Verbraucherpreise

Inflations­sorgen trotz Rück­gang

Derzeit herrscht Rätselraten über den weiteren Zinskurs der EZB. Neue Inflationsdaten bieten nun beiden Lagern im EZB-Rat Argumente. Einerseits geht die Gesamtteuerung deutlich zurück, andererseits legt die Kernrate weiter zu.

Inflations­sorgen trotz Rück­gang

ms Frankfurt

Die Inflation in Deutschland ist im März sehr deutlich zurückgegangen – von zuvor 9,3% auf 7,8% gemäß EU-harmonisierter Berechnung (HVPI). Zusammen mit anderen Daten aus mehreren Euro-Ländern, insbesondere aus Spanien, nährte das die Zuversicht, dass die Teuerung auch im gesamten Euroraum deutlich gesunken ist. Der zugrundeliegende Preisdruck, gemessen an der Kernrate (ohne Energie und Lebensmittel), dürfte dagegen sogar weiter zugelegt haben – in Deutschland wie im Euroraum. Insbesondere das macht vielen Notenbankern in der Europäischen Zentralbank (EZB) Sorge. Führende EZB-Vertreter betonten denn auch die Bereitschaft der EZB, die Leitzinsen weiter anzuheben – ohne aber eine Vorfestlegung zu treffen.

Die Inflation in Deutschland und im Euroraum war in den Jahren 2021 und 2022 deutlich und auch stärker als erwartet angestiegen. In Deutschland verzeichnete die Teuerungsrate teilweise das höchste Niveau seit 40 Jahren und im Euroraum gab es absolute Rekordniveaus. Nach einigem Zögern reagierte die EZB darauf mit beispiellosen Zinserhöhungen. Seit Juli hat sie die Leitzinsen um 350 Basispunkte erhöht. Der Rückgang der Teuerungsraten seit dem Herbst hat aber Debatten ausgelöst, ob die EZB nun übertreiben könnte. Das weltweite Bankenbeben hatte diese noch verstärkt. Der EZB-Rat hatte Mitte März seine Leitzinsen erneut um 50 Basispunkte erhöht, sich zum weiteren Kurs aber bedeckt gehalten. Die Meinungen der Notenbanker gehen auseinander.

Die neuen Inflationsdaten von Donnerstag bieten nun beiden Lagern Argumente. Der erneut deutliche Rückgang der Teuerung stärkt die „Tauben“ im EZB-Rat, die tendenziell für eine lockerere Geldpolitik sind und aktuell vor einer Überreaktion warnen. Auch in nationaler Berechnung (VPI) ging die deutsche Teuerungsrate spürbar zurück, von 8,7% auf 7,4%. In Spanien ging die HVPI-Rate sogar von 6,0% auf 3,1% zurück. Für die Freitag anstehende Euro-Teuerung wird von Experten ein Rückgang von zuletzt 8,5% auf rund 7% prognostiziert. Das liegt zwar immer noch deutlich oberhalb des 2-Prozent-Ziels der EZB. Gegenüber dem Hoch vom Oktober bei 10,6% ist das aber ein starker Rückgang. Die „Tauben“ verweisen zudem darauf, dass die Zinserhöhungen erst noch ihre volle Wirkung in der Wirtschaft entfalten werden.

Die Hardliner im EZB-Rat, die „Falken“, argumentieren dagegen vor allem mit der Kernrate. Diese gilt als besserer Gradmesser für den zugrundeliegenden Preisdruck in einer Volkswirtschaft. Der Anstieg bis zuletzt gilt ihnen als Beleg dafür, dass sich die Teuerung immer weiter ausbreitet und verfestigt. Bei der Erstschätzung für Deutschland gibt es vom Statistischen Bundesamt keine Angabe zur Kernrate. Jörg Angelé von Bantleon geht aber auf Basis der Daten aus den Bundesländern davon aus, dass sie von 5,7% auf 5,9% zugelegt haben dürfte. Auch für den Euroraum als Ganzes wird verbreitet ein weiterer Anstieg erwartet. Im Februar hatte sie auf 5,6% und damit auf einen absoluten Rekord zugelegt.

Die neuen Daten seien „ein Hoffnungsschimmer, aber kein Durchbruch“, kommentierte Michael Heise, Chefökonom bei HQ Trust. „Abgesehen von den Energie- und Rohstoffpreisen gibt es immer noch keine Anzeichen für einen breiteren disinflationären Trend“, sagte auch Carsten Brzeski, Global Head of Macro bei der ING. Das werde die EZB „im Straffungsmodus“ halten, so Brzeski. „Weitere Zinsanhebungen werden notwendig sein, um die Inflation in den Griff zu bekommen“, sagte am Donnerstag auch Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank.

EZB-Chefvolkswirt Philip Lane erklärte, dass die Turbulenzen im Bankensektor wahrscheinlich nur ein vorübergehendes Phänomen sein werden. Die EZB müsse die Zinsen dann im Kampf gegen die Inflation weiter anheben, sagte Lane in einem Interview der „Zeit“. Die jüngsten Turbulenzen am Finanzmarkt könnten aus konjunktureller Sicht den Charakter eines „Nicht-Ereignisses“ haben. „Wir sehen das nicht als ein generelles Problem im Bankensystem.“ Er wiederholte damit Aussagen, die er vergangene Woche bei der ECB Watchers Conference getätigt hatte (vgl. BZ vom 23. März).

„Banken widerstandsfähig“

EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel betonte derweil, dass die Banken des Euroraums trotz der jüngsten Unruhe keine Einlagenverluste erlitten hätten. „Wir haben eine gewisse Verschiebung von täglich fälligen Einlagen zu Termineinlagen gesehen, doch keinen allgemeinen Einlagenabfluss der Banken”, sagte sie bei einer Veranstaltung in Washington. „Im Moment sieht der Bankensektor ziemlich widerstandsfähig aus.“ Zugleich sagte sie, dass sich die Kerninflation inzwischen als viel hartnäckiger erweise als die Gesamtinflation. „Und natürlich verursacht das auch einige Kopfschmerzen für Notenbanker“, so Schnabel.