Elektrotechnik

ABB fährt weiterhin nur auf Sicht

Prall gefüllte Auftragsbücher und nachlassende Halbleiter-Engpässe dürften dem Elektrotechnikkonzern ABB in der zweiten Jahreshälfte Schwung geben.

ABB fährt weiterhin nur auf Sicht

dz Zürich

ABB hat sich auch im zweiten Quartal des laufenden Jahres einer starken Nachfrage ihrer Kunden erfreut. Der Auftragseingang, der nach dem Pandemiejahr 2020 im Folgejahr stark angezogen hatte, blieb im Berichtsabschnitt unverändert hoch. Für die nächsten drei Monate bis Ende September verspricht der Elektrotechnikkonzern und Siemens-Konkurrent ein zweistelliges Umsatzwachstum auf wechselkursbereinigter Basis. Damit verbunden ist die Erwartung, die markante Zunahme des durch Lieferschwierigkeiten entstandenen Auftragsüberhanges zu bremsen.

Wie es im kommenden Jahr weitergehen könnte, steht in den Sternen. „2023 ist weit weg“, sagte CEO Björn Rosengren in einer Telefonkonferenz mit Journalisten. „Wir haben keine Ahnung, bereiten uns aber auf ein herausforderungsreiches Jahr vor.“

Für Unsicherheit sorgt die drohende Energiekrise in Europa. ABB selbst sei in ihren Produktionswerken nur noch in relativ geringem Maß auf Gas angewiesen, sagte Rosengren. Über die Abhängigkeiten der Zulieferer von dem zum großen Teil aus Russland stammenden Energieträger habe man keine volle Übersicht.

Das Hauptproblem einer Energiekrise sieht der CEO aber weniger in möglichen Produktionsengpässen, sondern vielmehr in der Gefahr, dass sich die hohen Rohstoffpreise allzu tief in die Budgets der Haushalte hineinfressen und über deren Kaufkraftverlust eine Rezession bewirken könnten. ABB hat im Berichtsquartal fast 35% der Verkäufe in Europa realisiert. Die entsprechenden Anteile der Regionen Amerika und Asien/Naher Osten/Afrika erreichten 33% bzw. 32%.

In Bezug auf die Inflationsentwicklung zeigte sich Rosengren „ziemlich optimistisch“, dass diese den Höhepunkt überschritten hat. Für Investitionsgüterhersteller wie ABB, die für die Abwicklung von Bestellungen oft mehrere Monate und länger benötigen, ist die Teuerung ein gewichtiger Faktor in der Preiskalkulation. Dass ABB die operativen Gewinnmargen auch in dem garstigen Inflationsumfeld zu steigern vermochte und mit einem Wert von 14,9% schon fast an dem für 2023 ausgegebenen Zielwert von 15% angelangt ist, stützt Rosengrens Argument, dass der Konzern das Kalkulationsthema im Griff hat.

Der Schwede verwies in seinen Ausführungen auf den Umstand, dass ABB nach seinem Amtsantritt im März 2020 einen starken Akzent auf die Kosten gelegt habe. Sorge bereiten muss dem Konzernchef aber die deutlich verlängerte Zeitspanne zwischen Bestellungseingang und Abwicklung, die in dem massiv erhöhten Auftragsbestand beziehungsweise in dem stark ge­stiegenen Verhältnis zwischen Auftragsbestand und fakturiertem Umsatz zum Ausdruck kommt. Die Kennzahl hat im Vergleich zum Vorjahr um fast 30% zugenommen. Dahinter verbirgt sich in dem inflationären Umfeld ein erhebliches Kalkulationsrisiko.

Russland-Rückzug belastet

Für den Bestellungsstau sind nicht zuletzt die Lieferschwierigkeiten chinesischer Halbleiterlieferanten verantwortlich, die sich durch den Lockdown in China in den Monaten April und Mai verschärft haben. Rosengren sieht derzeit aber eine Entspannung bei der knappen Verfügbarkeit dieses für viele ABB-Erzeugnisse wichtigen Input-Faktors.

Alles in allem konnte der ABB-Chef den Anstieg der Formkurve des Konzerns bestätigen, obschon die ausgewiesenen Zahlen durch negative Wechselkurseinflüsse und andere Sondereffekte teilweise stark verzerrt werden. Zu diesen Sondereffekten gehört der nun definitive Ausstieg aus dem Russland-Geschäft, wo ABB in zwei Fabriken 750 Mitarbeiter beschäftigt hatte. Deren Aufgabe führte zu Wertberichtigungen in Höhe von 57 Mill. Dollar.

Mit der am Mittwoch angekündigten Abspaltung der Schweizer Turbolader-Herstellerin Accelleron löst Rosengren nun auch ein Versprechen ein, das er schon vor zwei Jahren abgegeben hatte. Der ebenfalls frühzeitig angekündigte Börsengang der ABB-Division E-Mobility wird aber aufgrund der unsicheren Börsenlage auf unbestimmte Zeit verschoben.

ABB
Konzernzahlen nach US-GAAP
1. Halbjahr
in Mill. Dollar20222021
Auftragseingang1818015745
Umsatz1421614350
Auftragsbestand1947715424
   in % des Umsatzes137107
Operatives Ebita21332072
  in % des Umsatzes14,914,4
Gewinn9831 254
Operativer Cashflow−1911 206
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