Geldpolitik

Gefährliches Spiel

Rekordinflation versus Rezessionsängste – die Zentralbanken stecken in einem Dilemma. Ein adäquater Risikomanagement-Ansatz muss aktuell aber der Inflationsbekämpfung Vorrang geben.

Gefährliches Spiel

Es ist ja beileibe nicht so, dass die Notenbanker weltweit in den vergangenen Jahren stets einen einfachen Job gehabt hätten. Weltfinanzkrise, Euro-Schuldenkrise, Corona-Pandemie – die Herausforderungen waren ebenso vielfältig wie groß. Jetzt aber ist die Aufgabe noch einmal viel heikler und vertrackter. Die Inflation liegt nahezu weltweit so hoch wie seit den 1970er und 1980er Jahren nicht oder im Fall der Eurozone sogar so hoch wie noch nie. Andererseits schüren der Ukraine-Krieg und die neuen Lockdowns in China globale Rezessionsängste. Trotzdem müssen die Notenbanker jetzt die geldpolitischen Zügel an­ziehen. Ein adäquater Risikomanagement-Ansatz muss aktuell der Inflationsbekämpfung Vorrang geben.

Selbst die größten Inflations-Verharmloser können kaum noch abstreiten, dass die Inflation zurück ist – und zwar mit aller Macht: Nahezu 60% der Industriestaaten verzeichnen Teuerungsraten von mehr als 5%, und bei den Schwellenländern ist es fast die Hälfte, bei denen die Inflation sogar die 7-Prozent-Marke überschritten hat, wie die Zentralbank der Zentralbanken BIZ vorgerechnet hat. Der Preisdruck breitet sich zudem immer stärker in den Volkswirtschaften aus – längst ist es keine reine Energiepreisinflation mehr. Je länger die hohe Inflation anhält, desto größer wird aber das Risiko, dass auch die Löhne anziehen und sich die Inflation verfestigt. Längst gibt es erste Zeichen, dass das Lohnwachstum wieder sensitiver auf die Inflation reagiert. Die Notenbanker müssen jetzt unter allen Umständen eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale verhindern. Dafür braucht es klare Worte und Taten gegen die Inflation.

Das gilt umso mehr, als die Inflation künftig auch strukturell wieder höher liegen dürfte als in der Vergangenheit. Einige der Faktoren, die die Teuerung lange Jahre gedrückt haben, dürften nachlassen oder sich gar ins Gegenteil verkehren. Das gilt insbesondere für die Globalisierung, die mit Pandemie und Kriegswirren auf dem Rückzug ist. Unternehmen und Arbeitnehmer könnten einiges an verlorener Preis- und Lohnsetzungsmacht zurückerobern. Zu­dem setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass auch der Kampf gegen den Klimawandel tendenziell inflationär wirkt. Die Weltwirtschaft steht womöglich bereits an der Schwelle zu einem neuen Inflationsregime. Das können und dürfen die Zentralbanken nicht ignorieren.

Natürlich ist es alles andere als optimal, dass die geldpolitische Straffung nun just zu einer Zeit kommt, da in Europa ein schrecklicher Krieg tobt und China seine rigide Null-Covid-Strategie exerziert. Das wird das weltweite Wachstum dämpfen, und die Unsicherheit ist immens. Noch aber ist die berechtigte Hoffnung, dass die US-Wirtschaft trotz globaler Wirrungen und Fed-Straffung auf Erholungskurs bleibt. Und auch Chinas Wirtschaft könnte mit Lockerungen der Corona-Beschränkungen wieder mehr Fahrt aufnehmen. Sollte es doch schlimmer kommen und die Weltwirtschaft in die Rezession rutschen, ist womöglich ein erneutes Umdenken der Währungshüter nötig. Ihre Möglichkeiten zur Konjunkturstimulierung wären derzeit aber ohnehin limitiert. Aktuell muss es Priorität haben, die Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen. Auch Inflation hat langfristig enorme wirtschaftliche und gesellschaftliche Kosten.

Die US-Notenbank Fed scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben, wie ihre jüngsten Schritte in Sachen Leitzinsen und Notenbankbilanz sowie die harte Anti-Inflations-Rhetorik erkennen lassen. Aber auch die Fed hat noch einen langen Weg vor sich. Bei einer Verbraucherpreisinflation von 8,5% und einem Leitzins von 0,75% bis 1,0% ist der Realzins immer noch extrem negativ und weit entfernt von einem zumindest neutralen Ni­veau. Die Europäische Zentralbank (EZB) steuert nun zwar auf eine schnellere Zinswende zu. Das ist absolut richtig, weil speziell der Negativzins schlicht nicht mehr in die Zeit passt. Oft übersehen wird dabei aber, dass die EZB bislang keinerlei Anstalten macht, ihre aufgeblähte Bilanz anzugehen. Im Gegenteil: Sie will sogar bis Ende 2024 fällige Anleihen aus dem Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP ersetzen. Das Thema gehört auf den Tisch.

Die aktuell äußerst missliche Lage haben sich die Zentralbanker mindestens zu einem we­sentlichen Teil auch selbst zuzuschreiben. Sie haben die Inflation zu lange auf die leichte Schulter genommen und tatenlos zugeschaut. Schuld daran wa­ren auch die neuen geldpolitischen Strategien von Fed und EZB mit einer größeren Toleranz gegenüber Inflationsraten oberhalb des 2-Prozent-Ziels. Nun zeigt sich: Das Spiel mit den Inflationserwartungen und der eigenen, hart erworbenen Glaubwürdigkeit ist brandgefährlich – und es hat seinen Preis.

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