City of London

Warten auf den großen Knall

Der je nach Standort erhoffte oder befürchtete Big Bang 2.0 erweist sich zusehends als Mythos. Londons Finanzbranche hat kein Interesse an umfassender Deregulierung.

Warten auf den großen Knall

Es ist gut angekommen in der City of London, dass der neue Schatzkanzler Kwasi Kwarteng an seinem ersten Tag im Amt führende Vertreter der Finanzbranche zu sich gebeten hat. Prompt wurde der Mythos vom Big Bang 2.0 wiederbelebt. Bereits sein Vorgänger Rishi Sunak hatte unter diesem Motto Hoffnungen auf eine strahlende Zukunft durch eine umfassende Lockerung der Regulierung geweckt. In Brüssel malte man immer wieder den Teufel in Form eines Singapore-on-Thames an die Wand. Tatsächlich hätte das Land die Möglichkeit, im Alleingang wesentlich schneller Vorschriften zu ändern als die Mitglieder der Staatengemeinschaft. Doch bislang wartete man auf den großen Knall vergebens, getan hat sich seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU nicht viel.

Das lag nicht unbedingt an Tom Scholar, dem ranghöchsten Beamten im Schatzamt. Ihn zu feuern, war trotzdem eine gute Entscheidung Kwartengs – „pour encourager les autres“, wie Voltaire einst die Exekution von Admiral John Byng in Portsmouth beschrieb. Schließlich galt Scholar als Bremsklotz und Repräsentant des in der Ministerialbürokratie weit verbreiteten orthodoxen Gruppendenkens. Der radikale Brexit-Befürworter Kwarteng dürfte bei seinen Gesprächen mit City-Granden festgestellt haben, dass bei den großen Unternehmen der Branche ein großes Interesse am Fortbestand einer funktionstüchtigen, international anerkannten Aufsicht besteht. Für sie spielt es keine Rolle, wo die Regeln herkommen, nach denen sie sich zu richten haben, solange die Regeln ihren Zweck erfüllen. Forderungen nach mehr Wettbewerbsfähigkeit und Offenheit werden von ihnen immer Applaus erhalten. Die Idee, die bestehenden EU-Regelwerke für ein Freudenfeuer der Deregulierung zu nutzen, ruft dagegen eher Angstschweiß bei ihnen hervor. Schließlich könnte das nicht nur den guten Ruf der City gefährden, sondern auch den eigenen.

Sieht man sich an, wer in der Finanzbranche weltweit den Ton angibt, sind es vor allem die großen US-Banken, denen einst der von Margaret Thatcher ausgelöste erste Big Bang den Weg an die Themse bahnte. Sie haben kein Interesse an weiteren Handelshemmnissen zwischen Großbritannien und Kontinentaleuropa. Kein Wunder, dass Kwarteng auf seinen Wunsch, Ideen für aufsichtsrechtliche Reformen zu formulieren, nur wenig Rückmeldungen bekam. Die wesentlichen Akteure in diesem Geschäft wollen gar keinen Big Bang 2.0. Er ist wohl ohnehin nicht viel mehr als eine romantische Idee. Klar, der EU-Austritt hatte auch in der britischen Finanzbranche Unterstützer. Wertpapierhändler und Bankmanager könnten sich sicher für die Idee erwärmen, Obergrenzen für Sonderzahlungen zu streichen. Auch die seit der Finanzkrise in die Höhe geschraubten Kapitalanforderungen können lästig sein, wenn man ein großes Rad drehen will. Hedgefondsmanager hätten vielleicht auch noch die eine oder andere Idee. Die Frage ist nur, warum die Regierung den Weg für allerlei Abenteurertum frei machen soll, wenn am Ende alle die Kosten dafür tragen müssen. Die Kosten für die staatliche Rettung der Royal Bank of Scotland in der Finanzkrise sind bis heute nicht wieder hereingekommen. Vielen Briten ist das bis heute schmerzlich bewusst.

Wenn in den kommenden Monaten ein Big Bang ansteht, dann zwischen Regierung und Aufsichtsbehörden. Andrew Bailey, der Gouverneur der Bank of England, läuft bereits Sturm gegen das noch von Sunak auf den Weg gebrachte neue Finanzdienstleistungsgesetz. Er fürchtet, dass die Unabhängigkeit der Bankenaufsicht dadurch untergraben wird, denn es gibt dem Schatzamt die Möglichkeit, die Regulierer zu überstimmen. Premierministerin Liz Truss brachte gar eine mögliche Zusammenlegung von Banken- und Finanzaufsicht ins Spiel, was für eine ganze Reihe von Mandarinen mit einem erheblichen Ansehensverlust verbunden wäre. Tatsächlich hat man in der Regierung nicht viel für Aufseher und Karrierebeamte übrig, die in der Vergangenheit noch jede Regel aus Brüssel zum Goldstandard erhoben und auch auf die Einhaltung solcher Vorgaben drängten, die anderenorts geflissentlich ignoriert wurden. Doch bringt ein solcher Streit das Land nicht weiter. Wichtiger wäre es, genau zu verfolgen, was derzeit auf der anderen Seite des Ärmelkanals überlegt wird, wenn es um Basel 3.1 und die Reform von Solvency II geht. Sonst steht Großbritannien am Ende mit einer restriktiveren Regulierung da als die europäischen Wettbewerber. Scholar hat, im Vergleich zu anderen hochrangigen Staatsdienern, die von den Tories vor die Tür gesetzt wurden, die Tür leise hinter sich zugemacht. Kwarteng sollte unbedingt versuchen, einen großen Knall zu vermeiden.

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