Monika Schnitzer

„Die EZB muss die Inflationsrisiken im Blick behalten“

Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer über die Konjunkturrisiken durch Corona und Lieferengpässe, die Herausforderungen für die Fiskalpolitik und die Zukunft der EZB-Geldpolitik.

„Die EZB muss die Inflationsrisiken im Blick behalten“

Alexandra Baude
Mark Schrörs

Frau Professor Schnitzer, wie groß ist die Gefahr, dass die vierte Coronawelle dem Aufschwung in Deutschland den Garaus macht – auch ohne erneuten Lockdown, durch freiwilligen Konsumverzicht oder mangelnde Investitionen?

In unserer Prognose gehen wir davon aus, dass es in diesem Winter nicht zu einem Lockdown kommen wird wie im vergangenen Jahr. Die Auftragsbücher der Unternehmen sind nach wie vor gut gefüllt, und es sind vor allem die Lieferengpässe, die verhindern, dass die Aufträge schneller abgearbeitet werden können. Auch die Menschen scheinen gewillt, ihre in der Pandemie angesammelten Ersparnisse auszugeben. Trotzdem muss die Politik jetzt schnell handeln, damit der weitere Anstieg der Infektionswelle gestoppt wird.

Sollte die Regierung analog zu den Kurzarbeiterregeln auch die Corona-Wirtschaftshilfen verlängern? Und sollte die Politik darüber hinaus noch mehr tun, um die Konjunktur zu stützen?

Im verarbeitenden Gewerbe sind die aktuellen Schwierigkeiten vor allem auf die Lieferengpässe zurückzuführen, und die haben nur zum Teil etwas mit der Coronakrise zu tun. Anders ist es im Gastgewerbe. Diese Betriebe haben es aber zum Teil auch selbst in der Hand, wie hoch ihr Umsatz ausfällt: Wer einen 2G-Nachweis verlangt, kann mehr Kundschaft bewirten, weil die Abstandsregeln weniger restriktiv sind. Eine pauschale Verlängerung der Corona-Wirtschaftshilfen ist meines Erachtens deshalb nicht anzeigt. Es braucht auch keine konjunkturstützenden Maßnahmen, denn es fehlt nicht an Nachfrage. Was die Erholung bremst, sind Engpässe beim Angebot.

Dank der Hilfen ist die befürchtete Insolvenzwelle bislang ausgeblieben. Laufen diese aus, werden sich Unternehmen, denen es schon vor der Krise nicht gut ging, kaum halten können. Wann schlägt sich dies in signifikant steigenden Insolvenzzahlen nieder?

Tatsächlich ist in dieser Krise, anders als in früheren Rezessionen, die Zahl der Insolvenzen und Betriebsaufgaben deutlich zurückgegangen. Grund dafür dürften die Unternehmenshilfen, das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht und die Ausweitung der Kurzarbeiterregelung sein. Sie haben, ganz wie intendiert war, zu einer Stabilisierung der Unternehmen und der Arbeitsverhältnisse beigetragen. Im Gutachten nehmen wir eine Abschätzung vor, wie viele Insolvenzen und Betriebsaufgaben ausgeblieben sind. Wir kommen zu dem Schluss, dass mit Nachholeffekten in größerem Umfang nicht zu rechnen ist. Ausgeblieben sind vor allem Marktaustritte von kleinen und Kleinstunternehmen. Selbst wenn sie den Markt noch verlassen sollten, dürfte der gesamtwirtschaftliche Effekt eher gering ausfallen.

Durch die Coronahilfen ist die Staatsverschuldung enorm gestie­gen. Braucht es da schnellstmöglich eine Konsolidierung, oder sind Staatsschulden angesichts niedriger Zinsen gar kein Problem mehr?

Weder noch. Natürlich muss nach Überwindung der Krise wieder konsolidiert und die Staatsschuldenquote muss wieder reduziert werden. Aber es wäre verkehrt, das im Hauruck-Verfahren zu machen, sonst gefährdet man den Aufschwung. Gleichzeitig sind niedrige Zinsen kein Freibrief für höhere Staatsschulden, denn die Schulden müssen ja trotzdem von der nächsten Generation zurückgezahlt werden. Außerdem können die Zinsen auch wieder steigen.

Der Umgang mit den Finanzen ist ein Zankapfel in der angestrebten Ampel-Koalition. Sind die diversen Ausgabenwünsche ohne Steuererhöhungen oder ein Aufweichen der Schuldenbremse überhaupt finanzierbar?

Zumindest ist dies das erklärte Ziel der Parteien, die aktuell Koalitionsverhandlungen führen. In unserem Jahresgutachten machen wir in einer Rubrik „Zur Diskussion gestellt“ Vorschläge, wie im Rahmen der Schuldenbremse notwendige Investitionen finanziert werden könnten. Einer davon ist die Gründung öffentlicher Investitionsgesellschaften. Wenn diese Institutionen einer klaren Sachaufgabe dienen und per Bundesgesetz eingerichtet werden, könnten sie auch mit einer Kreditermächtigung ausgestattet werden. Im Einrichtungsgesetz müsste zudem die parlamentarische Kontrolle gewährleistet werden. Über eine entsprechende Bundesbürgschaft könnte sichergestellt werden, dass die Institution günstige Kreditkonditionen erhält.

Was halten Sie konkret von dem Vorschlag, 2022 noch einmal kräftig Schulden aufzunehmen und damit eine Rücklage für die Folgejahre aufzubauen?

Das wird allgemein als rechtlich problematisch eingeschätzt. Die Ausnahmeregel der Schuldenbremse kann nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die zu finanzierenden Ausgaben unmittelbar durch die Pandemie bedingt sind. Man könnte damit also nicht beliebige Ausgaben finanzieren. Problem ist auch: Der dadurch geschaffene Spielraum wäre begrenzt. Um die vielfältigen Aufgaben und die dafür erforderlichen Investitionen zu stemmen, braucht es aber einen längerfristig verfügbaren finanziellen Spielraum. Gerade die Verstetigung der Investitionen ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass in der Wirtschaft die notwendigen Kapazitäten aufgebaut und vorgehalten werden, ebenso wie in den Behörden die notwendigen Planungs- und Umsetzungskapazitäten.

Auf EU-Ebene wird jetzt der Stabilitätspakt überprüft. Ist da mehr Flexibilität nötig, etwa um Investitionen für den Klimaschutz herauszurechnen?

Ja. Fiskalregeln zur Begrenzung der Staatsverschuldung sind unbestritten notwendig. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Fiskalregeln im Euroraum nach der Krise unverändert bleiben sollten und die Fiskalpolitik auf einen forcierten Konsolidierungskurs einschwenken sollte. Das würde viele Mitgliedstaaten wie beispielsweise Italien, die von der Krise nach wie vor sehr betroffen sind, in enorme Schwierigkeiten bringen und den notwendigen Aufschwung gefährden. Ein weiteres Problem ist die mangelnde Investitionsorientierung der Fiskalregeln. Gerade in Krisen- und Konsolidierungsphasen sind die öffentlichen Investitionen als kurzfristig disponible Ausgabenkategorie starken Kürzungen zum Opfer gefallen. Deshalb wäre eine Reform der Fiskalregeln sinnvoll, die länderspezifische Zwischenziele für den Schuldenstand oder die Anpassungsgeschwindigkeit mit einer Privilegierung investiver Ausgaben verbindet.

Die Energiepreise sind rasant gestiegen, und vielen gilt das als Vorgeschmack auf das, was die Menschen in den nächsten Jahren erwartet, wenn der Klimaschutz verstärkt wird. Wie teuer wird die Klimawende für den Bürger?

Tatsächlich hat die seit Jahresbeginn stark gestiegene weltweite Nachfrage die Energiepreise in die Höhe getrieben. Dazu kam in Deutschland die Einführung des CO2-Preises für Wärme und Verkehr. Damit soll eine Lenkungswirkung erzielt werden, weg von der Nutzung fossiler hin zur Nutzung erneuerbarer Energien. Wie schnell dies zum Erfolg führt und welche Kosten damit für alle verbunden sind, hängt entscheidend davon ab, wie schnell es möglich sein wird, im erforderlichen Umfang erneuerbare Energien selbst zu erzeugen oder zu importieren. Die dafür notwendigen Technologien sind schon entwickelt, aber nicht alle sind schon marktreif und nicht alle können schon zu vertretbaren Kosten erneuerbare Energie produzieren.

Neben den hohen Energiepreisen sind aktuell vor allem die Materialengpässe eine Bremse für die Konjunktur. Sollte die Politik da eingreifen und falls ja, wie?

Nein, damit umzugehen liegt in der Verantwortung der Unternehmen. Die Lieferengpässe sind, wie er­­wähnt, nur zum Teil pandemiebedingt; sie haben auch etwas mit dem konjunkturellen Aufschwung und strukturellen Veränderungen zu tun. Unternehmen sollten ihre Lieferketten stärker diversifizieren, um gegen solche Engpässe besser abgesichert zu sein.

Ist die aktuell sehr hohe Inflation wirklich nur ein temporäres Phänomen oder längst schon mehr? Sollte die EZB entschlossener aus der ultralockeren Geldpolitik aussteigen?

Ein Teil der Inflation ist durch Einmaleffekte zu begründen, wie die temporäre Absenkung und dann wieder Anhebung der Umsatzsteuer, aber auch die Einführung der CO2-Preise für die Sektoren Wärme und Verkehr zu Jahresbeginn. Ein anderer Teil der Inflation rührt von den stark gestiegenen Energiepreisen her, was zumindest zum Teil auf die anziehende Konjunktur zurückzuführen ist. Weitere Preissteigerungen kamen durch die Lieferengpässe. Auch die sollten vorübergehender Natur sein. Wir prognostizieren nach einer Inflationsrate von 3,1% in diesem Jahr eine Rate von 2,6% im nächsten Jahr. Die aktuellen Lohnabschlüsse deuten noch nicht auf einen weiteren Preisdruck hin. Sollte sich dies im nächsten Jahr ändern, könnte die Inflationsrate etwas länger anhaltend erhöht sein.

Und was bedeutet das konkret für die EZB?

Die EZB muss die Inflationsrisiken im Blick behalten. Sie sollte jetzt das Ende der pandemiebedingten geldpolitischen Maßnahmen ins Auge fassen, wobei es sicher Sinn macht, das PEPP-Programm nicht auf einen Schlag zu beenden, sondern es schrittweise zurückzuführen. Tatsächlich hat die EZB im September angekündigt, dass sie die Nettoanleihekäufe im Rahmen des PEPP im vierten Quartal moderat reduzieren wird. In unserem Jahresgutachten weisen wir darauf hin, dass es sinnvoll wäre, wenn die EZB ihre Strategie hin zu einer Normalisierung ihrer Geldpolitik klar kommunizieren würde.

Die Fragen stellten und .

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