Im Blickfeld Sparen und Konsum in China

Chinas trotzige Sparer lassen sich nicht gängeln

Chinas Niedrigzinsphase gilt als Chance, mit der Sparvorliebe zu brechen und den Konsum anzuregen. Die risikoscheuen Privaten machen jedoch nicht mit.

Chinas trotzige Sparer lassen sich nicht gängeln

Chinas trotzige Sparer lassen sich nicht gängeln

Chinas Niedrigzinsphase gilt als Chance, mit der Sparvorliebe zu brechen und den Konsum anzuregen. Die risikoscheuen Privaten machen jedoch nicht mit.

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Der traditionelle Sparfleiß chinesischer Bürger wird auf eine harte Probe gestellt. Seit dem Ende der Pandemie treiben die Zinsen, wenn auch in moderatem Tempo, immer weiter nach unten und machen herkömmliche Spareinlagen zusehends unattraktiv. Für die privaten Haushalte stellt sich die Gewissensfrage, ob es in dieser Konstellation noch Sinn macht, Gelder vorzugsweise bei den Banken zu parken. Magere Sparzinsen schaffen Anreize, in risikoreichere Aktiva umschichten, oder aber das Ausgabeverhalten anzupassen, um sich reueloser dem Konsum hinzugeben. Letzteres wäre ganz nach dem Geschmack der chinesischen Konjunkturlenker, doch gibt es reichlich Widerstand.

Betongold ohne Glanz

Eine Konstellation mit wackligen Konjunkturaussichten, stark gedrosseltem Einkommenswachstum, unsichereren Beschäftigungsperspektiven für Hochschulabgänger und allfälligem Pessimismus hat man in Chinas Wirtschaftswunderzeiten seit den frühen Neunziger Jahren so noch nicht erlebt. Die anhaltende Immobilienmarktkrise mit stetig sinkenden Wohnungspreisen färbt stark auf die kollektive Verbraucherpsyche ab. Die seit Jahrzehnten bevorzugte Option lautet, auf Betongold zu setzen und mit kreditfinanzierten Wohnungskäufen bei quasi garantierter hoher Wertsteigerung der Immobilie sowohl spekulativen Instinkten als auch Altersvorsorgemotiven nachzukommen. Das Konzept hat vorerst ausgedient.

Große Verunsicherung

Ungewohnt magere Renditeaussichten für vorsichtige Anleger verschlimmern die Malaise. Als Resultat verhalten sich Chinas private Haushalte mit dem Gedanken an eine unsichere Zukunft besonders risikoscheu. Das bedeutet nach wie vor Zurückhaltung bei Konsumausgaben und geringe Bereitschaft zu spekulativeren Engagements am Aktienmarkt. Ähnliches gilt für in der Regel von Banken vertriebene Anlageprodukte, die als ein Substitut für Spareinlagen gelten.

Das Geld bleibt geparkt

Die Statistik zum Anlageverhalten spricht hier Bände. Spargelder wachsen seit dem Pandemieausbruch überproportional stark an, während das Volumen der Wealth Management Products (WMP) immer weiter auf der Stelle tritt. Zwischen 2020 und 2024 sind die längerfristigen Einlagenbestände bei chinesischen Kreditinstituten trotz rückläufiger Zinsen um fast 60% auf 150 Bill. Yuan (18 Bill. Euro) in die Höhe geschnellt. Im ersten Quartal kletterten sie auf Jahressicht um weitere 10,3% auf einen Bestand von nunmehr 160 Bill. Yuan.

Pekings Wirtschaftslenker haben sich der Konsumanregung verschrieben, um Chinas Wachstumsmodell neues Leben einzuimpfen. Der Handelsstreit mit den USA untergräbt den Exportsektor als dynamischsten Wachstumstreiber der vergangenen Jahre. Das gefährdet das Einhalten des sakrosankten Wachstumsziels bei 5%. Es gilt, die Kreditnachfrage anzukurbeln, das angeschlagene Konjunkturvertrauen aufzurichten und einer ungemütlichen Deflationstendenz bei Erzeuger- und Verbraucherpreisen zu begegnen.

Finanzhüter unter Druck

In westlichen Ländern haben von der Pandemie und dem Ukraine-Krieg ausgelöste Inflationsschübe einer sehr langgestreckten Niedrigzinsphase ein Ende bereitet. In China ist es genau andersherum. Seit 2022 steht man unter latentem Zwang zu geldpolitischer Lockerung. Der bereitet den Währungshütern und den Finanzregulatoren einiges Kopfzerbrechen. Ein schwächerer Yuan und das heftige Renditegefälle zwischen Chinas Staatsanleihen und US-Treasuries erzeugen Kapitalabwanderungsdruck, dem es bei abbröckelnden ausländischen Direktinvestitionen nach China erst recht zu begegnen gilt.

Zinsmargen verkümmern

Die Lockerungsmanöver der Zentralbank führen zu einer starken Einengung der Zinsmargen chinesischer Kreditinstitute, die ihrer Ertragsqualität heftig zusetzt. Zudem werden die vom Staat mehrheitlich kontrollierten Großbanken stärker als je zuvor für Konjunkturförderungsaufgaben eingespannt, um überschuldete Lokalregierungen und insolvenzbedrohte Immobilienentwickler zu refinanzieren. Dies verschlechtert ihr Risikoprofil und erhöht Finanzstabilitätsgefahren.

Das von den Regulatoren als systemrisikoverträglich erachtete Mindestniveau für die Zinsspannen der Banken von 1,8% wird längst deutlich unterschritten. Zum Ende des ersten Quartals kamen die Nettozinsmargen der führenden Banken des Landes auf Werte nahe 1,4% zurück.

Das einzige probate Mittel zur Abstützung der vom Zinstrend geschwächten Margen ist eine begleitende Senkung der Einlagenzinsen. Auf die nehmen Chinas Finanzregulatoren ebenfalls Einfluss. In den vergangenen drei Jahren hat die Senkung der Zinsen auf Termin- und Spareinlagen zwar nicht ganz Schritt mit der Reduzierung der Eckzinsen für Unternehmens- und Hypothekenkredite gehalten. Dennoch ist man bei einem historischen Tief angelangt, das Chinas Haushalte vor ungewohnte Fragen stellt.

Komfortzone Festgeld

Abermillionen von Chinesen haben wegen der Immobilienkrise umgedacht. Von Wohnungskaufträumen wurde erst einmal abgesehen und das zu diesem Zweck bereits angesparte Vermögen in typischerweise längerfristige drei- bis fünfjährige Festgeldverträgen geparkt. Für die bekam man damals höchst ansehnliche Zinsen von 4 bis 4,2%. Die Komfortzone ist nicht mehr vorhanden und der Jammer entsprechend groß. Für die nun auslaufenden Verträge gibt es keine attraktiven Optionen mehr.

Einlagenzins auf Rekordtief

Im Mai sind die längerfristigen Einlagenzinsen um weitere 25 Basispunkte gekappt worden. Die Zinsraten für drei- und fünfjährige Festgelder liegen nun bei 1,2 bis 1,3%. Die gebräuchlichste einjährige Termingeldvariante liegt mit jetzt 0,95% erstmals in Chinas Wirtschaftsgeschichte unter 1%. Kann der psychologische Schock mit dem Unterschreiten dieser Marke nun eine Wende bewirken? Experten bezweifeln das. Anders als in den Finanzsystemen westlicher Industrieländer scheint es im Falle Chinas keine eindeutige Wechselwirkung zwischen der Senkung von Realzinsen und der Erhöhung der Konsumaktivität zu geben, betont der China-Ökonom Michael Pettis.

Selbstvorsorge ist Trumpf

Bescheidenere Renditen auf konservative Anlagen drohen das latente Unbehagen und Unsicherheitsgefühl der chinesischen Haushalte noch zu verstärken und ergo nicht die Konsumlaune zu erhöhen. Informelle Umfragen unter Verbrauchern nach der jüngsten Einlagenzinskappung bringen jedenfalls ein ernüchterndes Resultat. Rund 80% betonen, dass sie in den sauren Apfel beißen werden und eisern am Sparmotiv festhalten wollen. Nur ein Fünftel ist bereit, eine Steigerung der Konsumausgaben überhaupt zu erwägen.

Die Begründung für ein solches Verhalten ist immer dieselbe: Latente Sorgen zu Chinas Konjunkturtrend und heftiges Misstrauen gegenüber der Tragfähigkeit des heimischen Sozial- und Rentensystems. Das bedeutet gefühlten Zwang zur Selbstvorsorge via Sparkonto, schlimmstenfalls auch bei Nullzinsen.

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