Virtuelle Realität

Anlagechancen im Metaverse

Investoren betrachten die Metaverse-Pläne der Facebook-Mutter Meta Platforms skeptisch. Doch Analysten sehen in der Konvergenz physischer und virtueller Realitäten hohes Erlöspotenzial.

Anlagechancen im Metaverse

Von Kai Johannsen und

Alex Wehnert, Frankfurt

Es ist eine immersive Erfahrung: Mit Virtual-Reality-Brillen können Nutzer in den digitalen Raum versinken und dort zunehmend mit ihrer Umgebung interagieren. Die Fortschritte der Technologie, die auf zahlreichen Messen wie der Tokyo Game Show vorgeführt werden, hängen eng mit der Entwicklung des Metaversums zusammen. Doch die zunehmende Konvergenz der realen und virtuellen Welt hält nicht nur für Spieler und Verbraucher zahlreiche neue Entwicklungen bereit, sondern auch für Unternehmen – und eröffnet laut Marktstrategen somit große Investmentchancen.

„Mal angenommen, Sie könnten jederzeit und überall in jede beliebige Person, jeden beliebigen Körper schlüpfen. Diese Möglichkeit bietet das Metaversum“, sagt Brook Dane, Portfolio Manager Fundamental Equity bei Goldman Sachs Asset Management (GSAM). „Es ist das neueste Schlagwort, das bei vielen Menschen die Frage aufwirft, ob es nur eine Modeerscheinung oder wirklich eine transformative Kraft ist.“ Das Metaversum in seinem heutigen Entwicklungsstand lasse sich mit dem Internet in den 1970er und 1980er Jahren vergleichen, als es die erste Form der verbesserten digitalen Kommunikation über Desktop-PCs darstellte – das Web 1.0. Mit der Verbreitung von Mobilgeräten habe sich das Internet zum Web 2.0 gewandelt, das sich derzeit in seinem mittleren bis späten Stadium befinde. Wer im Web 1.0 und 2.0 führend sei, habe sich in den vergangenen Jahrzehnten herauskristallisiert, heißt es hierzu in der Studie von GSAM weiter.

Neue Dimensionen

Die Entwicklung zum Metaversum erfordere indes ganz neue Dimensionen an Rechenleistung, Dezentralisierung und Speicherung von Inhalten für diese Transformation. Die Kraft, durch die sich das Web 3.0 unterscheide, liege in der Interkonnektivität, für die keine zentralisierte Vermittlungsinstanz benötigt werde. „Das Web 3.0 befindet sich zwar noch in einer sehr frühen Phase, doch wir sehen bereits mehr Teilnahme, da Inhalte an der Schnittstelle von virtuellen 3D- und physischen Erlebnissen zugänglich sind. Nach einer derartigen Transformation kann es in vielen Branchen zu drastischen Veränderungen kommen“, führt Dane aus.

Letzten Endes sei es möglich, dass sich das Metaversum durch diese technologischen Veränderungen ständig weiterentwickele, dabei vermutlich durch die Blockchain-Technologie gestützt werde und sich über verschiedene derzeit geschlossene Netzwerke erstrecke. Mit anderen Worten: Diese Netzwerke würden eher miteinander als unabhängig agieren. „Dieser Weg in die Zukunft wird sicherlich nicht linear verlaufen, um einen Endzustand zu erreichen“, sagt Dane. „Selbst das gegenwärtige Konzept des Metaversums ist noch abstrakt und wird in seiner weiteren Entwicklung voraussichtlich durch viele Definitionen und Visionen Form annehmen.“

Eigene Welten geschaffen

Als das Coronavirus persönliche Begegnungen erschwerte, nutzten viele Menschen virtuelle Meetingräume und Online-Erlebnisse, und andere schufen sogar eigene virtuellen Welten. „Gleichzeitig ermöglichten Fortschritte bei der Hardware-Technologie die breite Einführung von Augmented- und Virtual-Reality-Systemen. Der Aufbau einer virtuellen Existenz wurde durch diese Innovationen vorangetrieben, denn sie ermöglichten es Menschen, digitale Verbindungen aufzubauen, und dem Metaversum, diese Trends zu beschleu­nigen“, betont Dane.

Mit der Verlagerung der digitalen Wirtschaft in die virtuelle Welt sei ein mehrjähriger Investitionsschub bei Unternehmen ausgelöst worden, die sich mit dem Aufbau der notwendigen Infrastruktur als wichtige Player im Metaversum aufstellen wollen. „Der Börsengang von Roblox und das Rebranding von Facebook zu Meta Platforms sind nur zwei Beispiele.“

Der Social-Media-Riese hat seine Strategie auf die Konvergenz der physischen und der virtuellen Realität ausgerichtet und nimmt dafür in Kauf, dass die Verluste in der zuständigen Sparte Reality Labs die Konzernergebnisse stark belasten. Weil auch die Erlöse im Werbegeschäft, über dessen Stärke Meta kapital­intensive Zukunftsprojekte lange Zeit finanzieren konnte, zurückgehen, sind die Investoren nervös. Doch Konzernchef Mark Zuckerberg hält bislang unbeirrt an seinem Traum vom Metaversum fest – und auch Analysten bescheinigen der Technologie enorme Umsatzpotenziale.

Laut dem Informationsdienstleister Bloomberg Intelligence und dem Marktforschungsunternehmen International Data Corporation dürften die Erlöse aus Metaverse-Anwendungen bis 2030 mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von 52% wachsen und ein Volumen von 627,5 Mrd. Dollar erreichen. In den kommenden 20 Jahren könnte sich das Metaversum mit der Verlagerung der digitalen Wirtschaft in die virtuelle Welt laut Bloomberg gar in einen 8 Bill. Dollar schweren Markt verwandeln.

„Führende Unternehmen, die in das Metaversum investieren, könnten in der Lage sein, die Teilnahme an interaktiven virtuellen Welten weiter zu fördern, wodurch neue Investmentchancen entstehen“, kommentiert GSAM-Manager Dane. Die erste Akzeptanz des Metaversums in der Unterhaltungsbranche, dem Einzelhandel und der Konsumgüterbranche sei bereits zu beobachten. Beispiele seien virtuelle Konzerte, Shopping oder auch virtuelles Essen. „Im Oktober 2021 eröffnete eine Fast-Food-Kette ihr erstes virtuelles Restaurant und bot den ersten 30000 Nutzern, die dieses passend gekleidet besuchten, Gutscheine für einen kostenlosen Burrito an. Außerdem wurde ein Labyrinth geschaffen, in dem Besucher exklusive virtuelle Artikel freischalten konnten“, führt der Marktstratege aus.

Blockchain-Anwendungen und insbesondere Non-Fungible Token (NFTs) dürften laut Analysten zu einem wichtigen Bestandteil des Metaverse werden. Bei NFTs handelt es sich um kryptografische Wertmarken, mit denen sich Eigentumsrechte an virtuellen Gütern wie digitaler Kunst oder Medien beurkunden und handelbar machen lassen. Im Gegensatz zu Cyberdevisen wie Bitcoin sind die Token nicht replizierbar, jeder NFT ist ein Unikat. Aktuell entwickelt sich das Investoreninteresse an den digitalen Wertmarken allerdings gedrückt. War das wöchentliche NFT-Handelsvolumen laut der Plattform „The Block“ Ende April erstmals auf über 1,2 Mrd. Dollar geschnellt, lag es Ende Oktober nur noch bei etwas über 24 Mill. Dollar. Insbesondere bei Videospiel-Wertmarken hat die Aktivität stark nachgelassen.

Fonds lanciert

Doch Assetmanager setzen darauf, dass sich dies künftig ändert. So hat der Passivspezialist Defiance in den USA bereits einen auf NFTs fokussierten Exchange Traded Fund lanciert. Für europäische Anbieter sind indes bereits breiter angelegte Metaverse-Vehikel verfügbar. Franklin Templeton hat einen börsengehandelten Ucits-Fonds auf den Anlagetrend Anfang September auf Xetra sowie an der Borsa Italiana und der London Stock Exchange gelistet. Candriam legte Ende Oktober den Candriam Equities L Meta Globe Fund auf. Obwohl das Metaverse noch in den Kinderschuhen steckt, ist Candriam der Ansicht, dass es Investoren beachtliche und überzeugende langfristige Anlagechancen bietet: „Marktschätzungen zufolge soll die Metaverse-Wirtschaft 5 Bill. Dollar übertreffen“, heißt es zum Wertschöpfungspotenzial in Bezug auf Studien von McKinsey. Unterdessen könne der Markt für NFTs und digitale Authentizitätszertifikate bis 2025 80 Mrd. Dollar umsetzen.

Die zunehmende Investitionstätigkeit im Segment dürfte laut GSAM dazu beitragen, die potenziellen Anwendungsfälle des Metaversums über das Gaming hinaus auf virtuelle Konzerte, Fashion Shows und mehr auszuweiten. „Unternehmen in den Branchen Gaming, Augmented Reality und virtuelle Welten sammelten 2021 rund 10 Mrd. Dollar an Kapital an den privaten Märkten ein“, sagt Dane. Meta habe für die kommenden Jahre indes vor allem im Computing-Bereich Milliardenausgaben angekündigt. „Insgesamt könnte das Potenzial für Investitionen in diesem Bereich in den nächsten drei Jahren bei zwischen 135 Mrd. Dollar und 1,35 Bill. Dollar liegen“, heißt es bei GSAM weiter. Bewahrheiten sich die Prognosen, dürften nicht nur Nutzer, sondern auch Anleger künftig verstärkt im Metaverse versinken.

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