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Zeitalter für aktives und wahres Multi Asset

Die Finanzmärkte stehen am Beginn eines goldenen Jahrzehntes für „wahre“ Multi-Asset-Portfolios, also eine aktive und breite Streuung über alle Anlageklassen hinweg.

Zeitalter für aktives und wahres Multi Asset

Pandemie, Krieg, Deglobalisierung, Kampf gegen den Klimawandel, demografischer Wandel und vollzogene Zinswende haben an den Märkten für eine Neuausrichtung gesorgt, die viele Muster und Strategien der letzten Jahrzehnte in Frage stellt. Wir sind der Überzeugung, dass wir deshalb am Beginn eines goldenen Jahrzehntes für „wahre“ Multi-Asset-Portfolios stehen, also eine aktive und breite Streuung über alle Anlageklassen hinweg. Aktien und die Steuerung dieses Portfolioanteils sollten anders als in der letzten Dekade nicht mehr der primäre Fokus von Multi-Asset-Strategien sein. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Waren Anleihen und Rohstoffe lange Zeit wenig attraktive Alternativen zu Aktien, scheinen uns alle drei Anlageklassen nun ähnlich interessant. Das liegt einerseits daran, dass sich die Perspektiven für Anleihen und Rohstoffe deutlich verbessert haben. Andererseits aber auch daran, dass für die Aktienmärkte in den kommenden Jahren das Potenzial begrenzter scheint. Zum einen ist keine wesentliche Bewertungsausweitung zu erwarten, denn Zinsen dürften mittelfristig nicht wieder deutlich fallen und Anleger dürfte in einem Umfeld strukturell höherer und volatilerer Inflation eine höhere Risikoprämie verlangen. Zum anderen dürfte die aggregierte Gewinnentwicklung angesichts aktuell rekordhoher Gewinnmargen kaum noch durch eine Margenausweitung beschleunigt werden.

Bei Anleihen gilt klar: Der Zins ist zurück. Das Volumen global ausstehender Anleihen mit negativer Rendite ist von einem Niveau nahe 16 Bill. Euro in den Jahren 2019 bis 2021 auf null Anfang 2023 gefallen. Die Zinswende scheint vollzogen, Inflation und Zinsen dürften in den letzten Jahren ihren Tiefpunkt gesehen haben. Der Vergleich der durchschnittlichen Dividendenrendite europäischer Aktien mit der Rendite europäischer Anleihen zeigt, dass Anleihen relativ zu Aktien so attraktiv sind wie seit 2008 nicht mehr. Die Renditen bei Unternehmens- und Schwellenländeranleihen dürften dank ordentlicher Risikoaufschläge zudem anders als bei vielen Staatsanleihen mehr als einen Ausgleich einer mittelfristig im Durchschnitt höheren Inflation bieten.

Rohstoffpreise entwickeln sich in langen Zyklen, was insbesondere daran liegt, dass eine Anpassung des Angebotes an eine veränderte Nachfrage nur mit einem Zeitverzug von vielen Jahren möglich ist. Deshalb kommt es zu dem aus der Volkswirtschaftslehre als „Schweinezyklus“ bekannten Verhalten – auf Phasen eines Überangebotes mit niedrigen Preisen und wenig Investitionstätigkeit auf der Angebotsseite folgen bei anziehender Nachfrage Jahre von Angebotsknappheit und damit deutlich steigende Preise. Aus unserer Sicht befinden wir uns seit 2020 in der ersten Phase eines neuen Superzyklus bei Rohstoffen. Fehlendes Angebot trifft auf eine strukturell steigende Nachfrage – etwa durch die wachsende Weltbevölkerung, die größer werdende Mittelschicht in den Schwellenländern, die Deglobalisierung und vor allem die Energiewende. Diese Megatrends erfordern hohe Investitionen und bedingen einen Wettlauf um knappe Rohstoffe.

Alle Anlageklassen bieten damit für die kommenden Jahre positive Renditeerwartungen und diese liegen so nahe beieinander wie lange nicht, insbesondere bei risikoadjustierter Betrachtung. Eine breite, ausgewogene Aufstellung zur risikoreduzierenden Nutzung aller Diversifikationsvorteile scheint damit sinnvoller denn je und dürfte nicht auf den erzielbaren Renditen lasten.

Zudem haben strukturelle Trends die Marktstruktur und das Marktverhalten seit der globalen Finanzkrise wesentlich verändert: Die sind vor allem zunehmendes passives Investieren, die wachsende Dominanz der Derivatemärkte sowie vermehrt prozyklisches Verhalten vieler Anleger, insbesondere systematischer Anlagestrategien, bei gleichzeitig weniger antizyklischen Value-Investoren. In diesem veränderten Marktumfeld mit vermehrt scharfen Bewegungen und regelmäßigen Übertreibungen noch oben wie auch nach unten in allen Anlageklassen sollten Anleger flexibel agieren können, Opportunitäten erkennen und Freiheitsgrade nutzen – auch antizyklisch und abseits der Benchmark.

Hinzu kommt das Thema Inflation: In den kommenden Jahren ist nicht nur mit einer im Schnitt höheren Inflation, sondern auch mit einer erhöhten Inflationsvolatilität zu rechnen. Die Folge dürften stärkere und schnellere geldpolitische Zyklen und damit auch kürzere, ausgeprägtere und erratischere Wirtschaftszyklen sein. Dieses Umfeld wäre den 1960er und 70er Jahren nicht ganz unähnlich. Die Erfahrung dieser Jahre zeigt, dass das langfristige Potenzial für die Aktienmärkte in einem solchen Umfeld begrenzt ist. Jedoch gab es in diesen Jahren drei Bären- und drei Bullenmärkte erheblichen Ausmaßes. Für aktive Anleger bestanden in dieser Phase deutliche Renditechancen, während statische Indexinvestments in dieser Periode real an Wert verloren hätten.

Breitere Diversifikation

Eine weitere wesentliche Folge in einem solchen Umfeld ist ein stärkerer Gleichlauf von Risikoanlagen und sicheren Häfen sowie ein geringerer Gleichlauf zwischen Risikoanlagen wie z.B. Aktien und Rohstoffen, aber auch zwischen Aktienregionen. Die Langfristbeziehung zeigt eindrucksvoll, dass der Gleichlauf zwischen Aktien und Anleihen bei höherer Inflation zunimmt. Ab 3% Kerninflationsrate ist historisch fast ausschließlich eine positive Korrelation von Aktien und Staatsanleihen zu beobachten. Dies liegt im Wesentlichen daran, dass Zentralbanken in diesen Phasen der Inflationsbekämpfung dem Vorrang vor der Stützung der Kapitalmärkte geben. Wenn die Korrelation steigt, nimmt die Diversifikation durch Anleihen ab. Das heißt, Multi-Asset-Portfolios, die rein auf Aktien und Anleihen setzen, werden es in diesem Umfeld schwieriger haben. Dies alles zusammen bedeutet, dass eine breitere Diversifikation zwischen Risikoanlagen nötig ist – und das über alle Anlageklassen, Segmente und Regionen hinweg („wahres Multi Asset“).

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