Volatilitäts-Check

Notenbank-Put mit tieferem Ausübungs­preis

Fed und EZB sind von Heilsbringern zu Schreckgespenstern der Märkte geworden. Anleger müssen die Hoffnungen auf ein Revival des Notenbank-Puts aber noch nicht gänzlich begraben.

Notenbank-Put mit tieferem Ausübungs­preis

Es ist lediglich zwei Jahre her, dass Schlagzeilen wie „Fallen die Aktienkurse, dann ist die Hilfe der Zentralbanken nicht weit“, „Fed eilt einmal mehr den Märkten zu Hilfe“ oder auch „EZB öffnet Geldschleusen weiter“ die Wirtschaftsnachrichten be­stimmten. Auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie senkte die Fed ihren Leitzins im März 2020 in zwei Schritten um insgesamt 1,50%. Die größte Volkswirtschaft der Welt drohte in die Deflation zu rutschen.

In der Eurozone startete die EZB ihr Pandemie-Notfall-Ankaufprogramm. Die Inflation fiel für mehrere Monate in den negativen Bereich. Beide Wirtschaftsräume schrumpften drei beziehungsweise zwei Quartale und fielen in eine Rezession.

Mit ihrem beherzten Eingreifen führten die Notenbanken die Volkswirtschaften schnell auf den Wachstumspfad zurück. Die Inflationsraten kehrten in den positiven Bereich zurück. Die Aktienmärkte nahmen nach dem kurzen, aber heftigen Einbruch ihre Rekordjagd wieder auf. Und die Volatilitäten an den Börsen kehrten nach einem kurzen Ausreißer nach oben in ihren Normalbereich zurück. Die Notenbanken hatten ganze Arbeit geleistet.

Doch zwei Jahre später fällt das Bild anders aus. Die Inflation ist in den USA so hoch wie zuletzt vor mehr als 40 Jahren. Die Eurozone hat zu keiner Zeit so hohe Inflationsraten erlebt. Gemäß Prognose der EZB wird sich die Inflation frühestens im Jahr 2024 dem Zielwert der Währungshüter annähern. Die Anleihen-Kaufprogramme der Notenbanken sind oder werden gerade beendet. Die Fed hat Mitte Juni den größten Zinsschritt seit knapp 30 Jahren verkündet. Die EZB steht unmittelbar vor ihrer ersten Zinserhöhung seit dem Jahr 2011. Gleichzeitig befindet sich die US-Wirtschaft nach einem Rückgang im ersten Quartal am Rande der nächsten Rezession.

Veränderte Rollen

Die Reaktion der Börsen ist alles andere als eine Überraschung: Aktien- und Rentenkurse fallen im Gleichschritt. Die große Sorge ist längst nicht mehr das Stagflationsszenario. Stattdessen wird die Angst vor einer tiefen und länger andauernden Rezession immer größer. Allein schon daraus lässt sich die veränderte Rolle der Notenbanken für die Börsen ablesen. Galten die Notenbanken während der Finanz- und Covid-19-Krise noch als Heilsbringer, wird ihnen aktuell die Rolle eines Schreckgespenstes zuteil. Es geht die Angst um, dass die Notenbanken der Bekämpfung der Inflation Vorrang gegenüber der Stimulierung der Wirtschaft einräumen.

Abzulesen ist diese Angst an den impliziten Volatilitäten. Die implizite Einmonatsvolatilität des Nasdaq 100 ist dieses Jahr bis auf 39% geklettert. Selbst auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie wurde dieses Niveau fast nie erreicht, in den Jahren davor (2016 bis 2019) kein einziges Mal.

Noch dramatischer ist die Lage am Rentenmarkt. Der Bund-Future, der die Bewegung zehnjähriger deutscher Bundesanleihen spiegelt, hat das stärkste Überverkauft-Niveau in seiner mehr als 30-jährigen Historie erreicht. Die implizite Einmonatsvolatilität deutscher Bundesanleihen rangiert mit 16% auf dem höchsten Niveau seit Beginn der Datenerhebung Anfang 2009. In diesen Zeitraum fallen die Auswirkungen der Finanzkrise, die Eurokrise und die Covid-19-Krise.

Aktienmarkt auf dem Radar

Das führt unweigerlich zu der Frage, ob der Notenbank-Put, den viele auch unter dem Namen Greenspan-Put kennen, Vergangenheit ist. Dahinter steht die Annahme, dass die Notenbanken den Märkten zu Hilfe eilen, wenn sie nur tief genug fallen. Auf einer der letzten Pressekonferenzen der Fed sprach Jerome Powell explizit an, dass der Aktienmarkt auf dem Radar sei. Gleich zweimal erwähnte er die Verbindung zwischen Aktienkursen und wirtschaftlicher Stabilität. Das lässt erahnen, dass ein zu stark fallender Aktienmarkt insbesondere das zweite Fed-Ziel der Vollbeschäftigung, welches die Zentralbank gemäß ihrem Doppelmandat parallel zur Preisstabilität verfolgt, gefährden würde.

Bevor die Notenbanken bei der Straffung ihrer Geldpolitik tatsächlich vom Gas gehen und für die Märkte wieder zum Heilsbringer werden, können oder müssen die Märkte wahrscheinlich noch ein gutes Stück weiter korrigieren. Anlegerinnen und Anleger müssen die Hoffnung auf ein Revival des Notenbank-Puts zwar nicht gänzlich begraben. Der Ausübungspreis des Notenbank-Puts dürfte diesmal aber ein gutes Stück tiefer liegen.