Cyberdevisen

Ausverkauf am Kryptomarkt

Investoren fürchten, dass die Liquiditätskrise um die Kryptobörse FTX zum Lehman-Moment für den Kryptomarkt wird. Die Kurse zahlreicher Cyberdevisen stürzen angesichts der Unsicherheit ab.

Ausverkauf am Kryptomarkt

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Die Kontroverse um die Kryptohandelsplattform Binance und ihre in Liquiditätsnöte geratene Konkurrentin FTX zieht den Markt für digitale Assets in ihren Abwärtssog. Die führende Cyberdevise Bitcoin, deren Kurs bereits am Dienstag deutlich zurückgesetzt hatte, stürzte am Mittwoch zeitweise um fast 14% ab und erreichte mit 16993 Dollar den tiefsten Stand seit November 2020. Die zweitgrößte Kryptowährung Ether sackte um bis zu 27% ab, kleinere Token verloren noch stärker an Wert.

Derzeit verunsichern Gerüchte um Solvenzprobleme der Trading-Firma Alameda Research die Investoren. Seit Anfang des Monats machen Berichte zu angeblichen Bilanzposten des Handelsdienstleisters die Runde. Demnach soll ein Großteil des Eigenkapitals von Alameda in FTT, dem nativen Token der Kryptobörse FTX, angelegt sein – hinter beiden Firmen steht der Unternehmer Sam Bankman-Fried.

Milliarden-Abhebungen

Infolge der Verstrickung setzte bei der Kryptobörse ein massiver Nutzerexodus ein. „Normalerweise haben wir bei FTX Umsätze in Höhe von 20 bis 70 Mill. Dollar pro Tag“, schrieb Bankman-Fried in einer Mitteilung an seine Mitarbeiter. „In den vergangenen 72 Stunden hatten wir in Summe etwa 6 Mrd. Dollar an Abhebungen.“ Momentan sei die Auszahlungsfunktion bei FTX ausgesetzt. Der FTT-Token brach in dieser Gemengelage binnen 24 Stunden zuletzt um 75% ein – an der rapiden Talfahrt hat die Konkurrentin Binance laut Marktbeobachtern entscheidenden Anteil. Diese gehörte 2019 zu den ersten Investoren der FTX, die damals als Derivatebörse operierte, löste ihre Equity-Position 2021 aber auf und erhielt dafür FTT-Token.

In den vergangenen Monaten lieferten sich Binance-Chef Changpeng Zhao und FTX-Gründer heftige Wortgefechte über Twitter. Am Sonntag verkündete Zhao dann, wegen der Berichte über die Alameda-Probleme die FTT-Bestände von Binance zu liquidieren, und verstärkte so den Druck auf den Token. „Nutze niemals einen Token, den du selbst kreiert hast, als Sicherheit“, schrieb der chinesisch-kanadische Geschäftsmann zuletzt auf Twitter. Eine weitere Lehre aus der FTX-Krise sei, dass Krypto-Unternehmen keine Kredite aufnehmen sollten.

Am Dienstagabend kam es indes zur unerwarteten Wendung in der Auseinandersetzung der Handelsplattformen: Wie Zhao und Bankman-Fried über Twitter mitteilten, hat FTX um Hilfe bei der Bewältigung der Liquiditätskrise gebeten. Binance habe einen nichtbindenden LOI (Letter of Intent) mit der Absicht, FTX.com vollständig zu übernehmen, unterzeichnet. Kommt die Transaktion zustande, würde Bi­nance ihre Dominanz im Kryptohandel noch ausbauen. Dies gilt nicht nur für den Spot-Handel – seit die Plattform 2020 ein eigenes Derivateangebot startete, ist sie auch in diesem Segment zum Marktführer aufgestiegen. Laut den Analysedienstleistern The Block und Coinglass kommt sie auf einen Anteil von 32% am gesamten Open Interest von Bitcoin-Fu­tures – jener von FTX beläuft sich momentan auf etwas mehr als 10%.

Allerdings kamen am Mittwoch Zweifel an einer Konsolidierung der Kryptobörsen auf. So machten Berichte unter Berufung auf Insider die Runde, gemäß denen Binance während ihrer Due Diligence auf eine milliardenschwere Lücke zwischen Verbindlichkeiten und Assets von FTX gestoßen sei. „Ob Binance die strauchelnde Kryptobörse tatsächlich retten kann, ist ungewiss“, betont Hermann Elendner, Director of Research des Beratungshauses F5 Crypto. Auch sei unklar, welche Kaskadeneffekte eine Pleite von Alameda Research auslösen könnte.

Schließlich spielt Bankman-Fried eine Schlüsselrolle im Krypto­kosmos. So trat der Milliardär zuletzt selbst als Liquiditätsprovider für mehrere in Bedrängnis geratene Digital-Assets-Firmen auf. So sprang FTX der Lending-Plattform BlockFi, die Nutzern Renditen auf den Verleih von Cyberdevisen verspricht, im Juni mit einer revolvierenden Kreditfazilität im Volumen von 250 Mill. Dollar zur Seite. Alameda sagte dem Kryptobroker Voyager eine Finanzierung von 500 Mill. Dollar zu.

Hinzu kommt, dass FTX selbst eine Reihe an prominenten Venture-Investoren angelockt hat. Im Januar beteiligten sich Geldgeber wie der singapurische Staatsfonds Temasek, der Softbank Vision Fund 2 oder der US-Hedgefonds Tiger Global Management an einer Series-C-Finanzierungsrunde der Kryptobörse im Volumen von 400 Mill. Dollar – die Bewertung damals: 32 Mrd. Dollar. Doch nun nehmen sich die Wetten der Venture-Szene auf den eins­tigen Digital-Assets-Musterschüler FTX weitaus weniger erfolgversprechend aus – kommt der Deal mit Binance zustande, könnten die alten Geldgeber sogar leer ausgehen.

Wetten auf die Konkurrenz

Einige Investoren setzen unterdessen darauf, dass die Konkurrenz vom Chaos um FTX profitieren könnte. Drei Fonds der von Börsenstar Cathie Wood geführten Anlagegesellschaft Ark haben am Dienstag 420000 Coinbase-Aktien gekauft. Im Interview der Börsen-Zeitung betonte Wood Anfang Oktober ihre Zuversicht, dass die Handelsplattform vom langfristig erwarteten Zustrom institutioneller Mittel in den Digital-Assets-Markt profitieren werde. Aktuell wird die Coinbase-Aktie allerdings von der allgemeinen Verunsicherung im Segment nach unten gezogen, am Mittwoch gab sie im frühen Handel in New York zeitweise um 10% nach.

Die Berater von F5 Crypto erwarten jedenfalls, dass sich die Turbulenzen im Kryptosegment noch fortsetzen dürften. Für Investoren sei es angesichts des derzeitigen Mangels an verlässlichen Informationen ratsam, Risiken zu reduzieren.

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