Sanktionen

Europas Banken prüfen Russland-Engagement

Aus Furcht vor enttäuschenden Geschäften bei einer Rezession infolge des Ukraine-Kriegs, aber auch wegen eines hohen Russland-Engagements werfen Anleger Finanzwerte aus ihren Depots.

Europas Banken prüfen Russland-Engagement

bl/wü/dpa-afx/Reuters Mailand/Paris/Zürich/Schanghai

An den Börsen trifft es derzeit Institute mit einem großen Russland-Engagement besonders hart. Die Titel der Raiffeisen Bank, der Société Géné­rale (SocGen) und der HypoVereinsbank-Mutter Unicredit verbuchten am Montag anfangs jeweils zweistellige prozentuale Kursverluste, erholten sich aber etwas im Tagesverlauf.

Italiens Finanzinstitute sind relativ stark in Russland engagiert. Die größte Bank des Landes, Intesa Sanpaolo, ist als einziges italienisches Institut auch in der Ukraine tätig. Die ausstehenden Forderungen der Banken, im Wesentlichen sind das Intesa Sanpaolo und Unicredit, beziffert die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) auf insgesamt 23,2 Mrd. Euro. Die Aktienkurse von Unicredit und Intesa Sanpaolo sind seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine deutlich eingebrochen: Unicredit-Titel verloren seit dem 23. Februar etwa 40%, Intesa Sanpaolo 30% ihres Wertes.

Selbst für die HVB-Mutter Unicredit sehen Analysten der LBBW zwar ein „substanzielles, aber verkraftbares Risiko“. Die größte Gefahr besteht in Form von Kreditausfällen. Ein Sprecher der Bank verweist darauf, dass „sich die NPE-Abdeckung auf 84% erhöht hat“ (Non-Performing Exposures). Der Kapitalanteil der russischen Tochter betrage weniger als 4% des gesamten Kapitals der Gruppe. Betrachte man Darlehen und Gesamtaktiva, sei er sogar noch geringer.

Unicredit kam seinerzeit über die Bank Austria bzw. die deutsche HVB zu dem russischen Engagement. Die russische Tochter hat etwa zwei Millionen Privat- und 30000 Firmenkunden, 72 Geschäftsstellen und 4000 Mitarbeiter. Der Gewinnbeitrag lag 2021 bei 180 Mill. Euro. Insgesamt beträgt das Exposure der Bank in Russland 14,2 Mrd. Euro, davon etwa 8 Mrd. Euro über die russische AO Unicredit Bank und der Rest überwiegend in Form von direkten Engagements der Mutter im Geschäft mit Unternehmens­kunden.

Über die Zukunft der russischen Aktivitäten der Bank heißt es, man verfolge die Entwicklung genau. In Finanzkreisen ist zu hören, eine vollständige Abschreibung würde mit etwa 1 Mrd. Euro zu Buche schlagen und die sehr komfortable Kapitalposition um etwa 35 Basispunkte reduzieren. Noch im Januar hatte Unicredit über eine Übernahme der staatlichen russischen Otkritie Bank nachgedacht. Unicredit-CEO Andrea Orcel hat auch persönlich enge Beziehungen nach Russland: Sein Bruder Riccardo ist Vize-CEO der russischen VTB Group und Head of Global Banking bei der VTB Capital.

Eine Intesa-Sanpaolo-Sprecherin bestätigte auf Anfrage, dass die Bank Assets von 1 Mrd. Euro in Russland und weitere 300 Mill. Euro in der Ukraine hat. Das gesamte Ge­schäftsvolumen sei jedoch aufgrund direkter Geschäftsbeziehungen der Mutter nach Russland deutlich höher. Intesa Russia hat rund 1000 Beschäftigte und 28 Ge­schäftsstellen und prüft „eine strategische Neuausrichtung unserer Aktivitäten“.

Zu Intesa Sanpaolo gehört auch die Pravex Bank in der Ukraine. Das Institut hat 45 Geschäftsstellen, 780 Mitarbeiter und 80000 Kunden. Einige der Filialen, vor allem im Westen des Landes, seien nach wie vor offen. Das werde aber von Tag zu Tag neu entschieden. In der vergangenen Woche waren es in der Regel 20 bis 25 Geschäftsstellen, die ihre Türen öffneten. Das italienische Management, darunter CEO Stefano Burani, wurde bereits vor einigen Wochen zurück nach Italien geholt. Alle anderen italienischen Banken, darunter BPM, sind in Russland nur sehr marginal engagiert.

Generali schließt Büro

Der Versicherer Generali hat nach eigenen Angaben eine „begrenzte“ Präsenz in Russland und denkt darüber nach, alle Aktivitäten dort zu beenden. Das Büro in Moskau wird geschlossen. Gleiches gilt für die Aktivitäten des Reiseversicherers Europ Assistance mit 80 Mitarbeitern in Russland. Offen ist noch, wie es mit dem Joint Venture Ingosstrakh weitergeht, an dem Generali 38,5% der Anteile hält. Ein kurzfristiger Verkauf der Beteiligung sei nicht geplant, wohl aber der Rückzug der drei italienischen Board-Mitglieder. Generali-Chairman Gabriele Galateri di Genola nahm noch Ende Januar ebenso wie Unicredit-CEO Orcel und ein Vertreter von Intesa Sanpaolo an einer Videokonferenz mit Russlands Präsident Wladimir Putin über die Zukunft der italienisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen teil.

Nach BNP Paribas, Société Générale und Crédit Mutuel legten mit Crédit Agricole und BPCE (Banque Populaire – Caisses d’Epargne) weitere französische Banken ihre Russland-Risiken offen. Crédit Agricole ist mit einer gleichnamigen Tochter in der Ukraine und mit Crédit Agricole CIB AO, einer Tochter der Corporate- und Investment-Banking-Sparte, in Russland vertreten. In der Ukraine erzielte die zweitgrößte Bank Frankreichs letztes Jahr Erträge in Höhe von 125 Mill. Euro und ein Vorsteuerergebnis von 58 Mill. Euro. Crédit Agricole CIB AO wiederum kam 2021 auf Erträge von 22 Mill. Euro und ein Vorsteuerergebnis von 5 Mill. Euro. Das Gesamtexposure von Crédit Agricole in Russland und der Ukraine on- und off-shore betrug nach Angaben der Bank Ende letzten Jahres 6,7 Mrd. Euro. Das entspricht 0,6% des gesamten Kreditportfolios. Seit Beginn des Krieges habe es keine neuen Finanzierungen mehr für russische Gegenparteien gegeben, erklärte Crédit Agricole.

Die Bankengruppe BPCE wiederum bezifferte ihr Engagement in Russland und der Ukraine auf 851 Mill. Euro. Das Exposure in Russland beträgt in- und außerhalb der Bilanz 788 Mill. Euro, das in der Ukraine 63 Mill. Euro. Die Gruppe ist in Russland vor allem im Finanzierungsgeschäft tätig. Frankreichs größte Bank BNP Paribas wiederum bezifferte ihre Kredite und Garantien in Russland und der Ukraine auf 500 Mill. Euro. Die genossenschaftliche Bankengruppe Crédit Mutuel ist noch weniger exponiert. Sie hat nach Angaben von Nicolas Théry, dem Chef des Nationalverbandes von Crédit Mutuel, in Russland rund 100 Mill. Euro im Feuer und in der Ukraine 50 Mill. Euro.

Dagegen gehört Société Générale zu den europäischen Finanzinstituten, die am stärksten in Russland exponiert sind. Russland macht in ihrer Bilanz mit einem Exposure von 18,6 Mrd. Euro 1,7% des Gesamtexposures aus. Société Générale könnte jedoch nach eigenen Angaben den Kontrollverlust über ihre russische Tochter Rosbank verkraften. Dieser könnte sich laut Schätzungen der drittgrößten börsennotierten Bank Frankreichs mit 50 Basispunkten auf die CET1-Kernkapitalquote auswirken, die Ende Dezember 13,7% betrug.

Die Schweizer Großbank UBS sieht sich mit Blick auf den Ukraine-Krieg in ihrem eigenen Geschäft einem überschaubaren Risiko ausgesetzt. Das direkte Engagement in Russland, in der Ukraine und in Belarus sei begrenzt, schrieb das Institut in seinem am Montag veröffentlichten Geschäftsbericht. Ende 2021 hielt die russische UBS-Tochter noch Nettovermögenswerte von 51 Mill. Dollar. Zum 3. März lag das Risiko der UBS aus der Abhängigkeit von russischen Vermögenswerten als Sicherheiten für Lombardkredite und andere Fi­nanzierungen in der Vermögensverwaltung dem Ge­schäftsbericht zu­folge noch bei rund 0,2 Mrd. Dollar.

Chinas Aufseher werden aktiv

Die westlichen Sanktionen gegen Russland riefen unterdessen auch die chinesischen Behörden auf den Plan. Das staatliche Devisenamt Chinas (SAFE) habe Banken nach deren möglicher Belastung durch die Russland-Ukraine-Krise ge­fragt. Dabei sei es um Geschäfte mit russischen Geldhäusern und den Um­gang mit Risiken gegangen, sagten mit dem Vorgang vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters.

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