktuell fällt nicht nur auf, dass Firmen nach teils jahrzehntelanger Abstinenz an der Preisschraube drehen. Darüber hinaus sind Erhöhungen zu beobachten, die im ersten Moment vermuten lassen, es handle sich um einen Tippfehler. Beispiel Wacker Chemie. Um 30% sind die Preise für Silikonprodukte Anfang Oktober gestiegen. Mitte Oktober folgten Polymerdispersionen, Dis­persionspulver und Festharze. Bis zu 20% mehr müssen die Kunden dafür zahlen. Der Chemiekonzern kann die Preissprünge gut begründen. Seine Charts zeigen, dass zahlreiche Rohstoffe so teuer sind wie nie. BASF-Vorstandschef Martin Brudermüller meldet noch kräftigere Aufschläge. Im Vergleich zur Vorjahreszeit hat das Unternehmen die Preise um 36% erhöht.

Hohe Preissetzungsmacht

Ein Detail zeigt, wie außergewöhnlich die Situation ist. Denn es werden Anhebungen zu ungewöhnlichen Zeiten durchgesetzt. Beispiel Heidelberg Cement. Die Branche erhöhe ja niemals Preise im Oktober/November, erklärte Vorstandsvorsitzender Dominik von Achten den Analysten Anfang November: „Aber wir haben eine Reihe von Ländern, in denen es im Moment funktioniert.“ Der Chef des Baustoffherstellers hat in Europa teils prozentual fast zweistellige Erhöhungen gewählt.

Drei weitere Beispiele bestätigen, dass die Preiserhöhungen durchsetzbar sind. Der Chemiekonzern Covestro hat seine gestiegenen Inputkosten im dritten Quartal komplett an die Kunden weitergereicht. Der Intralogistikkonzern­ Jungheinrich konnte Materialpreissteigerungen durch Preisanpassungen und Effizienzmaßnahmen sogar überkompensieren. Brenntag-Vorstandsvorsitzender Christian Kohlpaintner be­tont, man könne zwar nicht tun, was man wolle. Aber er diagnostiziert eine Preissetzungsmacht gegenüber dem Kunden: „Die Verfügbarkeit ist unter diesen Umständen viel wichtiger als der Preis.“ 

Preiserhöhungen von Maschinenbauern oder Grundstoffzulieferern treffen den Endkunden nicht direkt. Aber sie fressen sich durch die Wertschöpfungskette. Wolfgang Schäfer, Finanzvorstand des Zulieferers Continental, stellt nach der Preiserhöhung seines Unternehmens für Reifen von 5% im dritten Quartal fest: „Ich denke, sie muss an den Endverbraucher weitergegeben werden.“ Deutsche-Post-Finanzvorständin Me­­lanie Kreis schlägt in die gleiche Kerbe. Sie sei sehr zuversichtlich, „die Kostensteigerungen an den Kunden weiterzugeben“. 

Konsumgüterhersteller tun es be­reits. Unilever hat ihre Preise im dritten Quartal so stark erhöht wie seit Anfang 2012 nicht mehr. Mehr als 4% müssen die Kunden im Schnitt mehr bezahlen. Vorstandschef Alan Jope rechnet damit, dass die Kosteninflation im nächsten Jahr anhalten wird. Konsequenterweise kündigt er weitere „Preismaßnahmen“ an. Adidas-Vorstandschef Kasper Rorsted weist in die gleiche Richtung. Er avisiert für Anfang des nächsten Jahres Preiserhöhungen um einen mittleren einstelligen Prozentwert. Vincent Warnery, Chef des Konsumgüterkonzerns Beiersdorf, denkt ebenso: „Wir haben es im Juli schon in den Schwellenländern gemacht, und wir werden es zu Jahresbeginn auch in Europa tun.“ Das Ausmaß der Erhöhung liege auf dem Niveau des Wettbewerbs. Henkel-Finanzchef Marco Swoboda beziffert den Anstieg auf 3,4% im dritten Quartal.

Rabatte sind von gestern

Inflationstreibend sind nicht nur die Preiserhöhungen. Zumindest vorübergehend wirkt sich aus, dass die Kunden für die Waren die formal gültigen Preise auch wirklich zahlen. Rabattschlachten bleiben aus. Adidas-Finanzvorstand Harm Ohlmeyer zufolge hat dies die Bruttomarge im dritten Quartal um 2,5 Prozentpunkte erhöht. Ähnliche Effekte melden die Hersteller von Oberklasse-Autos. Audi und BMW können im laufenden Jahr zwar nicht so viele Fahrzeuge wie gedacht verkaufen, erhöhen aber trotzdem ihre Renditeprognose. „Anhaltend positive Preiseffekte bei den Neu- und Gebrauchtwagen“ beobachten die Münchner. In der Konsequenz halten sie eine Rendite 2021 für möglich, die so hoch ist wie seit dem Jahr 2012 nicht mehr.

War’s das mit dieser Preisrunde? Wohl kaum. Bayer-Vorstand Liam Condon formuliert, was einige Manager umtreibt. Für viele der Produkte könne das Unternehmen den Preis nur einmal im Jahr ändern, erklärt er: „Wenn man dieses Preissetzungsfenster verpasst, dann muss man warten.“ Im Klartext: Einige Firmen haben Nachholbedarf.

Nun sind Preiserhöhungen nicht populär. Mancherorts, wie bei Siemens, wird daher betont, es sei eine jährliche Routineprozedur. „Es ist nicht außergewöhnlich, dass man Preisanpassungen vornimmt“, er­klärt Finanzvorstand Ralf Thomas. Mag sein. Aber allein in der Rede zur Jahrespressekonferenz war fünfmal von „Preisanpassungen“ oder „Preismaßnahmen“ die Rede. In dem ganzen letzten Jahrzehnt nahm das Management diese Vokabel oder ähnliche Worte in keiner Rede zur Jahrespressekonferenz in den Mund. Es war nur von Preisdruck die Rede.

Währenddessen zeichnen sich die Kosten des Kampfes gegen den Klimawandel als nächster Preistreiber ab. Der Vorstandschef von Siemens Energy, Christian Bruch, will angesichts der Ausbauziele für erneuerbare Energien eine Preiswende für Windräder: „Natürlich wird man dann über Preiserhöhungen sprechen müssen.“

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