Tom Slater

„Tesla hatte immer eine große Vision“

Der schottische Assetmanager Baillie Gifford hat mit langfristigen Investments bei Tesla und Amazon große Erfolge gelandet. Nun setzt Fondslenker Tom Slater auf Moderna als große Zukunftschance.

„Tesla hatte immer eine große Vision“

Alex Wehnert.

Herr Slater, Sie befürworten einen langfristigen Investmentansatz. Wie können Anleger Werte finden, die auf Jahre hinaus hervorstechende Renditen erzielen?

Investoren müssen Herangehens- und Betrachtungsweisen entwickeln, die sich vom Mainstream abheben. Der Markt ist sehr gut darin, Präzedenzfälle nachzubilden. Wenn bestimmte Branchen sich gut entwickelt und deren Vertreter große Marktkapitalisierungen aufgebaut haben, entsteht dadurch ein Schema, dem Anleger auch weiterhin gern folgen. Sie sind also bereit, im Voraus große Summen zu bezahlen, um Zugang zum nächsten vielversprechenden Online-Geschäftsmodell zu erhalten. Es ist allerdings entscheidend, dass ein Unternehmen auch tatsächlich eine potenziell transformative Innovation zu bieten hat. In vielen Bereichen hat der Markt indes noch nicht realisiert, was Transformation überhaupt zu bedeuten hat.

Könnten Sie das ausführen?

Unser Konsumverhalten verändert sich – ein Effekt, den die Corona-Pandemie noch verstärkt hat. Während die Menschen früher im Supermarkt eingekauft oder im Restaurant gegessen haben, nutzen sie Online-Lieferdienste nun in deutlich größerem Umfang. Aufgrund der höheren Effizienz ist es möglich geworden, das Angebot über zubereitete Mahlzeiten hinaus auszuweiten. In Europa gibt es Unternehmen wie Hellofresh und Delivery Hero, die große Ambitionen verfolgen und ein starkes Wachstumspotenzial aufweisen. Allerdings hat der Markt die Aussichten für diese Unternehmen weniger stark eingepreist als für Pioniere aus China. Dort hat der Liefer-Trend aufgrund des rasanten Wachstums des Mittelstands, dessen Konsumgewohnheiten weniger festgefahren sind, früher an Schwung gewonnen als in vielen Industrienationen.

Inwieweit werden sich die Geschäftsmodelle der Lieferdienste künftig noch verändern?

Innovationen wie das autonome Fahren passen bestens dazu. Die Technologie in diesem Segment entwickelt sich rapide, dort sind einige sehr interessante Entwickler aktiv. Wir halten zum Beispiel Anteile an Nuro, einem Unternehmen, dessen Fahrzeuge Waren, aber keine Menschen transportieren. Es ist deutlich einfacher, autonome Autos für Lieferungen zu entwickeln, da diese bezüglich der Sicherheit der Menschen außerhalb des Fahrzeugs optimiert werden können, ohne dass man die Sicherheit von Fahrgästen berücksichtigen müsste. Zudem nutzen Menschen Autos, um längere Strecken zurückzulegen, bei Lieferungen müssen deutlich kürzere Distanzen zurückgelegt werden, und dies in einem gut zu definierenden Gebiet. Die künstliche Intelligenz (KI) trifft also auf ein weniger herausforderndes Umfeld mit einer bekannten Datenlage, so dass die Fahrzeuge schneller einsatzbereit sind.

Ein artverwandtes Feld ist der Einsatz von Drohnen. Welches Potenzial bietet diese Entwicklung für Investoren?

Drohnen erfüllen definitiv die Voraussetzungen, um zu einer revolutionären Technologie zu werden. Wir haben beispielsweise in Zipline investiert – ein amerikanisches Unternehmen, das Drohnen mit einer Reichweite von bis zu 100 Kilometern entwickelt und betreibt. Lieferungen auf dem Luftweg ergeben insbesondere dort Sinn, wo die Infrastruktur nicht ausreichend ausgebaut ist, gerade für Güter mit einer kurzen Haltbarkeitsdauer. Drohnen einzusetzen kann die Kosten dabei erheblich senken. Derzeit werden sie bereits häufig in Subsahara-Afrika eingesetzt, um Medikamente und Blutkonserven zu transportieren. In Ruanda werden bereits drei Viertel der Blutlieferungen außerhalb der Hauptstadt Kigali mit Zipline-Drohnen bestritten. Nun kommt die Technologie auch zunehmend in westlichen Industrienationen zum Einsatz – nicht nur für Gesundheitsgüter, sondern auch für Handelswaren.

Nuro und Zipline sind bisher nicht börsennotiert. Machen Sie sich keine Sorgen, dass große, gelistete Branchenvertreter aus Logistik und Handel diese Pioniere aus dem Markt verdrängen werden?

Es stimmt, dass die Branchenführer neue Technologien irgendwann einfach übernehmen, wenn es sich um eine mehr oder weniger evolutionäre Entwicklung handelt. Wenn ein Unternehmen, das neu in den Markt kommt, aber ein revolutionäres Geschäftsmodell besitzt, werden die etablierten Größen es allerdings deutlich schwieriger finden, sich daran anzupassen. Die Automobilindustrie ist dafür das beste Beispiel: Tesla hat den Markt komplett auf den Kopf gestellt, und traditionelle Fahrzeugbauer kämpfen seither darum, den Anschluss zu finden.

Baillie Gifford hat 2013 erstmals in Tesla investiert, obwohl damals viel Skepsis für die Aussichten des Unternehmens bestand. Noch immer bildet der Titel eine der größten Positionen im Scottish Mortgage Investment Trust. Was lässt Sie weiterhin an das Potenzial von Tesla glauben?

Tesla hatte immer eine große Vision und den Anspruch, wirklich populäre Produkte zu kreieren. Die Herausforderung bestand darin, das Geschäftsmodell zu skalieren. Die Fähigkeit dazu hat das Management in den vergangenen Jahren bewiesen. Der intensivierte Produktionsanlauf des Model X im Jahr 2015 war ein erstes Zeichen dafür, die jüngsten Erfolge des Model 3 in Europa unterstreichen das Potenzial noch. Tesla hat bezüglich ihrer ersten Produktionsstätte in China geliefert, bezüglich der Gigafactory nahe Berlin und der zweiten Fabrik in China liegt der Konzern im Zeitplan und Budget. Zusätzlich schreitet die Entwicklung für die KI-Chips des Unternehmens schnell voran, und Tesla beweist eine bemerkenswerte Fähigkeit, die Margen anzutreiben.

Wie werden die Mobilitäts-Megatrends die Zulieferer in der Autoindustrie beeinflussen?

Die Rechenleistung, die Autos benötigen, wird über die kommenden zehn Jahre massiv steigen. Dies wird sich vermutlich in ein starkes langfristiges Wachstum des Chip-Absatzes übertragen. Die Herausforderung in Bezug auf Halbleiterhersteller bestand immer darin, dass die Industrie so kompetitiv und deflationär geprägt ist. Softwareentwickler kommen daher üblicherweise auf höhere Bewertungen als Chiphersteller. Nun eröffnen sich für Letztere interessante Gelegenheiten. Wir sind bei ASML investiert, da wir daran glauben, dass die gesamte globale Chipindustrie vom niederländischen Konzern als Zulieferer abhängig ist. Nvidia hingegen ist aus unserer Sicht ein vielversprechender Wert, da sich das Unternehmen auf Chips für Computer-Vision-Systeme und KI-Anwendungen spezialisiert hat. Allerdings ist auch eine stärkere geografische Aufspaltung der Industrie sichtbar geworden. Deshalb investieren wir auch in Horizon Robotics, die Chips für autonome Fahrzeuge im chinesischen Markt herstellt.

Sie erwähnen eine Aufspaltung der Industrie. Inwiefern hat die Pandemie dazu beigetragen?

Der Trend geht seit Beginn der Coronakrise in Richtung eines verstärkten Nationalismus. Die Welt teilt sich in Einflusssphären auf – eine, die von den USA dominiert wird, und eine, die von China kontrolliert wird. Dies birgt Herausforderungen, da viele der Unternehmen, in die wir investieren, massiv von der Globalisierung profitiert haben. Große E-Commerce-Unternehmen stehen vor der schwierigen Aufgabe, zwischen beiden Ökosystemen zu navigieren. Märkte wie Indien werden schlussendlich einer der beiden Einflusssphären zufallen. Gerade deshalb findet dort ein so intensiver Wettbewerb zwischen Amazon und Alibaba statt.

Auch viele andere Trends haben sich im Zuge der Pandemie beschleunigt. Inwieweit sind Sie darüber besorgt?

Viele Marktteilnehmer sprechen darüber, dass sich die Wirtschaft wieder öffnen und zur Normalität zurückkehren wird. Allerdings sind die Effekte zweiter Ordnung der Pandemie in Form von Lieferkettenunterbrechungen und Arbeitskräftemangel sichtbar geworden – und es wird noch Effekte dritter und vierter Ordnung geben. Viele Menschen nutzen die Zwangspause, um ihre Ziele im Leben zu überdenken. Langfristig wird das einen massiven Einfluss auf den Arbeitsmarkt haben, wenn Angestellte sich entscheiden, weniger arbeiten zu wollen. Gleichzeitig wird die Situation auch für Unternehmen, deren Dienstleistungen in den vergangenen zwei Jahren nahezu universell in Anspruch genommen wurden, unsicherer. Es ist unmöglich vorherzusagen, wie genau sich dies auf die Märkte auswirken wird. Für uns kommt es darauf an, die Unternehmen zu finden, die mit diesen Umstellungen gut zurechtkommen und auch künftig Treiber des Wandels sein werden.

Mittlerweile bildet Moderna die größte Position im Scottish Mortgage Investment Trust. Deren Aktienkurs ist auf Jahressicht um über 150% gestiegen. Wie unterscheidet sich Ihr Blick auf die Aktie von der Betrachtungsweise anderer Investoren?

Einige Aktien, die wir als vielversprechend erachten, haben über die vergangenen zwei Jahre eine starke Performance hingelegt. Allerdings handelt der Markt sie basierend auf ihrem kurzfristigen Momentum und nicht aus Interesse an den langfristigen Gelegenheiten, die sie bieten. Moderna ist dafür ein sehr gutes Beispiel: Der Markt konzentriert sich auf Nachrichten rund um den Corona-Impfstoff des Unternehmens, nicht auf breitere Anwendungsbereiche der mRNA-Technologie. Der Aktienkurs ist Anfang November eingebrochen, da der Ausblick für die Impfstoffumsätze des Unternehmens unter den Erwartungen der Analysten lag. Die Gründe für diese Revision haben allerdings nichts mit unserer eigentlichen Investmentthese zu tun: Wir investieren in Moderna, weil das Unternehmen das Potenzial hat,  die Krankheitsprävention durch mRNA zu transformieren.

Eingriffe ins menschliche Erbgut sind allerdings ein kontroverses Thema. Werden ethische Bedenken letztendlich verhindern, dass mRNA großflächig in der Prävention genetischer Krankheiten eingesetzt wird?

Eingriffe ins Erbgut, die sich bis in die nächste Generation auswirken, sind natürlich kontrovers. mRNA funktioniert jedoch anders. Statt fundamentale Eingriffe in die DNA vorzunehmen, sendet die Technologie lediglich Informationen an eine Zelle des Körpers, um ein Protein zu generieren und fehlerhafte Mechanismen zu reparieren. Immunisierungsprogramme retten jedes Jahr zwar Millionen Leben, doch die Prävention infektiöser Krankheiten bleibt für viele Menschen ein unerfülltes Bedürfnis. mRNA kann zu einer Lösung dieses Problems beitragen.

Wie wird sich die pandemiebedingte Deglobalisierung auf Biotech-Unternehmen auswirken?

Während der ersten Coronawelle ist es zu einer Art Impfstoffnationalismus gekommen. Im Zuge der Pandemie ist sichtbar geworden, dass eine unterentwickelte heimische Biotech-Industrie zum nationalen Sicherheitsrisiko werden kann. Deshalb dürften Biotech-Unternehmen künftig von staatlicher Seite dazu gezwungen werden, ihre Präsenzen im jeweiligen Heimatmarkt auszubauen. Denn die Menschen reagieren immer auf vergangene Krisen, statt sich auf neue Gefahren vorzubereiten. Wir glauben indes daran, dass Healthcare-Unternehmen besser im globalen Maßstab ihre Gewinne und die Skalierung ihrer Entwicklungen im Fokus behalten sollten.

Ein bedeutender Teil Ihrer Strategien dreht sich um die Wachstumsaussichten der chinesischen Tech-Industrie. Welche Risiken bringt dieser Fokus mit sich?

Die politische Struktur Chinas als Einparteienstaat kann für uns als westliche Assetmanager schwierig zu verstehen sein. Es besteht immer das Risiko staatlicher Eingriffe; Anti-Trust-Gesetze der Regierung in Peking haben zu einigen dramatischen Schritten gegen einzelne Unternehmen geführt. Für Investoren sind solche regulatorischen Interventionen kurzfristig schmerzhaft. Allerdings können die Möglichkeiten Pekings, schnelle Entscheidungen zu treffen, ohne auf andere Stakeholder Rücksicht nehmen zu müssen, auch sehr vorteilhaft sein. Denn dies führt zu einer Reduktion der Marktmacht großer Konzerne. Zugleich sind das Ausmaß der Gelegenheiten und die Unternehmerkultur am chinesischen Markt einzigartig.

Das Interview führte

BZ+
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