Russland ist schwierig zu sanktionieren

Wirklich wirksame Sanktionen gegen Russland zu ergreifen ist schwierig. Zu sehr hängt die Welt von den Rohstoffen ab, die Russlands Wirtschaft antreiben.

Russland ist schwierig zu sanktionieren

Von Eduard Steiner, Moskau

Immer wieder will der Westen Russland mit Sanktionen maßregeln. Zu wirklich wirksamen greift er dabei nicht. Aus gutem Grund, wie ein genauer Blick auf Russlands Ressourcen zeigt. Was passieren kann, wenn man unbedacht Sanktionen gegen einen wichtigen russischen Konzern verhängt, musste die Welt zum ersten Mal schmerzhaft im April 2018 erfahren. Damals verboten die USA, Aluminium von Rusal zu kaufen. Der Konzern stoppte die Lieferungen in seinen Hauptmarkt Europa. Und der Preis schnellte um 15% hoch. Damit hatten offenbar auch die Amerikaner nicht gerechnet. Das US-Finanzministerium wurde von den eigenen Konzernen belagert. Am Ende lenkte Rusal-Mehrheitseigner Oleg Deripaska, dem Mithilfe bei der angeblich russischen Einmischung in die US-Präsidentenwahlen 2016 vorgeworfen wurde, ein und reduzierte seine Anteile. Am Ende hoben die USA – in einer beispiellosen Eile – die Sanktionen nach wenigen Monaten auf.

Die Welt ist abhängig

Beim Versuch, Russlands Wirtschaft und Einzelpersonen zu treffen, kann der Schuss leicht nach hinten losgehen. Denn gerade in jenen Rohstoffsektoren, die Russlands Wirtschaft vorrangig tragen, ist die Welt von Russland abhängig. Nicht zufällig blieben die bisherigen westlichen Sanktionen, abgesehen vom Versuch bei Aluminium, auf Erschwernisse bei Finanzierungen und beim Technologietransfer beschränkt – und so in der Wirkung überschaubar.

Dennoch tauchen ab und an Überlegungen auf, doch einmal eine härtere Gangart zu versuchen. Zuletzt in einem Entschließungsantrag des EU-Parlaments vom 28. April 2021: Sollte – die im April kurz demonstrative – militärische Aufrüstung Russlands nahe der Ostukraine zu einer Invasion in die Ukraine führen, müssten „Öl- und Gasimporte aus Russland in die EU sofort gestoppt werden“, hieß es. Man könne sich die Folgen in einem Moment, wo der Ölmarkt ohnehin angespannt sei, kaum ausmalen, sagt Eugen Weinberg, Öl-Analyst der Commerzbank, der Börsen-Zeitung. Auf dem Markt fehlen schon jetzt 2 Mill. Barrel pro Tag, was den Preis dieses Jahr um 50% auf über 75 Dollar je Barrel getrieben hat. Bei einem Importstopp aus Russland, dem weltweit zweitgrößten Ölexporteur, würden zusätzlich über 5 Mill. Barrel fehlen: „Der Preis könnte auf weit über 100 Dollar hochschnellen. In der heutigen Situation würde Europa weit mehr darunter leiden als Russland, das schnell andere Abnehmer finden würde.“ Die Verluste wären auf beiden Seiten katastrophal. Fast zwei Drittel der russischen Ölexporte gehen nach Europa, dazu zwei Drittel der Gas- und die Hälfte der Kohleexporte. Die Einnahmen daraus füllen das Budget zu 40%. Umgekehrt bezieht die EU 26% seines importierten Öls und 40% des importierten Gases aus Russland.

Russland ist bei Rohstoffen eng mit der Weltwirtschaft verwoben. Das zeigte sich wieder, als Russland von sich aus vor knapp zwei Wochen beschlossen hatte, die Ausfuhr einiger Rohstoffe mittels Exportsteuern ab August zu drosseln. Und zwar bei Aluminium, Nickel, Kupfer und Stahl. „Die russische Bauwirtschaft hat sich über die hohen Rohstoffpreise beschwert. Außerdem braucht der Haushalt Geld“, sagt Alexej Portanskij, Handelsexperte der Moskauer Higher School of Economics, zur Börsen-Zeitung. Angedacht sind mindestens 15% an Zöllen. Kolportiert werde, dass es 20 bis 25% werden, sagte Daniel Briesemann, Rohstoffanalyst der Commerzbank, auf Anfrage. Der Alupreis hat bereits mit Aufschlägen reagiert. Und der physische Aufschlag für aktuelle Lieferungen sei wenige Tage nach dem Beschluss mit über 250 Dollar je Tonne der höchste seit Beginn der Datenreihe im Jahr 2016 gewesen, so Briesemann. Russlands Anteil an der globalen Aluproduktion möge mit 5,8% klein aussehen. Aber er sei der zweitgrößte hinter China und habe Gewicht, da China, das für drei Fünftel der globalen Produktion stehe, den Großteil im Inland behalte.

Auch bei Nickel kommt Russland mit einem Anteil von 8,8% an der globalen Förderung der dritte Platz zu. Bei Gold ist es weltweit drittgrößter Produzent, bei Weizen führender Exporteur und bei Holz zweitgrößtes Ausfuhrland. Und bei Palladium deckt allein der Konzern Nornickel etwa 40% des globalen Bedarfs. Nicht zufällig rangiert sein Hauptaktionär Wladimir Potanin laut „Forbes“-Magazin mit geschätzt 27 Mrd. Dollar auf Platz 2 der russischen Reichenliste. Das lag und liegt an der Preisdynamik des Edelmetalls, das – verwendet in Katalysatoren für Benzinmotoren – seit dem Dieselskandal gefragt ist wie nie.

Hier mit Sanktionen zu drohen, ist dem Westen nie in den Sinn gekommen. Ebenso wenig wie bei Titan, das vom weltweit größten Produzenten WSMPO-Awisma an Flugzeugbauer geliefert wird. Unter anderem an den US-Konzern Boeing. 2018 hat die russische Regierung überlegt, aus Rache den Export in die USA zu verbieten. Warum es nicht dazu kam, erklärte der russische Konzernchef Sergej Stepanow im Vorjahr in einem Interview pragmatisch: „In der Welt gibt es drei große Titanproduzenten. Deshalb denke ich, dass es hier weniger Raum für Konkurrenz und mehr für Kooperation gibt.“