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Euro-Inflation so hoch wie noch nie

Dass die Inflation im Euroraum im November einen neuen Rekordwert erreichen würde, war erwartet worden. Die Euro-Inflation toppte aber einmal mehr alle Erwartungen. Der Druck auf die EZB steigt.

Euro-Inflation so hoch wie noch nie

ms Frankfurt

Die Inflation im Euroraum hat im November mit 4,9% den höchsten Stand seit Einführung des Euro im Jahr 1999 erreicht – und das sogar mit deutlichem Abstand. Der Wert lag zudem erneut erheblich über den Erwartungen, und der Preisauftrieb nahm an Breite zu – was Sorgen schürte, dass der erwartete Rückgang der Teuerung im kommenden Jahr zumindest weniger stark ausfällt. Damit wächst der Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) für eine schnellere Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik als bislang avisiert. Die Euro-Hüter bleiben da aber extrem zurückhaltend, zumal die Corona-Mutante Omikron für neue Konjunkturunsicherheit sorgt.

Seit Jahresbeginn zieht die Inflation im Euroraum unerwartet stark an. Das hat zwar viele Gründe, die als vorübergehend gelten. Dazu gehören Basiseffekte infolge der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung in Deutschland, der rasante Anstieg der Energiepreise und die weltweit anhaltenden Materialengpässe. Die EZB sieht den Anstieg denn auch als überwiegend temporär an und macht deshalb allenfalls zaghafte Ansätze zum Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik. Inzwischen wachsen aber die Zweifel, ob es nur ein temporärer Inflationsschub ist. Insbesondere in Deutschland nimmt die Kritik an der EZB wieder an Schärfe zu.

Die EZB steht vor einem Dilemma, weil zugleich die Wirtschaft an Schwung verliert. Da­mit wächst die Spannung vor der Zinssitzung Mitte Dezember, für die EZB-Präsidentin Christin Lagarde wegweisende Entscheidungen angekündigt hat. Als nahezu ausgemacht gilt, dass der EZB-Rat das Ende des Corona-Notfallanleihekaufprogramms PEPP im März 2022 beschließt. Wie es danach weitergeht, ist aber unklar. Verbreitet wird eine Aufstockung des parallelen Anleihekaufprogramms APP erwartet. Im EZB-Rat hat sich aber eine Kontroverse über die hartnäckig hohe Inflation und die angemessene Reaktion der Geldpolitik entwickelt.

Die neuen Inflationsdaten dürften diese Kontroverse nun weiter befeuern. Die Inflation sprang im November von 4,1% auf 4,9%, wie Eurostat am Dienstag in einer ersten Schätzung mitteilte. Das ist ein neuer Re­kordwert. Vor Oktober hatte die Eu­ro-Inflation seit 1999 überhaupt nur ein einziges Mal bei 4,1% gelegen. Dieser Wert wurde nun deutlich ge­toppt. Volkswirte hatten zuletzt 4,5% erwartet. Damit setzt sich auch die Serie fort, dass die Inflation höher ausfällt als ohnehin erwartet.

Erneut war Energie im November mit einem Preisanstieg von 27,4% der stärkste Inflationstreiber. Allerdings machte auch die sogenannte Kerninflationsrate ohne Energie und unverarbeitete Lebensmittel mit 2,6% einen deutlichen Sprung gegenüber den 2,0% im Oktober – sie verzeichnete damit ebenfalls einen neuen Rekordwert. Unverarbeitete Lebensmittel verteuerten sich um 1,9% und Industriegüter ohne Energie um 2,4%. Dienstleistungen kosteten 2,7% mehr.

Damit gewinnt der Inflationsauftrieb deutlich an Breite. Wenngleich die Kernrate durch Sondereffekte nach oben verzerrt sei, zeigten die neuen Daten doch auch, „dass der unterliegende Preisauftrieb infolge der Lieferengpässe merklich zugenommen hat“, sagte auch Christoph Weil, Volkswirt bei der Commerzbank zu den neuen Daten.

Das erhöht auch die Unsicherheit über den weiteren Kurs. Viele Ökonomen und Notenbanker sehen mit November zwar den Höchststand bei der Inflation erreicht und erwarten nun einen spürbaren Rückgang der Teuerung. Allerdings wächst die Zahl derer, die davon ausgehen, dass dieser Rückgang womöglich langsamer vonstatten geht als bislang erwartet und sich die Inflation längerfristig auf höheren Niveaus einpendelt. Jörg Angelé, Chefökonom des Assetmanagers Bantleon, sagte etwa, dass den Basiseffekten, die die Teuerung 2022 sinken lassen würden, erwartete Preisanhebungen bei Gas und Strom gegenüberstünden.

Die EZB muss bei ihren Entscheidungen im Dezember aber auch die Wirtschaftslage berücksichtigen, und da hat nicht zuletzt durch die Corona-Mutante Omikron die Unsicherheit zugenommen. Einige Volkswirte halten gar eine neuerliche Rezession nicht für ausgeschlossen.

Nach Ansicht von EZB-Vizepräsident Luis de Guindos wird die EZB auch nach einem Ende von PEPP im kommenden Jahr Anleihenkäufe als Konjunkturstütze nutzen. „Ich bin zuversichtlich, dass diese Nettokäufe während des nächsten Jahres weitergehen. Was danach kommt, weiß ich nicht“, sagte er der Zeitung „Les Echos“ vom Dienstag. Die Äußerungen lassen darauf schließen, dass nächstes Jahr trotz der derzeit rasant steigenden Preise nicht mit einer Zinserhöhung zu rechnen ist. Denn das Auslaufen der Anleihenkäufe gilt als Voraussetzung für eine Zinswende.

Wertberichtigt Seite 6

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