Gary Gensler

SEC-Chef hat den Krypto­markt im Visier

Gary Gensler ist für die Kryptoszene Hoffnungsträger und Widersacher zugleich. Denn der SEC-Chef kennt sich bestens mit Cyberdevisen aus – ist aber auch ein harter Verfechter des Investorenschutzes.

SEC-Chef hat den Krypto­markt im Visier

Von Alex Wehnert, Frankfurt

An der MIT Sloan School of Management findet im Herbst 2018 eine Vorlesungsreihe statt, die am Kryptomarkt zweieinhalb Jahre später zum heißen Gesprächsstoff werden soll. Denn der Professor, der damals in einem vollen Seminarraum vor aufmerksam lauschenden Studenten über das Seminarthema „Blockchain and Money“ referiert, ist Gary Gensler – den der US-Senat im März 2021 als neuen Vorsitzenden der Börsenaufsicht SEC bestätigt. Weil sich Gensler schon während seiner Lehrtätigkeit mit dezentralen Technologien und Cyberdevisen auseinandergesetzt habe, stünde er diesen aufgeschlossener gegenüber als sein Vorgänger Jay Clayton, so das vor seinem Amtsantritt in der Kryptoszene kursierende Narrativ. Nach den ersten neun Monaten seiner Ägide lässt sich indes festhalten: Gensler ist für die Kryptoszene Hoffnungsträger und Widersacher zugleich.

Experte für Terminmarkt

Denn einerseits gab die SEC mit dem 64-Jährigen an der Spitze grünes Licht für die ersten in den Vereinigten Staaten handelbaren Exchange Traded Funds auf Bitcoin. Andererseits bezeichnete der Aufsichtschef Kryptowährungen als Assetklasse, die vor Betrug und Marktmissbrauch nur so strotze, und setzte es sich zum Ziel, ein höheres Maß an Investorenschutz im Segment durchzusetzen. Infolgedessen schmettert die SEC weiterhin alle Anträge von Assetmanagern auf Genehmigungen für Bitcoin-ETFs ab, die den Spot-Kurs direkt abbilden. Bei den Vehikeln, die seit Oktober in den USA verfügbar sind, handelt es sich um futuresbasierte Produkte, von denen sich die Aufsicht eine höhere Widerstandsfähigkeit gegen Manipulationen verspricht.

Die Argumentation der SEC ruft im Markt und bei Vermögensverwaltern durchaus Kritik hervor – schließlich schlügen Manipulationen der Spot-Kurse auch auf Bitcoin-Terminkontrakte durch. Möglicherweise, glauben Beobachter, hat sich die Aufsicht bei der Genehmigung der Futures-Vehikel auch davon überzeugen lassen, dass es mit der Commodity Futures Trading Commission (CFTC) eine Instanz gibt, die spezifisch den Terminmarkt überwacht – und mit der Gensler bestens vertraut ist. Denn der Demokrat stand der Behörde zwischen 2009 und 2014 vor und verschärfte damals die Regulierung des US-Derivatemarkts – der unkontrollierte Handel mit diesen Finanzinstrumenten hatte zur Eskalation der Finanzkrise von 2008 beigetragen.

Strafverfolgung gestärkt

Zudem stärkte er in seiner Funktion als CFTC-Chef die Rolle der Strafverfolgungsabteilung der Derivate-Aufsicht und war in der Folge entscheidend an der Aufdeckung des Libor-Skandals beteiligt. Dem britischen Geldhaus Barclays etwa, die den täglich berechneten Interbanken-Referenzzinssatz manipuliert hatte, brummte die CFTC unter Genslers Führung eine Strafzahlung in Höhe von 200 Mill. Dollar auf.

Dabei galt Gensler vor seinem Antritt als Chef der Terminmarkt-Aufsicht eigentlich als zu marktnah – ebenso, wie er vor seinem Sprung auf den SEC-Spitzenposten als kryptofreundlich galt. Denn der ehemalige Investmentbanker, der 18 Jahre lang für Goldman Sachs arbeitete, hatte sich zwischenzeitlich einen Posten als Staatssekretär im Finanzministerium gesichert. Dabei stand er im Verdacht, an der Deregulierung des Derivatehandels mitgewirkt zu haben. Später räumte er im Rahmen einer Senatsanhörung anlässlich seiner Bestellung als CFTC-Chef ein, er habe mehr tun müssen, um die US-Öffentlichkeit durch Regulierungsmaßnahmen zu schützen.

In seiner aktuellen Rolle muss er sich eine zu große Nähe zu Marktteilnehmern bisher nicht vorwerfen lassen. Mitte Dezember brachte die SEC verschärfte Regeln in Bezug auf Insider-Trading ins Spiel. Demnach sollen Insider künftig erst 120 Tage, nachdem ihr Unternehmen ein Aktienrückkaufprogramm eingeläutet oder verändert hat, handeln dürfen. Auch für die Konzerne an sich soll künftig eine Frist von 30 Tagen zwischen der Ankündigung eines Rückkaufprogramms und den ersten Trades gelten. Generell sollen die Offenlegungspflichten für Rückkäufe umfangreicher werden. Und auch für Geldmarktfonds sollen neue Regeln gelten: So sollen die Liquiditätsanforderungen für diese Vehikel steigen, um die Wahrscheinlichkeit von Panik-Runs zu reduzieren.

Genslers Antrieb, Privatanleger vor Marktmanipulationen und -Verwerfungen zu schützen, erklären Beobachter gern dadurch, dass der Aufsichtschef in jungen Jahren einen realistischen Bezug zum Wert des Geldes erhalten habe. Seinem Vater, der in den Kneipen von Baltimore Zigarettenautomaten und Flipper aufstellte, musste Gensler als Kind beim Zählen der Einnahmen helfen.

Sein Großvater, ein Einwanderer aus Litauen, prägte ihm indes ein Bonmot ein, an das Gensler dieser Tage nach eigener Aussage häufig denkt: „Figures don’t lie, but liars sure can figure“ (Sinngemäß: „Zahlen lügen nicht, aber auch Lügner können rechnen“). Für den SEC-Chef ist dies zum Leitsatz seiner schlagkräftigen Regulierungslinie geworden, die der Markt für Cyberdevisen wiederholt zu spüren bekommt. So verbot die Aufsicht der Kryptobörse Coinbase zuletzt unter Androhung einer Klage, eine Lending-Plattform zu starten, über die Investoren ihre Digitalwährungen gegen hohe Renditen hätten verleihen können.

Sprungbrett zu Höherem

Regulierungsexperten gehen davon aus, dass Gensler als SEC-Chef in Bezug auf Kryptowährungen und verbundene Dienstleistungen weiterhin einzelne Maßnahmen ins Visier nehmen wird, statt allgemeine Regeln zu schaffen. Kritiker unterstellen ihm, sich somit nur profilieren und die SEC als Sprungbrett auf den Posten des US-Finanzministers nutzen zu wollen. Unterstützer halten entgegen, dass Gensler gegenüber Kryptoplattformen und Token-Emittenten durchaus eine Dialogbereitschaft zum Ausdruck gebracht hatte. Gesprächsangebote des SEC-Chefs sollten Digital-Assets-Dienstleister wohl lieber annehmen – sonst dürften sie in ihm einen harten Widersacher finden.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.