Großbritannien

Steuerpolitik sorgt für Stunk

Die Kandidaten für die Nachfolge von Boris Johnson an der Tory-Spitze gehen einander hart an. Ex-Schatzkanzler Rishi Sunak wirft seiner Rivalin Liz Truss vor, Wirtschaftsmärchen zu erzählen.

Steuerpolitik sorgt für Stunk

Von Andreas Hippin, London

Ex-Schatzkanzler Rishi Sunak und Außenministerin Liz Truss haben nicht viel füreinander übrig. Eine Fernsehdebatte wurde abgesagt, nachdem sich die beiden beim vorangegangenen Schaulaufen der Kandidaten für die Nachfolge von Boris Johnson an der Parteispitze der Tories vor laufenden Kameras so heftig beharkten, dass man sich in der Unterhausfraktion Sorgen um das Ansehen der Partei machte. Der Streit ist grundsätzlicher Natur. Sunak steht für den Status quo. Er verkauft sich zwar als „wahrer Erbe Margaret Thatchers“, doch hat er – entgegen den Versprechungen im Wahlprogramm der Konservativen – die Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer um 1,25 Prozentpunkte erhöht, um weitere Milliarden in das öffentliche Gesundheitswesen NHS schaufeln zu können, das den Anforderungen trotzdem immer weniger gerecht wird. Im April soll auch noch die Körperschaftsteuer von 19 % auf 25 % steigen.

Hinter Sunak stehen der gemäßigte Flügel der Partei, die liberalen „One Nation“-Konservativen, und die Ministerialbürokratie. Für das Schatzamt hat der Abbau der während der Pandemie aus dem Ruder gelaufenen Staatsverschuldung Priorität. Die rasant steigende Teuerungsrate bringt höhere Umsatz- und Körperschaftsteuereinnahmen mit sich. Rutschen Steuerpflichtige nach Lohnerhöhungen in die nächsthöhere Steuerklasse, schafft das noch mehr finanziellen Spielraum. Andererseits würde die Wirtschaft auf diese Weise verlangsamt, möglicherweise in eine Rezession gedrückt. Für die Bank of England hätte das den Vorteil, dass sie den Leitzins nicht noch weiter nach oben hieven müsste, um die Inflation in den Griff zu bekommen.

Britannia Unchained

Truss will dagegen der Orthodoxie der Zeit nach der Finanzkrise ein Ende machen. „Jetzt ist die Zeit für Mut, nicht für Business as usual“, schrieb sie im konservativen „Telegraph“. Sie gehört zu den Verfassern von „Britannia Unchained“ – einer thatcheristischen Kampfansage an den „aufgeblähten Staatsapparat, hohe Steuern und exzessive Regulierung“. Damit ist sie nicht allein. Zwei weitere Urheber des Werks sitzen im Kabinett: Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng und Innenministerin Priti Patel. In Whitehall wurde ihr der Spitzname „die menschliche Handgranate“ verpasst – angeblich von Johnsons ehemaligem Chefstrategen Dominic Cummings. Sie will die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge sofort rückgängig machen. Besteuerung sei kein Weg zu mehr Wachstum, deshalb will sie auf die Erhöhung der Körperschaftsteuer verzichten. Die Oxford-Absolventin will auch die grünen Abgaben vorübergehend aussetzen, die Benzin, Gas und Strom wesentlich verteuern. Genauer betrachtet will sie keine radikalen Steuersenkungen, sondern eine Rückkehr zu dem, was man bei den Tories vor der Pandemie normal fand. Das allein könnte der Wirtschaft den nötigen Kick geben, schneller zu wachsen. Vor Zinserhöhungen hat sie keine Angst, vor einem weiteren Anstieg des öffentlichen Schuldenbergs ebenso wenig. Sie kritisiert die Geldpolitik der Notenbank als zu locker und will ihr Vorgehen auf den Prüfstand stellen. Die der Zentralbank vom Labour-Premier Gordon Brown gewährte Unabhängigkeit ist für Truss nicht unantastbar.

In vielen Fragen unterscheiden sich die beiden Kandidaten allerdings nicht groß. Beide wollen übernommenes EU-Recht auf den Prüfstand stellen, um die Chancen nutzen zu können, die sich durch den Brexit ergeben. Sunak betont gerne, dass er ja schon 2016 für den Austritt aus der Staatengemeinschaft gewesen sei. Truss hatte gegen den nationalen Alleingang gestimmt. Beim Gewerkschaftsdachverband TUC wird be­fürchtet, dass ein Fegefeuer der Regelwerke dazu führen könnte, dass auch grundlegende Arbeitnehmerrechte den Flammen übergeben werden.

Bemerkenswert ist, dass sich beide gerne auf Thatcher berufen. Dabei haben Menschen unter 40 in Großbritannien keine bewussten Erinnerungen an die Zeit der „Iron Lady“, für die freie Märkte, finanzielle Disziplin, Steuersenkungen und eine strenge Kontrolle der öffentlichen Ausgaben keine Ziele an sich waren, sondern Mittel zum Zweck. Denn eigentlich ging es den Tories einmal um die Freiheit des Einzelnen. Niedrige Steuern führen dazu, dass er mehr Geld in der Tasche hat. Ein schlanker Staat ermöglicht eine größere Autonomie. Zudem ermutigt er dazu, selbst Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu entwickeln.

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