Geldpolitik

Notenbanken: Ukraine-Krieg schürt Stagflationsängste

Am Donnerstag entscheidet die Europäische Zentralbank über ihre Geldpolitik. Binnen gut einer Woche folgen dann die No­tenbanken in den USA, Japan und Großbritannien. Sie alle stehen vor einem Dilemma.

Notenbanken: Ukraine-Krieg schürt Stagflationsängste

Von Mark Schrörs, Frankfurt

Der Ukraine-Krieg stellt die weltweit wichtigsten Zentralbanken vor eine äußerst heikle Entscheidung: Sollen sie an der vor Ausbruch des Kriegs avisierten Straffung beziehungsweise „Normalisierung“ der ultraexpansiven Geldpolitik festhalten, um die vielerorts viel zu hohe Inflation einzudämmen – oder ist es nun angebracht, von diesen Plänen Abstand zu nehmen und Wirtschaft sowie Staaten nach besten Kräften zu unterstützen? Eine erste Antwort darauf gibt am Donnerstag die Europäische Zentralbank (EZB). In der nächsten Woche folgen dann Schlag auf Schlag die US-Notenbank Fed, die Bank of England und die Bank of Japan.

Rekordteuerung im Euroraum

Weltweit ist die Inflation vor allem in den Industrieländern im Jahr 2021 rasant und viel stärker als erwartet angezogen, und sie hält sich auch Anfang 2022 sehr viel hartnäckiger als gedacht. Im Euroraum stand im Februar eine Rekordteuerung von 5,8% zu Buche. In den USA könnte die Verbraucherpreisinflation sogar in die Nähe der 8-Prozent-Marke geklettert sein; neue Zahlen gibt es am Donnerstag. Das lange Zeit auch von den Zentralbanken vertretene Narrativ, dass dieser Inflationsanstieg nur vorübergehend und mithin kein Grund zur Sorge sei, hat sich längst erledigt.

Entsprechend hatten die Zentralbanken vor der militärischen Eskalation klar signalisiert, dass es Zeit sei für den Ausstieg aus der sehr lockeren Geldpolitik aus der Zeit der Pandemie-Hochphase. Allen voran die US-Notenbank Fed hatte in den vergangenen Monaten eine beispiellose Kehrtwende vollzogen und eine ebenso beispiellose Straffung ihrer Geldpolitik angekündigt – mit raschen Zinserhöhungen und einem zügigen Beginn des Bilanzabbaus. Aber auch die EZB hatte Anfang Februar nach langem Zaudern einen alarmierten Ton angeschlagen und eine raschere Zinswende signalisiert.

Der Ukraine-Krieg hat nun aber auch für die Zentralbanken nahezu alles verändert. Vielerorts dominiert jetzt die Sorge wegen der wirtschaftlichen Konsequenzen des Kriegs und der enormen Sanktionen und Gegensanktionen. „Die wirtschaftlichen Folgen sind bereits sehr schwerwiegend“, mahne der Internationale Währungsfonds (IWF) am Wochenende in einem Statement. „Sollte der Konflikt eskalieren, wären die wirtschaftlichen Schäden umso verheerender.“ Konkreter wurde der IWF noch nicht. Aber es scheint klar: Die IWF-Ökonomen dürften die erst im Januar von 4,9% auf 4,4% gekappte IWF-Wachstumsprognose für 2022 weiter herunterschrauben.

Die Experten von Oxford Economics kalkulieren, dass die jetzigen Sanktionen sowie die Folgen das globale Wachstum 2022 um 0,2 Prozentpunkte senken könnten. Sie betonen aber, dass die Betroffenheit sehr unterschiedlich sei: Für Europa seien die Folgen „signifikant“, während sie für die USA, China und viele Schwellenländer „begrenzt“ seien – zumindest solange es keine weitere Eskalation gebe. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch das globale Ökonomen-Team von Berenberg: Für die Eurozone revidierten sie ihre 2022er Wachstumsprognose wegen des Kriegs jetzt von zuvor 4,3% deutlich auf nur noch 3,3%, während es für die USA nur 0,1 Prozentpunkte weniger sind (siehe Grafik).

Sentix: „Krisenschock“

Dazu passt auch der am Montag veröffentlichte Sentix-Konjunkturindikator. Für die Eurozone steht da ein regelrechter Einbruch der Wirtschaftsstimmung von zuvor +16,6 Punkten auf jetzt −7,0 Zähler zu Buche. Zwar wird demnach auch die US-Wirtschaft vom „Krisenschock“ getroffen – allerdings bei Weitem nicht so hart (siehe Text auf Seite 4). Europa gilt wegen der geografischen Nähe und der merklich größeren Abhängigkeit von Russland als Energielieferant als viel anfälliger.

Allerdings dürfte der Krieg nicht nur das Wirtschaftswachstum dämpfen, sondern zugleich auch die Inflation weiter anheizen – eben weil vor allem Russland als Energie- und Gaslieferant eine derart große Rolle spielt. Die in den vergangenen Wochen weiter rasant gestiegenen Gaspreise gingen zumindest auch auf den Ukraine-Konflikt zurück. Und wie zur Bestätigung legt der Ölpreis seit Kriegsbeginn weiter deutlich zu. Infolge der Diskussion über ein Verbot russischer Energielieferungen notierte der europäische Erdgas-Future am Montag so hoch wie nie, und der Preis für die Rohöl-Sorte Brent erreichte mit knapp 140 Dollar je Barrel (159 Liter) den höchsten Stand seit mehr als 13 Jahren.

Da verwundert es kaum, dass nun immer häufiger von einer drohenden „Stagflation“ die Rede ist, also einem Zusammenspiel aus stagnierender Wirtschaft und hoher Inflation. Gemeint ist der Gleichklang aus wirtschaftlicher Stagnation und Inflation wie nach dem Ölpreisschock im Jahr 1973. Vor wenigen Tagen warnte selbst EZB-Ratsmitglied Mario Centeno, „ein Szenario nahe der Stagflation“ sei nicht ausgeschlossen. Für einen Zentralbanker ist solch ein Eingeständnis sehr bemerkenswert. „Wir müssen unsere Politik darauf einstellen“, fügte Portugals Notenbankchef hinzu.

Das könnte letztlich sogar dazu führen, dass die Geldpolitik der wichtigsten Zentralbanken künftig noch weiter auseinanderdriftet – mit potenziell weitreichenden Konsequenzen für die Finanzmärkte: US-Noten­bankchef Jerome Powell jedenfalls hat klargemacht, dass die Fed auf Kurs für Zinserhöhungen und Bilanzabbau bleibe – während EZB-Chef­volkswirt Philip Lane sehr viel vorsichtigere Töne angeschlagen hat (siehe Texte auf dieser Seite).

Kanada hebt Leitzins an

Eine führende Zentralbank hat indes ihre Antwort auf die Frage, wie mit Inflation, Krieg und Stagflationsgefahr umzugehen ist, bereits gegeben: Die Bank of Canada folgte vergangene Woche der Bank of England und erhöhte als zweite Notenbank eines G7-Landes nach der Akutphase der Pandemie ihren Leitzins – erstmals seit 2018. Sie kündigte zudem weitere Zinsschritte an. Die zu hohe Inflation bereit ihre zumindest aktuell mehr Sorge als der Ukraine-Krieg.

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