Jahrestag Kriegsausbruch

Drei Jahrzehnte lang aufgebaut, in zwei Jahren zerstört

Vom einst blühenden Handel zwischen der EU und Russland ist heute nur noch wenig übrig. Russland hat im Vergleich mehr verloren. Doch Europa bleibt zum Teil abhängig.

Drei Jahrzehnte lang aufgebaut, in zwei Jahren zerstört

In Jahrzehnten aufgebaut, in zwei Jahren zerstört

Vom einst blühenden Handel zwischen der EU und Russland ist heute nur noch wenig übrig – Russland hat mehr verloren, aber Europa bleibt zum Teil abhängig

Vom einst blühenden Handel zwischen der EU und Russland ist heute nur noch wenig übrig geblieben. Moskau hat zwar unter dem Strich wirtschaftlich mehr verloren, aber die europäischen Staaten bleiben in einigen Bereichen abhängig. Das gilt weiterhin etwa für Uran, Palladium, Titan oder Düngemittel.

Am Samstag jährt sich der Ausbruch des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zum zweiten Mal.

Von Eduard Steiner, Moskau

Drei postsowjetische Jahrzehnte lang haben Russland und die heute 27 EU-Staaten ihre wirtschaftlichen Verbindungen auf- und ausgebaut. Sie haben die Bande immer enger geknüpft, wodurch beide Seiten profitierten: Europa erhielt billige Energieträger und Russland Hunderte Milliarden Dollar, die zumindest in Teilen des Landes zum ersten Wohlstand in seiner Geschichte führten. In den besten Zeiten kam auf die EU mehr als die Hälfte des russischen Außenhandelsvolumens. Und im Jahr 2013 vor der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und den folgenden Sanktionen wurden noch Waren im Wert von 393 Mrd. Dollar ausgetauscht.

Das alles ist durch den Ukraine-Krieg und die beispiellos umfangreichen Sanktionen des Westens nun Schnee von gestern. Der epochale Bruch, der im ersten Kriegsjahr 2022 durch die damals exorbitanten Energiepreise noch verhüllt wurde, ist endgültig vollzogen – und mit den neuen Zahlen von 2023 offensichtlich geworden.

Warenaustausch eingebrochen

Unter dem Strich ist der Wert des Warenaustauschs 2023 gegenüber dem Vorkriegsjahr 2021 um fast zwei Drittel eingebrochen. Waren 2021 noch Güter im Gesamtwert von 252,84 Mrd. Euro ausgetauscht worden, so sind es zwei Jahre später nur noch 88,96 Mrd. Euro. Beide Seiten haben dabei Federn gelassen. In absoluten Zahlen und prozentual allerdings traf es Russland stärker. Während nämlich der EU-Export nach Russland in den zwei Jahren von 89,19 Mrd. um 57% auf 38,32 Mrd. Euro abgesackt ist, brach der russische Export in die EU von 163,65 Mrd. Euro um 69% auf 50,64 Mrd. Euro ein.

Preisschock verdeckt Ausmaß

Im ersten Kriegsjahr 2022 hatte man ein solches Ausmaß noch nicht erahnt, weil der Preisschock bei Rohstoffen den Wert der russischen Exporte in die EU – bei geringeren Liefermengen – auf 202,66 Mrd. Euro hatte hochschnellen lassen und Russland einen exorbitanten Handelsbilanzüberschuss beschert hatte. Erst 2023 gewann die Entkoppelung der beiden Handelspartner rasant an Fahrt. Dies gerade auch dadurch, dass sich ab Ende 2022 zu den zwölf EU-Sanktionspaketen das Ölembargo gesellt hatte und Europas Länder zunehmend erfolgreich alternative Gaslieferanten – insbesondere in den USA – gefunden hatten.

Russland wendet sich China zu

Russland selbst freilich war wendiger als erwartet. Nicht nur, dass die krisenerfahrenen Privatunternehmer unter anderem den Aufbau eines parallelen Imports sanktionierter Güter und neue Logistikrouten etablierten, so dass 2022 der Wirtschaftseinbruch auf 2,1% beschränkt werden konnte. Russland hat vor allem mit der Hinwendung zu Asien – vornehmlich zu China – seinen Außenhandel neu strukturiert und mit der Organisation einer eigenen Öltankerflotte eine gewisse Umgehung des Ölembargos hingekriegt, so dass 2023 ein Wirtschaftswachstum von über 3% erzielt werden konnte.

Wirtschaftskrieg mit Asien?

Allerdings ersetzen die Südostasiaten die Lücke, die Europa – und zum Teil auch die USA – in Russland hinterlässt, nicht vollständig. Niemand Geringerer als Moskaus Bürgermeister, Sergej Sobjanin, sprach im Herbst sogar schon offen von einem Wirtschaftskrieg mit den asiatischen Ländern, die weit härter seien als Europa: Sie würden ihre eigenen Produzenten präferieren. Und überhaupt wolle niemand von diesen Ländern Russland moderne Technologien schenken, die es im Westen nicht mehr bekomme. Bestenfalls würden sie diese zum doppelten Preis verkaufen.

Der Mangel an westlichen Hightech-Bauteilen werde zu einer „Primitivisierung“ der russischen Wirtschaft führen, erwartet daher Vasily Astrov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Und auch bei den Investitionen aus China hat Russland vorerst wenig zu erwarten, sagte Igor Lipsiz, Gründer der größten russischen Wirtschaftsuniversität HSE, auf Anfrage der „Börsen-Zeitung“: „Was wir nicht sehen, ist, dass Chinesen eine Produktion in Russland entwickeln.“

Die Mängel in den Wirtschaftsbeziehungen mit China sind gegenwärtig freilich nicht das, was den Kreml anficht. Vielmehr kann er den rasanten Ausbau des bilateralen Handelsvolumens vor sich hertragen. Bereits 2022 stieg dieses steil an und 2023 dann nochmals um 26,3% auf den Rekordwert von 240,11 Mrd. Dollar. Der Anteil Chinas am gesamten russischen Außenhandel hat sich binnen weniger Jahre auf 32% verdoppelt. Und nimmt man alle Länder zusammen, die Russland aufgrund ihrer Nichtteilnahme an den Sanktionen als freundliche Staaten einstuft, so ist deren Anteil am russischen Außenhandel binnen zweier Jahre von 46 auf 77% hochgeschossen, erklärte Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow kürzlich. Demgegenüber ist der Anteil der EU am russischen Außenhandel von zuvor 36% auf 15% implodiert.

Russland-Anteil in der EU minimal

Aus Sicht der EU steht Russland nun nur mehr für weniger als 1,5% des gesamten EU-Exports in Drittstaaten und für weniger als 2% des Imports von ebendort – ein Fünftel gegenüber der Zeit vor den Sanktionen. Und dennoch bleibt Russland für Europa wirtschaftlich im Spiel. Gerade bei Energieträgern gestaltet sich die Entkoppelung in manchen Ländern schwierig. Das russische Wirtschaftsmedium RBK hat anhand der Eurostat-Daten errechnet, dass von den 50,64 Mrd. Euro, die Russland 2023 in Europa verdient hat, 29,1 Mrd. Euro aus dem Öl- und Gasexport kommen. Dabei ist der Anteil Russlands am Ölimport der EU von 27% im vierten Quartal 2021 auf 3% im vierten Quartal 2023 reduziert worden, während der Anteil der USA von 8% auf 15% gestiegen ist. Und bei den Gasimporten ist Russlands Anteil von 33% auf 13% eingebrochen, während der Anteil der USA von 12% auf 22% hochgeschnellt ist.

Dünne Bande

Auch bei anderen Produkten braucht die EU Russland weiter. So bei Nickel, Palladium, Titan, Aluminium, Düngemittel oder angereichertem Uran. Die EU hat – wie die USA – dafür keine Handelsbeschränkungen verhängt und auch den Oligarchen Wladimir Potanin, den weltgrößten Palladiumproduzenten, nicht auf die Sanktionsliste gesetzt.

Doch die Bande, die geblieben sind, sind dünn. Und beim EU-Export nach Russland stark auf medizinische Produkte reduziert. Durch den Ukraine-Krieg hat sich Europa in eine stärkere Abhängigkeit von den USA begeben, Russland aber ist in einer noch weitaus größeren Abhängigkeit von China gelandet.

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