Europcar

VW-Vorstoß bringt Bewegung in den Auto­vermiet­markt

Wenn man den Worten von Erich Sixt Glauben schenkt, ist das geplante Projekt von Volkswagen mit Europcar spätestens auf operativer Ebene zum Scheitern verurteilt. Der ehemalige langjährige CEO des gleichnamigen Autovermieters aus Pullach bei...

VW-Vorstoß bringt Bewegung in den Auto­vermiet­markt

Von Stefan Kroneck, München

Wenn man den Worten von Erich Sixt Glauben schenkt, ist das geplante Projekt von Volkswagen mit Europcar spätestens auf operativer Ebene zum Scheitern verurteilt. Der ehemalige langjährige CEO des gleichnamigen Autovermieters aus Pullach bei München, vor kurzem in die Rolle des Chefaufsehers geschlüpft, äußerte sich einst skeptisch darüber, wenn Fahrzeughersteller mit dem Vermietgeschäft anbandeln: Sie beherrschen es nicht. Diese Meinung unterliegt selbstverständlich einem Wertberichtigungsrisiko, ist doch Sixt im Wettbewerb parteiisch.

Während BMW und Daimler einen solchen Schritt schon in der Vergangenheit gar nicht erst wagten, sondern sich auf Beteiligungen im Carsharing beschränkten, verzeichnete Volkswagen in diesem Geschäftszweig mit Europcar nur mäßigen Erfolg. Deshalb verkaufte der Wolfsburger Mehrmarkenkonzern seine Autovermietungstochter vor 15 Jahren an den französischen Finanzinvestor Eurazeo. Nun versucht das Dax-Schwergewicht den früheren Bereich zurückzukaufen.

Auf den ersten Blick wirkt das angesichts der Vergangenheit wie ein Tohuwabohu in der Strategie der Niedersachsen, bei genauerem Hinsehen ist dieser Plan von der Digitalisierung und dem Fortschreiten der Elektromobilität getrieben. Während BMW und Daimler mit ihrem zusammengelegten Mobilitätsdienstleistungsangebot um neue Kundengruppen werben, ist VW dabei, ihren Vertrieb zu verbreitern, um ihre wachsende Flotte von Elektromodellen zu vermarkten. Neben einem Abo-Angebot spielt Europcar eine Rolle. VW könnte mit einer Beteiligung an der Gesellschaft dessen Infrastruktur und Stationsnetz nutzen, um die eigenen E-Fahrzeuge besser zu vertreiben. Das würde dazu beitragen, die noch strengeren Abgasemissionsauflagen in der EU zu erfüllen.

Wenn Europas größter Autokonzern seine Fühler nach dem größten Autovermieter des Kontinents ausstreckt, kann das die Branche in Bewegung setzen. Denn allein schon Planspiele dieser Art der VW-Führung nötigen den Wettbewerbern Reaktionen ab, um ihre Marktposition in einer voraussichtlich neuen Konstellation zu verteidigen. Dass das allen Beteiligten viel an Kreativität, Innovation, Geld und Managementkapazitäten abverlangt, liegt auf der Hand. VW könnte für Europcar in einer schwierigen Phase neue Impulse setzen. Der weltweite Autovermietmarkt im Allgemeinen und der europäische im Besonderen befinden sich an einem Tiefpunkt. Der Coronaschock hat dem Segment deutlich zugesetzt. Im vergangenen Jahr brach der Umsatz weg. Viele Anbieter verbrannten Barmittel und fuhren tief in die Verlustzone. Der US-Konzern Hertz ging pleite (Chapter 11). Europcar machte 642 Mill. Euro Miese. Nur dank Sondererlösen aus dem Verkauf ihrer Leasing-Aktivitäten schrammte Sixt an einem Defizit vorbei (vgl. Grafik). Das erste Quartal dieses Jahres verlief mau. Die Impfkampagnen drängen die Pandemie zwar zurück, neue Mutationen des Virus (Delta-Variante) stellen aber ein Risiko dar. Ein Hoffnungsschimmer für die Branche ist das Tourismus-Sommergeschäft, während Dienstreisen weiterhin überschaubar bleiben.

Oligopolistische Struktur

Deshalb halten sich die großen Adressen mit Prognosen für 2021 zurück. Der Umsatz soll zwar steigen, das Niveau vor Ausbruch der Krise wird aber noch lange nicht erreicht. Für Europcar rechnen Analysten zwar mit einem geringeren Fehlbetrag, ihren Schätzungen zufolge dürfte Europas Branchenprimus einen Verlust nach Steuern von 109 Mill. Euro aufweisen. Das wäre immer noch hoch.

In dieser Gemengelage wächst der Konsolidierungsdruck. Die Karten werden möglicherweise neu gemischt. In Europa wie in den USA herrschen oligopolistische Strukturen vor: Nur wenige Unternehmen teilen den Kuchen unter sich auf. Auf dem Alten Kontinent dominieren fünf Anbieter rund vier Fünftel des Marktes. Nach Angaben des Informationsdienstleisters Euromonitor stand Europcar mit einem Marktanteil von 27% in Europa auf Rang 1 vor Ausbruch der Pandemie. An zweiter Stelle befand sich Avis Budget (18%), mit 14% gefolgt von Hertz Europe – die von der Pleite der US-Muttergesellschaft nicht unmittelbar betroffen ist –, Sixt (13%) und Enterprise (10%). Rund ein Fünftel des Geschäfts (18%) entfiel demnach auf „andere“ Häuser. Dahinter stehen hunderte von lokalen Anbietern, die vor allem vom Tourismus abhängig sind. Aufgrund einer im Schnitt sehr geringen Eigenkapitaldecke sind Letztere am stärksten gefährdet, aufgrund aufgezehrter Mittel die Grätsche zu machen, bevor das Geschäft wieder spürbar anzieht. Davon dürften die großen Häuser profitieren. Sie könnten ihre Marktanteile ausbauen.

Das ist aber kein Selbstläufer. Denn Filialen und Standorte vorübergehend zu schließen ist einfacher umzusetzen, als diese nach einer langen Pause wieder zu öffnen, räumte vor kurzem Erich Sixt ein. Zum sukzessiven Hochfahren des Geschäfts und gar einer Expansion nach der Krise benötigt man ausreichend finanzielle Mittel. Während Sixt trotz des Rückschlags weiterhin bilanziell gesund dasteht, musste sich Europcar Anfang des Jahres einer finanziellen Sanierung unterziehen. Diese beinhaltete auch eine Kapitalerhöhung. Für VW heißt das, dass ein Engagement bei Europcar trotz sich ergebender Geschäftschancen viel Geduld und Mittel abverlangen wird.