Besuch von Joe Biden

Gipfel der Versöhnung

Bei Joe Bidens erstem Besuch forcieren EU und US-Regierung ihren Neustart der lädierten transatlantischen Beziehungen. Die Wirtschaft bedenkt die hohen politischen Ambitionen mit Beifall.

Gipfel der Versöhnung

Von Andreas Heitker, Brüssel, Peter De Thier, Washington,

und Stefan Reccius, Frankfurt

Im Vorfeld des Gipfeltreffens zwischen der EU und den USA am Dienstag steigen die Erwartungen, dass es zu konkreten Verständigungen in wichtigen transatlantischen Handelskonflikten kommen wird. Einem ersten Entwurf für eine geplante Gipfelerklärung zufolge, der in Brüssel bekannt wurde, soll zunächst der lang anhaltende Streit über Subventionen für die Flugzeugbauer Airbus und Boeing beigelegt werden, nach Willen der EU möglichst schon im Juli. Die von den USA verhängten Stahl- und Aluminiumzölle und die entsprechenden Gegenmaßnahmen der EU sollen demnach ebenfalls noch 2021 fallen. Die Erklärung befindet sich in Abstimmung zwischen Brüssel und Washington.

EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis äußerte am Mittwoch im Europaparlament die Hoffnung, „dass der Gipfel eine positive Handelsagenda liefern kann“. Beide Seiten wollten sich auch verpflichten, die Herausforderungen durch Nicht-Marktwirtschaften wie China gemeinsam anzugehen, sagte der Kommissar unter anderem mit Blick auf die EU-US-Handelsströme, die im vergangenen Jahr einen Wert von fast 1 Bill. Euro erreicht hatten.

Die Wirtschaft bedenkt die hohen politischen Ambitionen mit Beifall. In einer gemeinsamen Erklärung mahnen der europäische Industrie-Dachverband BusinessEurope, der Unternehmensverbände aus 34 Staaten – darunter Schweiz und Türkei – bündelt, und die US-Handelskammer dringend Lösungen auf wichtigen Konfliktfeldern an. Nach Einschätzung von BusinessEurope-Generalsekretär Markus J. Beyrer ist der Besuch von US-Präsident Joe Biden „ein weiterer wesentlicher Baustein auf dem Weg der Normalisierung der Beziehungen und zu einer Rückkehr zu einer positiven Agenda“. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung verwies Beyrer darauf, dass die transatlantische Zusammenarbeit seit Bidens Amtsantritt von einem ganz anderen Geist getragen sei. „Das ist auch in der Wirtschaft zu merken. Da geht es auch um das gemeinsame Verständnis, dass gewisse Themen von den USA und der EU nur gemeinsam gelöst werden können – zum Beispiel in Bezug auf China.“

„Gold-Standard schaffen“

Der BusinessEurope-Chef verweist darauf, dass die EU und die USA mit einer Einigung bei den Flugzeug-Subventionen „eine Art Gold-Standard“ schaffen könnten, der auch auf Ebene der Welthandelsorganisation (WTO) vorgeschlagen werden könnte. Beim Thema Stahlzölle erwartet Beyrer, dass der Gipfel „ein deutliches und ernsthaftes Signal“ in Richtung einer Lösung sendet, „dass diese ärgerlichen und zu keiner Zeit rechtfertigbaren US-Zölle und die Gegenzölle der EU wieder verschwinden“. Weitere wichtige Gipfelthemen sollten nach Einschätzung von BusinessEurope die Themen Steuern, Daten- und Klimaschutz sein.

Trotz der neuen positiven Agenda: An neue Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen, wie es einst mit TTIP geplant war, glaubt Beyrer nicht. „Man sollte sich jetzt auf die Themen konzentrieren, die lösbar sind, und die öffentliche Erwartungshaltung nicht mit Dingen überfrachten, die momentan nicht realistisch sind“, betonte er im Gespräch. Wichtig für die Wirtschaft sei ohnehin erst einmal, das Mercosur-Abkommen unter Dach und Fach zu bekommen. Gegen das fertig ausverhandelte Freihandelsabkommen mit vier südamerikanischen Ländern regt sich immer mehr Widerstand.

Lang ist auch die Wunschliste des deutschen Mittelstands, der von Wein- bis Werkzeugbauern unter Strafzöllen im Airbus/Boeing-Streit ächzte, bis Brüssel und Washington diese Anfang März aussetzten. In einer Studie für die Stiftung Familienunternehmen beziffert das Institut für Weltwirtschaft die Exportverluste auf fast 900 Mill. Euro pro Jahr, „höher als zunächst erwartet“. Klar, dass eine Lösung des Subventionsstreits auch hier Priorität hat. Das Mindeste sei „eine Verrechnung der gegenseitigen Schadensersatzansprüche“. Die WTO hat Washington 7,5 Mrd. Dollar zugestanden, Brüssel 4 Mrd. Dollar. Immerhin: Trumps Amtszeit hat dem Handel nicht auf breiter Front zugesetzt, erst Corona brachte den Knick (siehe Grafik).

Biden und die 3 Cs

Biden hat die hohen Erwartungen der Wirtschaft genährt. „Amerika ist zurück. Das transatlantische Bündnis ist zurück“: So verkündete er es im Februar bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Ziel von Bidens Reise, die ihn zu Gipfeltreffen der G7, der Nato, mit der EU und zu bilateralen Gesprächen mit Russlands Präsident Wladimir Putin und dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan führen wird, ist laut einer Regierungssprecherin, „sein Be­kenntnis zu Multilateralismus und transatlantischer Sicherheit ebenso wie zur Förderung unserer gemeinsamen politischen und wirtschaftlichen Interessen zu unterstreichen“.

James Goldgeier, Experte für US-europäische Beziehungen bei der Brookings Institution, verwies im Gespräch mit der Börsen-Zeitung darauf, dass „die Wunschliste des Präsidenten von den 3 Cs angeführt wird, wie das Weiße Haus diese nennt“: China, Climate, Cyber. Biden werde „dafür sorgen wollen, dass Kooperation im Kampf gegen den Klimawandel, das Einschwören auf eine gemeinsame Linie gegenüber China und Maßnahmen zur Erhöhung der Cybersicherheit im Mittelpunkt stehen“, erwartet Goldgeier. Beim Airbus-Boeing-Streit machte Bidens Handelsbeauftragte Katherine Tai der Wirtschaft schon mal Hoffnung: Sie sei „optimistisch, dass wir eine permanente Lösung finden werden und verhindern können, dass die Zölle im Juli wieder in Kraft treten“.