Künstliche Intelligenz am Wendepunkt
„Wir befinden uns an einem Wendepunkt“
Agentenbasierte künstliche Intelligenz ermöglicht der Finanzbranche enormen Produktivitätsschub
Von Andreas Hippin, London
Digitale Arbeitskräfte werden für einen enormen Produktivitätsschub in der Finanzbranche sorgen. Agentenbasierte künstliche Intelligenz liefert die Chance, die Belegschaft unbegrenzt auszuweiten. „Wir befinden uns an einem Wendepunkt“, sagte Zahra Bahrololoumi, die Landeschefin des US-Softwareunternehmens Salesforce für Großbritannien und Irland, am zweiten Tag der City Week in London. Begrenzte Kapazitäten, Burnout und vieles andere seien dann kein Thema mehr.
Der Optimismus ist groß: Einer gemeinsamen Studie von Finanzaufsicht FCA (Financial Conduct Authority) und Bank of England zufolge setzen 75% der Firmen der Finanzbranche bereits KI in nennenswertem Umfang ein. Die Aufsicht greift auf große Sprachmodelle (LLMs) zurück, um schneller und informierter handeln zu können. Von prädiktiver KI versprechen sich die Regulierer neue Einsichten in Echtzeit.
„Extrem skalierbare Talentbasis“
Klar sei, dass digitale Agenten wie Mitarbeiter sein werden, sagte Aidan Gomez, CEO des KI-Startups Cohere, auf der von City & Financial Global organisierten Konferenz. „Um menschliche Arbeit zu automatisieren, muss ich alle Daten sehen können, die die Menschen sehen.“ Sonst könne er seinen Job nicht machen. Man solle die Agenten als eine extrem skalierbare Talentbasis betrachten, empfahl Gomez. „Wir werden anfangen, uns auf sie zu verlassen.“
„Wir befinden uns erst ganz am Anfang“, sagte Gary Collier, Chief Technical Officer (CTO) der Man Group. Große Verwerfungen seien zu erwarten. Man müsse jeden darauf vorbereiten, ein Manager zu sein, nicht von Menschen, sondern von digitalen Agenten. Das muss nicht Stellenstreichungen im großen Stil bedeuten. „Wir sind nicht scharf darauf, Kunden digitale Agenten vorzusetzen“, sagte Jamie Ovenden, CTO von Schroders. Schließlich werde man von den Kunden dafür bezahlt, sie zu beraten. Die KI könne dafür bessere Informationen liefern.
Automatisierung des Kundendiensts
In anderen Bereichen der Finanzbranche ist man eher bestrebt, die bisherigen Mitarbeiter abzulösen: „Wir beobachten eine Ersetzung im Kundendienst“, sagte Gomez. Den wollten die großen Banken komplett automatisieren. Bei der Anlageberatung setzten sie dagegen auf Augmentation.
Die britische Aufsicht steht der Entwicklung aufgeschlossen gegenüber. Die FCA bietet eine „Supercharged Sandbox“ an, einen Sandkasten, in dem Firmen ihre Ideen ausprobieren können. Dabei können sie auf synthetische Datensätze und die Nvidia AI Enterprise Suite zugreifen. Zu den Einsatzmöglichkeiten, die dort getestet werden, gehören so unterschiedliche Themen wie finanzielle Inklusion und die Bekämpfung von Finanzkriminalität. Für Firmen, die bereits marktfähige KI-Modelle haben, bietet die FCA Live Testing an.
Verantwortlicher Einsatz
„Wir haben unseren eigenen Rahmen für den verantwortlichen Einsatz von KI“, sagte Jessica Rusu, Chief Data, Information & Intelligence Officer der Behörde. „Das wollen wir auch zu den Firmen bringen, die wir beaufsichtigen.“ Befragungen hätten ergeben, dass sich Unternehmen regulatorische Gewissheit wünschen, aber nicht unbedingt neue Regeln.
„Wir wollen einen verantwortlichen Einsatz von KI sehen“, sagte Tom Mutton, der bei der Bank of England für das Thema digitale Zentralbankwährung (CBDC, Central Bank Digital Currency) verantwortlich zeichnet. Zugleich ermutige man sehr zur Einführung von KI. Generell sei man bei der Regulierung agnostisch, was die verwendeten Technologien angeht. Man vermeide es, zu viel vorzuschreiben.
Dialog über die Regulierung
Firmen und Innovatoren erhielten den nötigen Freiraum, um ihre Ideen zu verwirklichen, vorausgesetzt, dass sie sich über die Risiken im Klaren seien. Zudem arbeite man mit Partnern aus anderen Aufsichtsbehörden und Regierungen zusammen, um diese schnell voranschreitende Technologie zu begreifen. „Wir wollen die Barrieren für die Einführung verstehen“, sagte Mutton. „Wir wollen einen Dialog darüber, wie sich die Regulierung entwickeln sollte.“
Die Firmen berichten Mutton zufolge, dass sich die Komplexität der von ihnen verwendeten Modelle am oberen Ende bewege. Da stelle sich die Frage, inwieweit sie die Risiken verstünden. Dazu komme, dass es eine Verschiebung hin zu Modellen gebe, die von den großen Anbietern geliefert würden, und dass es eine zunehmende Konzentration in diesem Geschäft gebe.
„Schnell ineffizient geworden“
Ovenden hatte zuvor beschrieben, wie die Entwicklung bei Schroders in den vergangenen 18 Monaten verlief. Zunächst habe man den Mitarbeitenden Copiloten an die Hand gegeben. Dann habe man damit begonnen, eine Vielzahl von Werkzeugen auf Grundlage der von den Nutzern geäußerten Notwendigkeiten zu entwickeln. „Das ist sehr schnell ineffizient geworden“, sagte Ovenden. „Inzwischen sind die kommerziellen Werkzeuge so gut geworden, dass wir den Leuten Zugang zu ihnen gewähren“, ohne eine Menge daran herumzubauen.
Was Agenten angehe, sei man sich darüber im Klaren, dass Aufgaben in Arbeitsschritte unterteilt werden müssen, sagte Ovenden. Wenn KI eine E-Mail schreibe, dürfe sie sie nicht gleich verschicken. Zunächst müsse eine Prüfung stattfinden. „Etwas anderes muss zuerst damit zufrieden sein“, sagte der Cheftechniker des Assetmanagers. Grundsätzlich sei seine Erfahrung, dass Menschen nur über ein begrenztes Verständnis der Technologie und ihrer Möglichkeiten verfügten, solange sie sie nicht benutzten. Der Return on Investment bei KI lasse sich nur schwer messen, sagte Ovenden. Viel von Nutzen seien Effekte zweiter und dritter Ordnung.
Sicherheit hat Priorität
In den vergangenen zwei Jahren sei die Adoption von KI vor allem über die Verbraucher gelaufen, sagte Gomez. Firmen hätten Produkte verwendet, die sensitive Daten nach draußen sendeten. „Mittlerweile benötigen Modelle Zugang zu kritischen Systemen und extrem sensitiven Daten“, fügte er hinzu. „Die Sicherheitsmauern sind deshalb nach oben geschossen.“ Kunden geben Datenschutz und IT-Sicherheit ihm zufolge wieder Priorität.