Lateinamerika-Anleihen

„Asset-Klasse befindet sich in guter Aus­gangs­lage“

Alfredo Mordezki sieht gute Aussichten für lateinamerikanische Unternehmensanleihen. Der Head of Latam Fixed Income von Santander Asset Management hält einen Ertrag von 9% in diesem Jahr für erzielbar.

„Asset-Klasse befindet sich in guter Aus­gangs­lage“

Christopher Kalbhenn.

Herr Mordezki, Ist das Umfeld für lateinamerikanische Unternehmensanleihen derzeit günstig?

Die Asset-Klasse befindet sich in einer guten Ausgangslage. Wir hatten in den zurückliegenden beiden Jahren Wachstum, kein sehr starkes, aber immerhin ein positives Bruttoinlandsprodukt. Die Wirtschaft hat sich 2021 und 2022 vom Covid-Schock erholt. Außerdem ist die Verschuldung in Lateinamerika auf der Unternehmensseite recht moderat. Sie ist in den zurückliegenden fünf bis sieben Jahren zurückgegangen, was man auch am Nettoangebot am Unternehmensanleihemarkt sieht. Insgesamt gab es keine hohe Investitionsaktivität, sondern eben eine Erholung. Daher ist die Verschuldung nicht gestiegen. Ähnlich sieht es sogar bei den Banken aus. Selbst die Verbraucher sind nicht stark verschuldet.

Und wie sieht es auf staatlicher Ebene aus?

Die Regierungen sind die einzigen Player, die ihre Verschuldung nicht deutlich abgebaut haben. Grund ist der doppelte Schock durch Covid. Zum einen gab es mehr Ausgaben, weil es in der Region viele informelle Beschäftigungsverhältnisse gibt, d. h., viele Menschen mussten unterstützt werden. Zum anderen sanken durch die Pandemie die Staatseinnahmen. In den Jahren 2021 und 2022 haben sich die Haushaltssalden zwar in vielen Ländern erholt, aber die Staaten sind nach wie vor die einzigen Player, bei denen die Verschuldungsniveaus noch signifikant hoch sind.

Was bedeutet das für die Anleger?

Viele Leute sehen die Emerging Markets derzeit als eine günstige Investitionsmöglichkeit an. Aber es ist wichtig, dass sie verstehen, dass sie zwischen Unternehmen und Staaten unterscheiden müssen. Mexiko hat zwar eine geringe Verschuldung, aber im Falle Kolumbiens beispielsweise liegt sie bei 60% des Bruttoinlandsproduktes und bei Brasilien noch höher. Das Besondere ist allerdings, dass die Schulden weitgehend auf Lokalwährung lauten, so dass Devisenreserven kein Problem darstellen. Allerdings sind die Schuldenkosten hoch, da auch die Zinsen zuletzt deutlich angezogen haben. Anleger müssen also zwischen Unternehmen- und Staatspapieren differenzieren.

Etwas kritisch wurde nach der Wahl Lula da Silvas zum Präsidenten zuletzt Brasilien betrachtet. Wie beurteilen Sie die Lage?

Die Unsicherheit über Lula beginnt nachzulassen. Eine gute Nachricht ist, dass sein Finanzminister Brücken zum Kongress, zur Opposition und zum Finanzmarkt gebaut hat, indem er beruhigende Signale gesendet hat. Lula hat erklärt, dass die Zinsen sehr hoch sind, und das stimmt. Aber wenn man niedrigere Zinsen will, muss man eine solide Fiskalpolitik betreiben. Ferner hat er von der Notenbank niedrigere Zinsen gefordert. Brasilien ist das einzige Land der Welt mit einem Realzins von mehr als 6%.

Wie sehen Ihre Erwartungen für die weitere Entwicklung aus?

Wir glauben, dass die Inflation sinken wird. Die Fiskalpolitik müssen wir weiterhin im Auge behalten. Unserer Meinung nach hat Brasilien das Potenzial, positiv zu überraschen. Die hohen Zinsen betreffen einen Teil der Bevölkerung. Aber es ist ein sehr großes Land, und bei einem großen Teil der Bevölkerung ist die Verschuldung nicht hoch. Der Konsum ist resilient, die Industrieproduktion steigt. Hinzu kommt Rückenwind von den Rohstoffpreisen. Die Ausfuhren entwickeln sich recht gut und haben der Fiskalpolitik geholfen. Selbst wenn es zu einer expansiveren Fiskalpolitik auch in diesem Jahr kommen sollte, ist die Ausgangslage nicht schlecht. Für 2022 war ursprünglich ein Wachstum von 0% erwartet worden, tatsächlich waren es dann 3%. Die etwas expansivere Fiskalpolitik hat dem Haushaltssaldo also nicht geschadet.

In welcher Verfassung befinden sich die Unternehmen des Landes?

In der Unternehmenslandschaft sieht es viel besser aus, insbesondere im Vergleich zur Krise der Jahre 2015 und 2016. Die Unternehmen haben sich mittlerweile völlig erholt, etwa in den Branchen Stahl, Petrochemie und Fleischproduktion. Sie haben ihre Verschuldung signifikant abgebaut.

Welches Land der Region ist derzeit besonders interessant?

In diesem Jahr richten sich die Blicke vor allem auf Mexiko. Zum einen befindet sich die Regierung in der Mitte ihrer Amtsperiode, die Investoren kennen die Regierung und ihre Politik. Hinzu kommt das Nearshoring, eine Migration vor allem asiatischer Unternehmen nach Mexiko, um in die USA und nach Kanada zu exportieren. Dieser Prozess ist in vielen Sektoren sichtbar, etwa in Form einer stark steigenden Nachfrage in der Lagerhausbranche sowie bei Automobilzulieferern. Die Deglobalisierung ist eine Art Neusortierung. Sie läuft nicht darauf hinaus, dass jedes Land alles im Inland produziert. Das wäre gar nicht möglich. Mexiko und Brasilien bieten für Investoren derzeit die meisten Gelegenheiten. Aber wir schauen uns auch sehr genau an, was an der Pazifikküste passiert, d. h. in Peru, Kolumbien und Chile.

Wie stehen Sie zu Bankanleihen?

Wir haben eine starke Performance gesehen, die von starken Regulierungs- und Aufsichtsbehörden gestützt wurde. Die Region ist sehr weit fortgeschritten, was etwa die Umsetzung von Basel III betrifft, die Kapitalausstattung ist sehr stark. Die Banken sind immer noch sehr profitabel, vor allem aufgrund des Umfelds hoher nominaler Zinsen.

In welchen Größenordnungen bewegen sich die Erträge, mit denen Investoren am lateinamerikanischen Unternehmensanleihemarkt rechnen können?

Die gute Nachricht ist, dass man nun mit hohen Zinsen startet. Sie sind nicht hoch, weil es auf der Unternehmensebene viele idiosynkratische Risiken gab, sondern wegen der Leitzinserhöhungen der Fed. Aufgrund der hohen Zinsen dürfte in diesem Jahr ein Ertrag von rund 9% erzielbar sein. Investoren sollten vorsichtig Du­ration hinzufügen. Wir gehen davon aus, dass die Fed nach zwei weiteren Erhöhungen die Zinsen in den kommenden zwölf Monaten auch wieder senken wird. Es ist aber nun durchaus an der Zeit, damit zu beginnen, länger laufende Anleihen zu kaufen.

Welche Eigenschaften müssen Unternehmen haben, um für Sie als Anlage in Frage zu kommen?

Wir setzen ausdrücklich nicht auf Distressed Assets und Restrukturierungsfälle. Der Verschuldungsgrad ist in den letzten Jahren in den meisten Sektoren deutlich gesunken. Eine Ausnahme sind vielleicht Unternehmen mit Investitionen in die Energietransition. Einige Unternehmen müssen in die Änderung ihres Energiemix investieren. Beispielsweise beenden Versorger die Kohleverstromung, besonders in Chile. Versorger in Chile können einen etwas höheren Verschuldungsgrad haben.

Peru ist derzeit aufgrund der politischen Unruhen in den Medien sehr präsent. Wie halten Sie es als Investor mit diesem Land?

Wir sind bereits seit zwei Jahren vorsichtig, was dieses Land betrifft, und wir finden, dass die Assets immer noch teuer sind. Der peruanische Unternehmenssektor ist allerdings sehr stark. Außerdem ist das Wirtschaftswachstum hoch, die Geldpolitik wurde gut gemanagt. Nun gibt es auf der politischen Ebene eine festgefahrene Situation. Aber wir erwarten nun einige gute Nachrichten in Bezug auf einen Kompromiss darüber, wie 2024 Neuwahlen durchgeführt werden sollen.

Das Interview führte

BZ+
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