Stephen Paice, Baillie Gifford

„Schweden steht bei Innovation an der Weltspitze“

Stephen Paice, Leiter für europäische Aktien bei Baillie Gifford, allokiert auf schwedische Unternehmen überproportional. Neben Anlagen in börsennotierte Werte sei auch Private Equity interessant.

„Schweden steht bei Innovation an der Weltspitze“

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Der schottische Assetmanager Baillie Gifford sieht in Schweden interessante Gelegenheiten für Investoren. „Das skandinavische Land steht in den Indizes für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit weltweit an der Spitze“, sagt Stephen Paice, Leiter für europäische Aktien bei dem Vermögensverwalter aus Edinburgh. Ein gewichtiger Grund dafür sei, dass sich viele, auch börsennotierte Unternehmen noch zu signifikanten Teilen in Familienhand befänden. Dazu zählten der Messtechnik- und Softwarekonzern Hexagon, der Maschinenbauer Atlas Copco sowie der Automobilhersteller Volvo. „Jedes dieser Unternehmen hat ein Familienmitglied im Verwaltungsrat“, führt Paice aus. „Das bedeutet, dass sie einen langfristigen Eigentümer haben, der die Entscheidungen über die Kapitalallokation beeinflusst.“

Langfristige Wertschöpfung

Bei Atlas Copco sei die Eigentümerfamilie Wallenberg seit nahezu 150 Jahren im Verwaltungsrat vertreten und übe noch immer weitreichenden Einfluss aus. „Der Fokus richtet sich daher nicht nur auf die Ergebnisse des nächsten Quartals – sondern darauf, ein nachhaltiges Growth-Geschäftsmodell zu verfolgen und über sehr lange Zeit Wertschöpfung zu generieren.“ Ein Verwaltungsrat, in dem die Familie starken Einfluss nehme, sei darauf bedacht, das Unternehmen in besserer Verfassung an die nächste Generation weiterzugeben.

„Das sind die entscheidenden Vorteile, natürlich gibt es auch Nachteile von Familienbesitz“, räumt Paice ein. So existierten Fälle, in denen das Unternehmen von der einen Generation auf die andere übergehe, diese damit aber nicht umzugehen wisse. „Daher ist es wichtig sicherzustellen, dass die Nachfolge auch wirklich in den richtigen Händen liegt“, sagt der Baillie-Gifford-Manager. „Außerdem dürfen die Eigentümer natürlich nicht zu konservativ sein, damit es nicht zu schwierig wird, notwendige Modernisierungen und Veränderungen herbeizuführen.“

Eine gewisse konservative Haltung in Bezug auf die Bilanzen habe aber auch Vorteile – denn diese führe dazu, dass Unternehmen nicht zu viele Schulden aufnähmen. Dies mache sie widerstandsfähiger und sei ein wichtiger Faktor für die Outperformance ihrer Aktien gegenüber Papieren von nichtfamiliengeführten Firmen. „Die Einflussnahme ge­schieht dabei hauptsächlich im Verwaltungsrat, in den wenigsten dieser Unternehmen sind die Familienmitglieder noch operativ in das Tages­geschäft eingebunden“, sagt Paice. „Damit sind sie eben in einer guten Position, um das Unternehmen zu kontrollieren und die Strategie des Managements zu prüfen.“

Zu den Mehrgenerationen-Familien gesellten sich nun indes Unternehmen, die von Gründern der ersten Generation geführt würden. Diese Unternehmen profitierten von der schwedischen Innovationskultur, die Neugründungen begünstigt. Beispiele dafür seien der von Paypal übernommene Mobile-Payment-Anbieter iZettle, der Zahlungsanbieter Klarna, der Musikstreaming-Anbieter Spotify oder Northvolt, die Lithium-Ionen-Batterien für Elektroautos und zur Energiespeicherung produziert.

Die meisten Strategien, die Paices Team lenkt, sind auf Public Equity fokussiert. „Wir verfügen aber auch über einen European Growth Trust, bei dem wir bis zu 20% des verwalteten Vermögens in Privatbeteiligungen investieren können“, sagt Paice. Es gebe viele privat gehaltene Unternehmen in Europa, die noch unter dem Radar flögen – doch das Investoreninteresse wachse stetig, wie sich auch an der wachsenden Zahl sogenannter Einhörner in Deutschland, aber eben auch in Schweden ablesen lasse. Die Finanzierungsbedingungen hätten sich in den vergangenen Jahren massiv verbessert, und Gründer verfügten über Vorbilder wie Spotify-CEO Daniel Ek, die Inspiration stifteten.

„Über unseren European Growth Trust haben wir eben auch frühzeitig in Northvolt investiert, das Unternehmen ist wirklich sehr spannend“, betont Paice. Denn es sei ein Aushängeschild für den Nachhaltigkeitstrend, bei dem Schweden international führend sei. „Viele umweltfreundliche Technologien und Verhaltensweisen, die in Schweden ihren Anfang nahmen, verbreiten sich in der ganzen Welt“, sagt der Stratege. Das Land sei eines der weltweit ersten gewesen, die Netto-null-Ziele für 2045 verkündet hätten.

Northvolt ist als Hersteller von Lithium-Ionen-Batterien indes auch auf Metalle angewiesen, deren Abbau CO2-Ausstöße produziere und die Umwelt belaste. „Allerdings setzt das Unternehmen großflächig auf erneuerbare Energien und kann dabei auf eine stark ausgebaute Versorgung im Heimatland Schweden zurückgreifen“, betont Paice. Die Lieferkette von Northvolt sei stark integriert, der Fokus liege auf dem Recycling von Materialien. Im Vergleich zu Batterieproduzenten aus Asien falle das Nachhaltigkeitsprofil damit hervorragend aus.

Hohe Allokation

Obwohl der schwedische Markt interessante Gelegenheiten bereithält, ist seine Größe doch begrenzt. „Für uns ist das allerdings nicht entscheidend, da wir Benchmark-agnostisch agieren“, sagt Paice. „Wir orientieren uns also nicht an der regionalen oder der Sektorgewichtung in den Vergleichsindizes unserer Strategien.“ Die europäischen Strategien von Baillie Gifford investierten derzeit ungefähr 20 bis 25% ihres verwalteten Vermögens in Unternehmen aus dem skandinavischen Land, in den Benchmarks liege die Allokation eher bei 7%.

Wo ein Unternehmen ansässig sei, spiele für den Investmenterfolg ohnehin eine untergeordnete Rolle. Spotify beispielsweise sitze in Stockholm, sei aber in New York börsennotiert und habe damit direkten Zugang zu den Kapitalflüssen an der Wall Street. „Wir wollen mittels Bottom-up-Analysen ganz einfach ermitteln, welche Unternehmen in Europa das größte Potenzial bieten und wie wir am besten in sie investieren“, betont Paice. „Dabei stoßen wir eben auf besonders viele schwedische Gesellschaften.“

Eine Top-down-Betrachtung nach Kriterien wie der Konjunkturentwicklung im Land oder der Entwicklung der schwedischen Krone sei dagegen weniger interessant. „Mögliche Reaktionen der Riksbank auf eine steigende Kerninflation in Schweden sind für uns beispielsweise irrelevant, weil wir einen sehr langfristigen Investmentansatz verfolgen“, führt Paice aus. Schon bei einem Anlagehorizont von fünf bis zehn Jahren träten kurzfristige Zinseffekte und Entwicklungen am Devisenmarkt in den Hintergrund – bei Firmen wie Atlas Copco sei Baillie Gifford indes seit mehreren Jahrzehnten investiert.

In einer Studie hat Baillie Gifford die Gründe für die starke Performance europäischer „Tenbagger“ – also von Werten, mit denen Anleger ihren Einsatz über eine Dekade zumindest verzehnfachen – genauer untersucht. „Dabei hat sich gezeigt, dass der Löwenanteil der Wertschöpfung und der Total Returns durch das Umsatzwachstum, die resultierende stärkere Marktposition der Unternehmen und damit verbundene Verbesserungen der Margen und Kapitalrenditen zustande kommt“, unterstreicht Paice. Zudem habe sich gezeigt, dass viele der „Tenbagger“ recht klein seien und aus der Indus­trie, dem Gesundheitssektor und dem Segment der Nicht-Basis-Konsumgüter kämen.

Ungeachtet des geringen direkten Einflusses konjunktureller Faktoren auf die Performance spiele die geringe Größe der schwedischen Wirtschaft wohl durchaus eine Rolle für den Erfolg der dortigen Unternehmen. Dies gelte insofern, als sich die Firmen seit jeher in ausländische Wachstumsmärkte hätten orientieren müssen. Damit brächten sie eine größere Aufgeschlossenheit gegenüber innovativen Geschäftsmodellen aus anderen Regionen mit und seien auch mit Übernahmen erfolgreich. Im Anschluss an solche Deals sei die Integration der neuen Töchter oftmals einfacher, weil zwischen Skandinavien und der englischsprachigen Welt nur sehr geringe kulturelle Barrieren existierten.

Probleme bei Skalierung

Unterdessen bestehe das Risiko, dass innovationsstarke Unternehmen aus Nordeuropa dem Beispiel von Spotify sowie mehrerer Biotech-Schmieden folgten und Börsennotierungen im Ausland anstrebten, um auf größere Kapitalströme zugreifen zu können. „Viele unserer besten Technologie-Start-ups wurden zu­dem von US-Konzernen übernommen, weil sie ohne diese Deals zu geringe Skalierungsmöglichkeiten für sich sahen“, sagt Paice. „Viele europäische Investoren sehen es als strategischen Fehler an, auf Kosten der kurzfristigen Profitabilität möglichst schnell wachsen zu wollen, in den Vereinigten Staaten ist das anders.“

Allerdings helle sich das Finanzierungsumfeld in der europäischen Start-up-Szene bereits auf, womit das Abwanderungsproblem künftig abnehmen werde. Insgesamt zeichne sich ab, dass Unternehmen ähnlich wie in den USA länger als früher in privater Hand blieben, bevor sie einen Börsengang anstrebten. „Für viele Firmen ist es einfacher zu wachsen, wenn sie sich nicht ständig den Aktionären gegenüber rechtfertigen müssen“, betont Paice.

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