ZEW-Konjunkturerwartungen

Hoffnung für Konjunktur schwindet

Die hohe Inflation und die erwarteten zusätzlichen Heiz- und Stromkosten haben die Konjunktursorgen der Börsianer im August abermals erhöht.

Hoffnung für Konjunktur schwindet

ba Frankfurt

Die immer länger werdende Liste an Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft schlägt Börsianern aufs Gemüt. Die ohnehin geringen Erwartungen an die Konjunktur nähern sich den historischen Tiefstständen aus der Hochzeit der globalen Finanzkrise 2008 immer weiter an. Das zeigen die nochmals schwächeren ZEW-Konjunkturerwartungen. Auch der Euro-Konjunktur trauen Finanzmarktexperten demnach weniger zu.

Die vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) ermittelten Konjunkturerwartungen für die deutsche Wirtschaft haben nach dem kräftigen Rutsch im Juli auch im August nachgegeben, um 1,5 auf −55,3 Punkte. Ökonomen hatten hingegen einen leichten Anstieg prognostiziert, und zwar auf −52,7 Zähler. Damit erhalten die Sorgen vor einer Rezession im Euroraum und dessen größter Volkswirtschaft Nahrung, auch wenn die jüngsten Daten zur Industrieproduktion positiv überrascht hatten. Die aktuelle Lage wird laut ZEW nicht ganz so schwach eingeschätzt wie befürchtet: Der entsprechende Indikator ist um 1,8 auf −47,6 Punkte gesunken, während die Voraus­sagen im Schnitt bei −49,0 Zählern lagen.

„Die Finanzmarktexperten erwarten somit für Deutschland eine weitere Verschlechterung der ohnehin schwachen Konjunktursituation“, kommentierte ZEW-Experte Michael Schröder das Ergebnis der monatlichen Umfrage unter 176 Analysten und institutionellen Anlegern. „Die nach wie vor hohe Zunahme der Konsumentenpreise und die erwarteten zusätzlichen Kosten für Heizung und Strom belasten derzeit vor allem die Aussichten für die konsumnahen Wirtschaftsbereiche.“

Berechnungen des Vermögensverwalters Bantleon zufolge droht den privaten Haushalten hierzulande 2023 allein durch die höheren Energiepreise der Entzug von etwa 70 Mrd. Euro an Kaufkraft. Das entspricht rund 4% der privaten Konsumausgaben – und zwar „zusätzlich zu den 70 Mrd. Euro, die bereits im laufenden Jahr zu Buche stehen“, wie Bantleon-Ökonom Jörg Angelé vorrechnet. Allein die am Montag verabschiedete Gasumlage werde die privaten Haushalte mehr kosten, als die von Finanzminister Christian Lindner geplante Entlastung in Höhe von 10 Mrd. Euro bringe. Zudem dürfte die Inflationsrate durch die Gasumlage im vierten Quartal 2022 auf zweistellige Werte klettern, konstatiert ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Zumal Entlastungen wie Tankrabatt und 9-Euro-Ticket wegfallen.

Sorgen bereiten Ökonomen nicht nur die Folgen des Ukraine-Kriegs, die damit verbundene Energiekrise und die angespannten Lieferketten. Hinzu kommen die sich zusehends eintrübenden Konjunkturaussichten in den USA, die schleppende Erholung in China sowie das Niedrigwasser im Rhein. Letzteres bedroht mittlerweile – wie schon 2018 – die Produktion in Teilen der Industrie. Der Pegelstand ist mancherorts auf null gefallen, wobei die für die Schifffahrt entscheidende Fahrrinnentiefe nach wie vor Schiffsverkehr mit reduzierter Ladung zulässt. Laut der Schifffahrtsgenossenschaft DTG können die Güterschiffe aber derzeit weniger als ein Drittel der normalen Lademenge aufnehmen (siehe nebenstehender Bericht).

Der ZEW-Umfrage zufolge haben sich hingegen die Einschätzungen der Börsianer für die Finanzbranche verbessert. ZEW-Experte Schröder führt dies auf die erwartete straffere Geldpolitik zurück. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat auf der Ratssitzung im Juli den Leitzins erstmals seit elf Jahren und kräftiger als erwartet erhöht. Trotz der Konjunktursorgen, die auch die Euro-Hüter umtreiben, hat der EZB-Rat außerdem weitere Zinsschritte für die kommenden Zinssitzungen avisiert.

Im zweiten Quartal immerhin zeigte sich die Euro-Wirtschaft mit einem unerwartet kräftigen Wachstum von 0,7% noch robuster als erwartet. Die vom ZEW für August erhobenen Konjunkturerwartungen für die Euro-Wirtschaft sprechen aber dafür, dass sich die Prognosen einer für das Winterhalbjahr zu erwartenden Rezession bewahrheiten: Der entsprechende Indikator ist um 3,8 auf −54,9 Punkte gefallen. Der Lageindikator ist hingegen um 2,4 auf −42,0 Punkte gestiegen.

Höheres Handelsdefizit

Das Wachstum gebremst hat zuletzt auch der Außenhandel: Laut Eurostat weitete sich das Defizit der Handelsbilanz im Juni saisonbereinigt auf 30,8 Mrd. Euro aus. Ökonomen hatten mit einem rückläufigen Defizit von 22,0 Mrd. Euro gerechnet. Im Mai lag der Negativsaldo noch bei 27,2 Mrd. Euro, nachdem im April mit 32,3 Mrd. Euro noch das höchste Defizit seit Bestehen der Währungsunion gemessen worden war. Während die Ausfuhren im Juni im Monatsvergleich um saisonbereinigt 0,1% abnahmen, legten die Importe um 1,3% zu. Am kräftigsten kletterten die Exporte in die USA.

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