Im Gespräch: Sean Hagerty, Vanguard

„Der Endanleger zahlt zu viel“

Für Vanguard ist Deutschland ein Kernmarkt. Wie Europachef Sean Hagerty im Gespräch mit der Börsen-Zeitung erläutert, will der Assetmanager hierzulande weiter zulegen. Die Kosten und die Komplexität seien für den Endanleger in Deutschland zu hoch, dies will Vanguard ändern.

„Der Endanleger zahlt zu viel“

Von Werner Rüppel, Frankfurt

Vanguard, der amerikanische Pionier für Indexfonds und der mit mehr als 8 Bill. Dollar Assets under Management zweitgrößte Vermögensverwalter der Welt, ist inzwischen auch in Deutschland sehr aktiv. Seit fünf Jahren sind Vanguard-ETFs in Frankfurt gelistet und im Januar hat der Assetmanager mit Vanguard Invest Direkt den seit Anfang 2022 bestehenden Anlageservice für Selbstentscheider hierzulande er­weitert. „Deutschland ist für uns ein Kernmarkt in Europa“, erklärt Sean Hagerty, der Leiter von Vanguard Europe, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Wir sind nach Deutschland gekommen, um die Kosten und die Komplexität für Investoren zu reduzieren. Denn wir sind als Vanguard klar fokussiert auf den Endanleger. Und der Endanleger zahlt bei Fonds in der Regel zu viel und unsere Industrie macht die Dinge zu komplex für ihn.“

In Europa ist Vanguard übrigens bereits seit 25 Jahren aktiv. Per Ende 2022 verwaltet Vanguard in Europa 272 Mrd. Dollar. Auf dem europäischen ETF-Markt ist Vanguard mit ca. 6% des verwalteten Gesamtvermögens des Marktes auf Platz 4 vorgerückt von Platz 6 im Jahr 2021. Im vergangenen Jahr verzeichnete Vanguard in Europa Nettomittelzuflüsse in Höhe von 9 Mrd. Dollar. „2019 haben wir festgelegt, dass wir uns in Europa auf die vier Kernmärkte UK, Deutschland, Italien und die Schweiz konzentrieren“, erläutert Hagerty. „Wir haben daran nichts verändert und werden wahrscheinlich in der nächsten Zeit daran nichts ändern. Wir denken, es ist wichtig, sich zu fokussieren.“

Meilenstein Invest Direkt

Um die Endanleger in Deutschland zu erreichen, arbeite Vanguard stark mit Beratern zusammen, denen der Assetmanager helfen könne, einen guten Job für ihre Kunden zu machen, indem er ihnen ein qualitativ hochwertiges Low-Cost-Produkt gebe und indem Vanguard seine Philosophie erkläre, wie man Portfolios baue und wie man Investoren diene. Das geschehe hauptsächlich durch die Vanguard 360 Beraterakademie. „Wir dienen Investoren seit fast 50 Jahren und wir denken, deutsche Investoren verdienen auch ein Stück von Vanguard“, erklärt Hagerty. „Invest Direkt ist für uns ein sehr wichtiger Absatzkanal und ein wichtiger Meilenstein, um deutschen Investoren zu helfen, an den Kapitalmärkten zu partizipieren – sei es für die Altersvorsorge oder ein anderes wichtiges finanzielles Ziel. Wir müssen sicherstellen, dass jeder Sparer die Möglichkeit hat, die Chancen der Kapitalmärkte durch kostengünstige und qualitativ hochwertige Anlagemöglichkeiten zu nutzen.“

Hagerty erläutert weiter: „Wir wollten auch nicht mit großer Werbung in Deutschland starten, bevor wir nicht Invest Direkt am Laufen hatten, nun werden wir etwas tun, um unser Profil bei deutschen Anlegern zu stärken, die meisten wissen nämlich noch nicht, wer Vanguard ist, obwohl wir der zweitgrößte Assetmanager der Welt sind.“ Auf der Produktseite seien die Life-Strategy-Produkte sehr populär in Großbritannien. „Ich denke, sie werden auch hier populär werden“, meint Hagerty. „Für jährliche Kosten von 25 Basispunkten bekommen Sie ein globales diversifiziertes Balanced-Portfolio mit verschiedenen Risikoprofilen, und mit nur einem Kauf können Sie dieses Portfolio erwerben, bei dem Sie über die Zeit den Return der Kapitalmärkte bekommen.“

Bei Vanguard stehe bei den Produkten Qualität vor Quantität. „Wir sind sehr vorsichtig bei neuen Produkten, die wir auflegen“, sagt Hagerty. „Wir machen keine Experimente mit dem Geld anderer Leute. Wir habe strenge Investitionskriterien.“ Die Life-Strategy-ETFs seien zwei Jahre alt und nähmen mit 40% der Anlagen in der direkten Investorenplattform einen wichtigen Platz ein. „In den vergangenen sechs Monaten haben wir ESG-Fonds mit Ausschlüssen aufgelegt, wir denken, nach viel Research, das ist ein guter Weg für nachhaltige Investments“, erläutert Hagerty. „Es macht aber keinen Sinn, eine Vielzahl von Fonds in den Markt zu pumpen. Wir denken, jemand kann ein gutes Portfolio mit einem Fonds oder ETF bilden, nämlich einem Life-Strategy-Fonds, oder mit einer Hand voll von Fonds.“ Investieren sei vielleicht kompliziert, müsse es aber nicht sein. „Die meisten Anleger sind mit einem recht simplen Low-Cost-Portfolio sehr gut aufgehoben“, meint Hagerty.

Generell sei Vanguard skeptisch gegenüber Themen-ETFs. „Normalerweise werden höhere Gebühren genommen. Und wenn Sie den Vanguard FTSE All World Ucits ETF kaufen, bekommen Sie alle diese Themen“, sagt Hagerty. „Oder haben Sie die Antwort auf die Frage, dass gerade dieses Thema den Markt outperformen wird? Es gibt keine Evidenz, dass jemand diese Shifts in den Märkten stets vorhersagen kann.“

Hagerty erläutert die Philosophie von Vanguard: „Wir sind nicht auf Wettbewerber fixiert, wir schauen, was am besten für unsere Kunden ist, und wenn wir wachsen und dann Vorteile durch Größe haben, geben wir diese direkt an Kunden zurück.“ Der Assetmanager unterscheide sich von anderen Anbietern der Fondsindustrie. „Wir haben eine einzigartige Strategie, indem wir in erster Linie auf den Privatanleger fixiert sind, während andere Wettbewerber zum Beispiel häufig auf bestimmte institutionelle Fonds schauen.“ In den USA seien viele Assetmanager auf den Privatanleger fixiert, in Europa sei das etwas anders. „Wir wollen das ändern, wir wollen das, was andere für Institutionelle bieten, zu den Privatanlegern bringen, und auch in Deutschland den Shift von High-Cost-Fonds zu Low-Cost-Produkten ermöglichen.“

Provisionsverbot wäre positiv

In Europa gebe es noch immer noch Interessenkonflikte in der Fondsindustrie. „Ein Verbot von Provisionen über alle finanziellen Produkte hinweg, Versicherungen und Fonds, wäre positiv für die Anleger“, sagt Hagerty. „Wir haben das in Großbritannien und den Niederlanden gesehen, dass es gut funktioniert und die Fondskosten deutlich senkt, wir sollten das auf die EU und Deutschland ausweiten.“ Ein Verbot von Bestandsprovisionen erhöhe die Transparenz. „Dann weiß der Anleger genau, was er für die einzelnen Komponenten der Wertschöpfung bezahlt“, erklärt Hagerty. In Europa sei der Anreiz für den Vertrieb derzeit noch, den Fonds der Gesellschaft zu verkaufen, welche die höchsten Provisionen zahle. „Wir zahlen nicht für den Vertrieb, Vanguard hat in seinen fast 50 Jahren noch nie Bestandsprovisionen bezahlt“, sagt Hagerty. „Wir sind sehr starke Befürworter von mehr Transparenz.“ In Europa werde der Fondsmarkt von mehreren Big-Playern dominiert. „Daher dürften nur regulatorische Maßnahmen dazu führen, dass Anleger einen besseren Deal im Assetmanagement bekommen.“

In Deutschland sollten wir nach Meinung von Hagerty darüber nachdenken, wie ein Pensionssystem arbeite und wie Anreize für die Kapitalanlage gesetzt werden könnten. „International sehen wir signifikante Steigerungen der angelegten Gelder, wenn die Menschen eine steuerliche Förderung von langfristigen Kapitalanlagen erhalten“, erläutert Hagerty. Ein Beispiel seien die 401k-Pläne in den USA. „Eine steuerliche Förderung für Pensionsersparnisse wäre wichtig für Deutschland und könnte ein Katalysator dafür sein, dass mehr Menschen sparen und am Kapitalmarkt teilnehmen“, so Hagerty. Dies sei dann gut für die Gesellschaft, für die Regierung, weil sie sich nicht so sehr um das Funding von Renten sorgen müsse, und gut für die einzelnen Anleger, weil sie finanzielle Sicherheit für sich selbst aufbauten.

Mehr Wissen vermitteln

Wichtig sei für Vanguard auch, den privaten Anlegern mehr Wissen um die Geldanlage zu vermitteln. „Es gilt den Unterschied zwischen Spekulation und Investment zu verdeutlichen“, sagt Hagerty. „Deutsche Telekom, was da passiert ist, das ist Spekulation, nur eine Aktie zu kaufen, es ist aber keine Spekulation, langfristig den FTSE All World Ucits ETF zu halten.“ Es gelte den deutschen Anlegern die Vorteile eines breit gestreuten, langfristigen Buy-and-hold Investing aufzuzeigen.

„Aktive Manager versprechen viel, aber im letzten Jahr haben diese nicht vor der Abwärtsbewegung geschützt, Indexfonds haben wieder mehrheitlich besser als aktive Fonds abgeschnitten“, sagt Hagerty. „Der Marktanteil von Index-Investments in Europa liegt bei 10 bis 15%, er sollte aber bei 30 oder 40% liegen. Ich sehe großes Potenzial für Indexing, und unabhängige Beobachter werden diese Ansicht unterstützen.“ Europa habe bei Index-Investments noch einen weiten Weg vor sich, doch die Bedeutung von kostengünstigen Indexfonds und ETFs wachse. Hagerty wörtlich: „Der Markt ist nicht so wettbewerbsintensiv, wie er sein müsste, und jemand muss ihn aufrütteln. Wir hoffen, dass wir das sind.“