InterviewHenning Vöpel

„Die Politik ist beim Umbau der Wirtschaft viel zu langsam“

CEP-Ökonom Henning Vöpel kritisiert die Politik, weil sie zu wenig auf den Markt vertraut, mit dem die Klimatransformation konsequenter umgesetzt werden könnte.

„Die Politik ist beim Umbau der Wirtschaft viel zu langsam“

Interview: Henning Vöpel

„Die Politik ist derzeit zu langsam“

CEP-Ökonom kritisiert die Politik, weil sie bei der Klimatransformation zu wenig auf den Markt vertraut

Die Ampel-Regierung verschleppt den Strukturwandel, fesselt die Unternehmen mit Bürokratie und negiert Marktprozesse, kritisiert Henning Vöpel, Vorstand des Centrums für Europäische Politik.

Herr Vöpel, die deutsche Wirtschaft kommt aus ihrem Tief nicht heraus. Das scheint nicht nur eine konjunkturelle Störung zu sein, sondern an strukturellen Problemen zu liegen. Wo sind die Bremsen für das Wachstum?

Der Faktor Zeit spielt eine wesentliche Rolle. Die Antworten der Politik sind derzeit zu langsam im Verhältnis zu der Geschwindigkeit, mit der sich die strukturellen Veränderungen vollziehen. Wachstum resultiert fast immer, zumal in technologischen Umbrüchen, aus einem produktivitätssteigernden Strukturwandel. Wenn man ihn verschleppt, schützt man unproduktive Geschäftsmodelle, blockiert Investitionen und bremst Innovationen. Der Staat selbst ist heute zu langsam und fesselt die Unternehmen zusätzlich mit Bürokratie und Regulierung. Während Altes strukturell immer schwächer geworden ist, ist zu wenig Neues und Produktives entstanden.

Prof. Henning Vöpel ist Vorstand des Centrums für Europäische Politik (CEP), Freiburg/Berlin, und Professor für Volkswirtschaftslehre an der BSP Business and Law School. Zuvor – bis 2021 – war er Direktor und Geschäftsführer des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts HWWI. Quelle: Tim Flavor, cep

Was muss die Ampel-Regierung tun, oder wie muss sie mit der Öffentlichkeit umgehen, um die Zuversicht der Bürger wiederzugewinnen?

Der Staat selbst ist heute zu langsam und fesselt die Unternehmen zusätzlich mit Bürokratie und Regulierung.

Krisen und Transformationsprozesse überlagern sich seit vielen Jahren. Politik behandelt Transformation wie eine Krise. Das ist falsch. Transformation erfordert die Mobilisierung umfassender gesellschaftlicher und ökonomischer Produktivkräfte. Die Gesellschaft muss sich in einem umfassenden Sinne die Zukunft neu erarbeiten – das erfordert Zuversicht, Mut und Vertrauen. Augenblicklich nehme ich die Gesellschaft nicht so wahr. Mehr Freiheit zum Wandel und weniger Zwang zur Anpassung könnte die Menschen dazu bringen, sich für die Zukunft zu engagieren, statt um die Gegenwart zu fürchten.

Welche Entscheidungen müssen die Politiker jetzt treffen, damit der Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb künftig wieder punkten kann?

Die Politik steckt in der Gegenwartsfalle fest und hat immer weniger Anreiz, das zu tun, was helfen würde, nämlich den langen Weg zu gehen

Es geht um die Erneuerung der Grundlagen von Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit, also um Infrastruktur, Technologieführerschaft und Bildung. Das Problem ist, dass die Politik nach vielen Jahren im Krisenmodus wieder ganz zurück an den Anfang gehen muss, um neue Substanz zu schaffen. Das ist für Politik sehr unattraktiv. Man könnte sagen, sie steckt in einer Gegenwartsfalle fest. Sie hat immer weniger Anreiz, das zu tun, was helfen würde, nämlich den langen Weg zu gehen.

Wie könnte man aus dieser „Gegenwartsfalle“ ausbrechen?

Es geht darum, Transformation zu einem eigendynamischen Prozess zu machen, der nicht ständig von der Politik neu angestoßen und dauersubventioniert werden muss. Statt ständig neue Ziele zu formulieren, muss Politik stärker in Voraussetzungen denken, d.h. Infrastrukturen bereitstellen, Verwaltungsprozesse reformieren, Marktanreize setzen, Zielkonflikte und Angebotsengpässe gezielt überwinden, um dadurch allmählich die Gestaltungsspielräume zu erweitern. Die Energiewende ist ein gutes Beispiel dafür, wie es nicht geht: Erst aus allem aussteigen, ohne in Alternativen einzusteigen, um dann gestiegene Preise zu subventionieren, damit es nicht zu einer Deindustrialisierung kommt.

Die Energiewende ist ein gutes Beispiel dafür, wie es nicht geht.

Die Bundespolitik muss im Moment Transformationsvorhaben schultern und strukturelle Brüche in der Weltwirtschaft kompensieren, wie es sie in ihrer Häufung bisher kaum gegeben hat: Zeitenwende Bundeswehr wegen Ukraine-Krieg, Umbau der Energiewirtschaft wegen Klimawandel, Modernisierung des Standorts wegen künstlicher Intelligenz. Kann dies überhaupt aus dem laufenden Haushalt finanziert werden? Oder müssen hierfür separate Fonds jenseits der Schuldenbremse angelegt werden?

Kein Haushalt der Welt kann leisten, was derzeit an öffentlichen Investitionen nötig ist. Es wäre ein gefährliches Missverständnis, das zu glauben. Und das hat auch nur bedingt mit der Schuldenbremse zu tun. Öffentliche Investitionen machen rund 10% der gesamtwirtschaftlichen Investitionen aus. Separate Fonds können aber helfen, wesentliche öffentliche Zukunftsinvestitionen politisch zu priorisieren und transparent zu finanzieren. Wesentliche Anpassungen müssen aber durch private Unternehmen erfolgen. Deshalb ist es so wichtig, dass die Politik durch das, was sie tut, immer auch private Investitionen und unternehmerische Aktivität auslöst.

Politik hat sich in der Dauerkrise in eine Hybris versetzt: den Glauben, der Staat könne alles regeln. Gleichzeitig gibt es ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Markt aus Unkenntnis seiner Funktionen.

Woher kommt die grundlegende Abneigung in der Politik, die Marktkräfte ins Spiel kommen zu lassen und alles im Klein-Klein regeln zu wollen?

Politik hat sich in den vergangenen fünfzehn Jahren der Dauerkrise in eine Hybris versetzt, in den Glauben, der Staat könne alles regeln. Gleichzeitig gibt es ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Markt, das im Wesentlichen auf einer Unkenntnis seiner Funktionen beruht. Wandel findet jenseits der (notwendigen) regulatorischen Leitplanken wesentlich außerhalb der politischen Sphäre statt, weil Fortschritt ein wettbewerbliches Entdeckungsverfahren ist. Das Wissen für Lösungen und das Risiko für Irrtum können und sollten nicht beim Staat liegen.

Die Fragen stellte Stephan Lorz.

Das Interview führte Stephan Lorz.