Ralf Gierig

„Ein italienisches Format funktioniert nicht“

Der Finanzvorstand von ProSiebenSat.1 erklärt, warum er einen europäischen Senderverbund mit Media for Europe ablehnt. Die Pläne des italienischen Großaktionärs bleiben unklar – auch wenige Tage vor der Hauptversammlung.

„Ein italienisches Format funktioniert nicht“

Herr Gierig, am kommenden Donnerstag findet die Hauptversammlung von ProSiebenSat.1 statt. Rechnen Sie mit Querschüssen von Ihrem Großaktionär Media for Europe?

Wir erwarten eine ruhige Hauptversammlung, ohne Überraschungen. Media for Europe hat sich klar positioniert, die Wahl von Andreas Wiele in den Aufsichtsrat zu unterstützen und sich, wie wir der Presse entnommen haben, im Fall von Bert Habets und der Wiederwahl von Rolf Nonnenmacher zu enthalten. Nachdem wir in den Gesprächen mit Investoren große Unterstützung für die Positionen der Gesellschaft erfahren haben, sind wir zuversichtlich, dass alle drei gewählt und auch die anderen Tagesordnungspunkte von der Mehrheit unterstützt werden.

Media for Europe hatte angekündigt, Vorstände und Aufsichtsräte einzeln entlasten zu wollen. Da hätte es also einen Denkzettel für Vorstandschef Rainer Beaujean und den scheidenden Aufsichtsratsvorsitzenden Werner Brandt geben können.

Den Vorschlag für eine Einzelentlastung halten wir nicht für sinnvoll, denn sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat treffen ihre Entscheidungen als Team. Auch die großen Stimmrechtsberater wie ISS, Glass Lewis und Ivox unterstützen eine kollektive Entlastung wie in den vergangenen Jahren. Das entspricht auch der gängigen Corporate-Governance-Praxis im Dax und MDax.

Also ist das Thema Einzelentlastung vom Tisch?

Vorstand und Aufsichtsrat schlagen der Hauptversammlung weiterhin eine Gesamtentlastung des jeweiligen Gremiums vor.

Warum ist Media for Europe jetzt doch mit dem früheren Springer-Vorstand Andreas Wiele als Nachfolger von Aufsichtsratschef Werner Brandt einverstanden? Das hatte sich vor ein paar Monaten ganz anders angehört.

Das muss Ihnen MFE erklären. Wir als Vorstand begrüßen es, dass sie Herrn Wiele unterstützen. Wir würden uns das auch für die anderen beiden Kandidaten wünschen, schließlich erfüllen sie einwandfrei die Kompetenzkriterien unseres Aufsichtsrats. Auf der Roadshow mit Investoren gab es unisono Zustimmung dazu.

Ihr Aufsichtsrat hat Media for Europe ermuntert, einen eigenen Kandidaten vorzuschlagen. Wa­rum lehnt der Aktionär das ab?

Dazu kann ich nichts sagen. Wir haben diese Entscheidung zur Kenntnis genommen.

Unter Umständen könnte MFE die Mehrheit in der Hauptversammlung haben. Mit welcher Präsenz rechnen Sie?

Im vergangenen Jahr hatten wir 57%, und ich erwarte in der nächsten Woche eine ähnlich hohe Präsenz. MFE ist laut Stimmrechtsmitteilung mit einem Anteil am Aktienkapital von aktuell circa 22% unser größter Aktionär, die anderen Aktionäre halten 78%. Unsere Gespräche mit institutionellen Investoren haben gezeigt, dass großes Interesse an unserer Hauptversammlung besteht. Auch die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz hat zur Teilnahme ermuntert.

Führen Sie Gespräche mit dem Vorstand von Media for Europe? Laut MFE-Finanzchef Marco Giordani ist das Verhältnis „bisher eher formell“.

Dem stimme ich zu. MFE ist ein Aktionär, und wir sind verpflichtet, alle gleich zu behandeln. Wir haben allerdings mehrfach ein Gesprächsangebot gemacht, um zu verstehen, welche Vorteile aus Sicht von MFE eine paneuropäische Strategie haben könnte.

Warum überzeugt Sie die Idee eines Senderverbunds von Media for Europe nicht?

MFE hat uns bisher nicht erklärt, wo sie Vorteile eines solchen Konzepts sehen. Wir selbst haben ja bereits Erfahrungen mit einem paneuropäischen Medienkonzern gemacht, als wir 2007 die SBS Broadcasting Group erworben hatten.

… mit Fernsehsendern in den Niederlanden, Belgien, Skandinavien und Osteuropa.

Und die haben wir 2011 und 2012 in Schritten wieder verkauft, weil wir feststellen mussten, dass die Fernsehmärkte national und durch Sprachbarrieren getrennt sind. Es hat eben keine nennenswerten Kostensynergien gegeben, selbst beim Einkauf von US-Programminhalten nicht.

ProSiebenSat.1 setzt stattdessen auf lokales Programm und Live-Shows im deutschsprachigen Gebiet.

Das unterscheidet sich massiv von einem internationalen Verbund. Egal, ob Spielshow oder Comedy, ein italienisches Format funktioniert nicht in Deutschland und ein deutsches nicht in Frankreich. Das wird immer lokal produziert. Gleichzeitig haben wir unser Geschäft erfolgreich diversifiziert und nutzen Synergien. Mit dieser Strategie haben wir in den vergangenen zehn Jahren den Umsatz im Durchschnitt um 7% gesteigert und auf 4,5 Mrd. Euro verdoppelt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Wir denken nicht in Segmentgrenzen.

Was meinen Sie damit?

Wir nutzen unsere TV-Reichweite nicht nur zur direkten Monetarisierung mit Werbeerlösen. Sondern wir nutzen diese Reichweite auch indirekt, indem wir digitale Verbrauchermarken aufbauen, die von TV-Werbung profitieren. Wenn diese Synergien nicht mehr so groß sind, verkaufen wir und profitieren von der Wertsteigerung. Ein Beispiel ist das Gesundheitsunternehmen Windstar Medical.

Woran liegt es, dass MFE von Ihrer Strategie offenbar nicht überzeugt ist? Bezweifelt wird, dass ein Konglomerat aus Fernsehen, E-Commerce und Dating-Portalen langfristig Wert schaffen kann.

Wir sind eben kein Konglomerat, sondern eine integrierte Gruppe, in der wir mit unseren Geschäftsbereichen gemeinsam mehr Wert schaffen. Wenn wir uns das Umsatzwachstum über die letzten zehn Jahre oder auch die letzten beiden Jahre anschauen, sind wir mit unserer Strategie erfolgreicher als unsere direkten europäischen Wettbewerber, also auch als MFE.

Welchen Eindruck haben Sie: Wird sich Media for Europe mit einer Beteiligung an ProSiebenSat.1 begnügen oder irgendwann doch ein Übernahmeangebot machen?

Darüber will ich nicht spekulieren. Wir sehen es als Auszeichnung, dass MFE so viel Geld in ProSiebenSat.1 investiert. Das zeigt, dass sie das Potenzial unseres Geschäftsmodells sehen. Eine europäische Konsolidierung schafft aus unserer Sicht dagegen keinen offensichtlichen Wert.

Kann sich ProSiebenSat.1 auf Dauer gegen die Streaming- und Internetkonzerne behaupten?

Wir sind davon überzeugt, dass wir mit unserem linearen und digitalen Angebot sehr gut für eine sich weiter verändernde Mediennutzung aufgestellt sind. Unsere Strategie im Video-Streaming ist werbebasiert und profitiert stark von unserem lokalen und Live-Ansatz. Das unterscheidet uns von den US-amerikanischen Streaminganbietern. Gerade sieht man ja, dass die Abonnentenzahlen von Netflix auch nicht mehr in den Himmel wachsen. Eher im Gegenteil.

Und was spricht aus Ihrer Sicht gegen die Idee eines nationalen Champions , die Bertelsmann- und RTL-Chef Thomas Rabe verfolgt?

Diese Frage stellt sich nicht, das Medienkonzentrations- und das Kartellrecht sehen hierfür keine Grundlage. Im relevanten Werbemarkt kommen beide Gruppen zusammen auf einen Marktanteil von über 70 %. Wir erkennen auch nicht, wie ein Zusammenschluss unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern würde. RTL geht auch Richtung Print-Geschäft, wir konzentrieren uns ausschließlich auf Video-Inhalte. Aus Sicht der Meinungsvielfalt wäre eine Fusion sogar kontraproduktiv. Gerade in diesen Zeiten sieht man doch, wie wichtig Meinungsvielfalt ist. Der deutsche Markt kann hierfür sehr gut zwei große private Sendergruppen vertragen.

Kartell- und Medienaufsicht müssten doch die grundlegend veränderten Verhältnisse im Werbe- und Medienmarkt berücksichtigen, die die Konkurrenz mit den amerikanischen Streaming- und Internetkonzern mit sich bringt.

Wir können uns nur mit der vorherrschenden Rechtslage auseinandersetzen. Und demnach sind die Voraussetzungen für einen Zusammenschluss von RTL und ProSiebenSat.1 nicht gegeben.

Nach wie vor macht die klassische Werbung mehr als die Hälfte des operativen Gewinns von ProSiebenSat.1 aus. Das ist doch ein Klumpenrisiko.

Das sehe ich anders. Das Werbegeschäft ist sehr profitabel, und wir sind mit seinem hohen Ergebnisbeitrag sehr zufrieden. Auf der einen Seite arbeiten wir daran, das Werbegeschäft digitaler zu machen, auf der anderen Seite nutzen wir es, wie beschrieben, um digitale Verbraucherplattformen aufzubauen. 2021 lagen wir im Werbegeschäft auch wieder über dem Niveau des Vorkrisenjahres 2019.

Kürzen nun Werbekunden ihre Budgets wegen des Kriegs in der Ukraine, oder erwarten Sie ­ weiterhin fürs gesamte Jahr stagnierende bis 3% höhere Werbeerlöse?

Wir sind zuversichtlich, dass wir unsere Ziele in diesem und auch im nächsten Jahr erreichen können. Mehr kann ich so kurz vor unseren Quartalszahlen nicht sagen.

Der Börsengang der Parship Meet Group liegt auf Eis. Wie geht es mit diesem Plan weiter?

Dabei geht es um Anteile, die unser Partner General Atlantic in den Markt geben würde. Wir würden unseren Anteil von 55% behalten. Im Hintergrund arbeiten wir alle an den Vorbereitungen eines möglichen Börsengangs weiter. Sobald sich ein passendes Marktfenster ergibt, das eine wertschaffende Transaktion ermöglicht, sind wir bereit. Ich kann Ihnen aber aktuell nicht sagen, wann das konkret sein wird.

Für Ihre Produktionsgesellschaft Red Arrows gibt es offenbar einige Interessenten. Werden Sie den Teil in den USA verkaufen?

Die Marktgerüchte möchte ich nicht kommentieren. Unser Produktionsgeschäft läuft sehr gut, es hat sich nach dem Coronajahr 2020, in dem etliche Produktionen verschoben werden mussten, erholt und ist 2021 stark gewachsen. Synergien mit unserem deutschsprachigen Unterhaltungsgeschäft gibt es natürlich eher mit den europäischen Produktionsgesellschaften. Aber die Aussichten sind sowohl für den europäischen als auch für den US-amerikanischen Teil positiv.

Ist ein Verkauf vor allem eine Preisfrage?

Generell gilt in unserem Port­folio­management der Grundsatz, dass wir den bestmöglichen Wert für alle unsere Stakeholder schaffen ­möchten.

Das Interview führte Joachim Herr.

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