Gründerin Anne Wojcicki muss Kontrolle über 23andMe abgeben
Gründerin Wojcicki verliert Kontrolle über 23andMe
Von Alex Wehnert, New York
Anne Wojcicki muss sich mit einer harten Realität abfinden. Die Gründerin des DNA-Test-Startups 23andMe, verliert endgültig die Kontrolle über ihr Unternehmen. Denn die 2006 gegründete Firma, die Kunden mittels Labortests von Speichelproben Aufschlüsse über ihre Herkunft und genetische Veranlagungen zu bestimmten Erkrankungen liefert, stellte im März einen Antrag auf Zahlungsunfähigkeit nach Kapitel 11 des US-Insolvenzrechts. Wojcicki trat damals vom CEO-Posten zurück – und schwor, 23andMe aus der Insolvenz herauskaufen zu wollen.
Verwaltungsrat tritt zurück
Die 51-Jährige trachtete bereits im vergangenen Jahr danach, das 2021 via Merger mit einer Special Purpose Acquisition Company (Spac) an die Nasdaq gegangene Unternehmen von der Börse zu nehmen. Doch blitzte Wojcicki, die 49% der Stimmrechte kontrollierte, mit zwei Angeboten beim Verwaltungsrat ab. Das Kontrollgremium, das die gebürtige Kalifornierin mit einer Reihe an Vertrauten und Freunden besetzt hatte, reagierte in einem Schreiben „enttäuscht“ auf einen ersten Vorstoß – und trat im September 2024 aufgrund tiefgreifender Zweifel an Wojcickis Strategie zurück.
Die damalige 23andMe-Chefin setzte darauf neue, gut bezahlte Direktoren ein, während 23andMe im großen Stil Cash verbrannte und zu Massenentlassungen griff. Doch auch das frisch besetzte Board lehnte fünf Monate später ein Übernahmeangebot Wojcickis im Volumen von 41 Cent pro Aktie ab – die Papiere handelten zu diesem Zeitpunkt zu 1,48 Dollar, am Tag nach dem Insolvenzantrag und kurz vor dem Delisting von der Nasdaq sackten sie im März auf 73 Cent ab.
Die willensstarke Startup-Gründerin muss nun loslassen: Durch die Insolvenz haben ihre stimmberechtigten Anteile jeden Wert verloren. Und wie zum Start der laufenden Woche bekannt wurde, sichert sich das Biotech-Unternehmen Regeneron die zahlungsunfähige Firma für lediglich 256 Mill. Dollar. Dies bedeutet einen harten Abschlag gegenüber den zeitweise mehr als 6 Mrd. Dollar, die 23andMe zu Hochzeiten an der Börse wert war. Regeneron will das Geschäft mit den DNA-Tests weiter betreiben und die Basis aus bisher rund 15 Millionen Speichelproben nutzen, um neue Medikamente zu entwickeln – den Datenschutz soll dabei ein vom Insolvenzgericht abgestellter Ombudsmann beaufsichtigen.
Frühe Sorge vor Datenmissbrauch
Schon im Jahr 2018 hatte ein 300 Mill. Dollar schweres Investment des britischen Pharmariesen GSK Sorgen vor einem Missbrauch der Daten von 23andMe durch größere Unternehmen wachgerufen. Vor rund zwei Jahren betraf ein Datenleck bei dem Startup bereits sieben Millionen Kunden. Nach dem Insolvenzantrag löschten zahlreiche Auftraggeber von 23andMe ihre Konten, Republikaner im Kongress eröffneten Ermittlungen wegen nationaler Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit den großen bei der Firma vorgehaltenen genetischen Informationen.
Doch mit den Plänen zur Medikamentenentwicklung verfolgt Regeneron nun einen lang gehegten Plan von Wojcicki. Die im Silicon Valley für ihren ansteckenden Optimismus geschätzte Tochter eines Physik-Professors der Elite-Universität Stanford formte das gemeinsam mit der Biologin Linda Avey und dem gelernten Ingenieur und späteren Derivateindustrie-Lenker Paul Cusenza gegründete Unternehmen zu einem der zeitweise heißesten Startups der Welt. Geschichten von Menschen, die dank der DNA-Tests auf Verwandte stießen, von denen sie überhaupt nicht wussten, zogen schnell neue Kunden an. 23andMe erhielt die Unterstützung der US-Arzneimittelbehörde FDA und Investments von führenden Venture-Capital-Gesellschaften wie Sequoia.
Geschäftsmodell mit zentralem Problem
Allerdings stand das Unternehmen vor einem zentralen Problem: Der Großteil der Menschen benötigt nur einmal im Leben einen DNA-Test. Und Wojcicki, die ihrer älteren Schwester – der 2024 an Lungenkrebs verstorbenen langjährigen Youtube-Chefin Susan Wojcicki – nacheiferte, mühte sich bei der Suche nach einem Geschäftsmodell mit wiederkehrenden Erlösen und der Aussicht auf Profitabilität vergeblich ab.
Ihre Pläne, mit 23andMe die Medikamentenentwicklung voranzutreiben, galten zugleich als kapitalintensiv und riskant. Schließlich dauert es im Regelfall Jahre und mehrere 100 Mill. Dollar, neue Arzneien von der FDA genehmigte Arzneien an den Markt zu bringen. Sie kaufte das Telemedizin-Unternehmen Lemonaid Health für 400 Mill. Dollar auf und hoffte, auf Basis genetischer Daten eine bessere Patientenversorgung erreichen zu können. Der Plan ging nicht auf: Im Nachgang des 2021 abgeschlossenen Deals halbierte sich der Umsatz von Lemonaid.
Mit einem 2020 lancierten Abonnementmodell wollte Wojcicki Millionen von Kunden anziehen, wie sie gegenüber Investoren betonte – es wurden nur einige 100.000. Nun endet die Herzensangelegenheit 23andMe für die Self-Made-Millionärin also. Begonnen hatte sie dank ihrer Schwester Susan. Diese vermietete in den 1990er Jahren ihre Garage im kalifornischen Menlo Park an zwei junge Männer, die dort ihr neues Unternehmen starteten – mit dem ersten Büro von Larry Page und Sergey Brin begann der Aufstieg des Technologieunternehmens Google zum globalen Milliardenkonzern.
„Spuckpartys“ mit Promis
Susan Wojcicki begann kurz darauf selbst für die Gründer des Suchmaschinengiganten zu arbeiten und nahm über mehr als zwei Jahrzehnte Schlüsselrollen im heute unter dem Dach der Holding Alphabet operierenden Tech-Riesen ein. Über sie lernte Anne Wojcicki Brin kennen, mit dem sie zwischen 2007 und 2015 verheiratet war und zwei Kinder hat. Der gebürtige Russe stellte sie wiederum Avey vor, mit der sie 23andMe gründen sollte. Nach schwierigem Beginn zog das Startup durch „Spuckpartys“ am Rande der New York Fashion Week und des Weltwirtschaftsforums in Davos, bei denen prominente Speichelproben abgaben, die Aufmerksamkeit auf sich.
In den Folgejahren genoss Anne den Glamour, den der Status als erfolgreiche Silicon-Valley-Gründerin mit sich bringt: Gemeinsam mit Susan war sie häufiger Gast bei der Oscar-Afterparty des Modemagazins „Vanity Fair“, nach ihrer Ehe mit Brin begann sie eine Beziehung mit Baseball-Star Alex Rodriguez, mit dem sie sich unter anderem bei der New Yorker Met Gala zeigte. Aufsehen erregte bei letzterem Auftritt ihre Handtasche, die mit DNA-Testchips dekoriert war. Doch der Glanz ist spätestens mit dem Gang von 23andMe vor das Insolvenzgericht unangenehmer Realität gewichen.